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und es herrscht auch unter ihnen keine Uneinigkeit. Allein bei den Fragen über das glückliche Leben und ob das Eine, was die Philosophie im Auge behalten und verfolgen muss, ganz in der Macht des Weisen liege, oder ob es auch durch Widerwärtigkeiten gestört und vernichtet werden könne, zeigen sich bei ihnen allerdings mancherlei Zweifel und eine Verschiedenheit der Meinungen. Vorzüglich hat das Buch Theophrast's »Ueber das glückliche Leben« dies veranlasst, worin den äussern Verhältnissen viel Einfluss zuerkannt wird. Wäre dies richtig, so könnte die Weisheit das glückliche Leben nicht verbürgen, und diese Ansicht scheint mir nachgiebiger und ich möchte sagen weichlicher, als die Kraft und der Ernst der Tugend gestattet. Deshalb halten wir uns an Aristoteles und dessen Sohn Nicomachus. Des Letzteren sorgfältiges Werk über das Sittliche wird zwar dem Aristoteles zugeschrieben, allein ich sehe nicht ab, weshalb der Sohn dem Vater nicht hätte ähnlich werden können. Doch benutzen wir bei Vielem den Theophrast, nur halten wir bei der Tugend mehr als er auf Festigkeit und Stärke. (§ 13.) Ich meine daher, dass wir mit diesen Männern zufrieden sein können; denn ihre Nachfolger sind zwar nach meiner Meinung immer noch besser, als die Philosophen aus den übrigen Schulen, aber sie sind doch so entartet, dass es scheint, als hätten sie ihre Lehre aus sich selbst entnommen. Strato, der Erste nach Theophrast, wollte für einen Naturforscher gelten; er war zwar hier bedeutend, indess brachte er hier sehr viele Neuerungen auf und war in der Ethik sehr dürftig. Sein Schüler Lyco zeigte eine reiche Darstellungsgabe, aber in den Dingen selbst ist er dürftig. Sein Nachfolger Aristo ist scharfsinnig und geschmackvoll, aber es fehlt ihm die Gründlichkeit eines grossen Philosophen. Er hat Vieles geschrieben; seine Sprache ist glatt, aber es macht, ich weiss nicht weshalb, keinen Eindruck. (§ 14.) Ich übergehe Viele, auch den gelehrten und milden Hieronymus, bei dem ich kaum noch weiss, ob ich ihn zu den Peripatetikern zählen kann; denn er verlegte das höchste Gut in die Schmerzlosigkeit, und jede abweichende Meinung bei diesem Punkte muss sich auf die ganze Philosophie ausdehnen. Critolaus wollte die Alten nachahmen und kam ihnen in dem Ernst der Sache am nächsten, allein sein Ausdruck ist zu schwülstig. Trotzdem blieb er nicht innerhalb der alten Grundsätze. Sein Schüler, Diodor, verbindet mit der Sittlichkeit die Schmerzlosigkeit. Auch dieser geht seinen eigenen Weg und kann, da er über das höchste Gut eine abweichende Ansicht hat, kaum zu den Peripatetikern gerechnet werden. Unser Antiochus scheint mir die Ansicht der Alten hierüber am genauesten festzuhalten und zeigt, dass Aristoteles und Polemo hierin dasselbe gelehrt haben.

      Kap. VI. (§ 15.) Unser Lucius handelt daher ganz klug, wenn er vorzugsweise die Lehre über das höchste Gut hören will: denn wenn dieses festgestellt ist, so ist Alles in der Philosophie festgestellt; ist in neuern Dingen etwas übersehn oder unbekannt geblieben, so geht der Nachtheil nicht über die Bedeutung dieser Dinge selbst hinaus; kennt man aber das höchste Gut nicht, so fehlt aller Anhalt für das Leben überhaupt, und die Irrthümer, welche hieraus entstehn, sind so gross, dass man nicht mehr weiss, in welchem Hafen man Zuflucht suchen soll. Dagegen ist mit der Erkenntniss des Endzweckes der Dinge und des höchsten Gutes und Uebels der für das Leben einzuhaltende Weg und die Bestimmung aller Pflichten gefunden. (§ 16.) Man hat dann das Ziel, auf das Alles bezogen werden kann und durch das man die Einrichtung eines glücklichen Lebens, nach dem Alle verlangen, auffinden und sich aneignen kann. Da hierin eine grosse Meinungsverschiedenheit besteht, so werde ich der Eintheilung des Karneades folgen, die auch unser Antiochus gern anwendet. Karneades legte nicht blos dar, was Alles von den Philosophen als höchstes Gut aufgestellt worden ist, sondern auch wie vielerlei Ansichten hier überhaupt aufgestellt werden können. Er bestritt, dass irgend eine Wissenschaft und Kunst aus sich selbst sich entwickeln könne; denn Alles, was von ihr erreicht werden solle, stehe ausserhalb ihrer. Ich brauche dies nicht durch Beispiele des Weitern auseinanderzusetzen; denn offenbar bewegt sich keine Kunst und Wissenschaft blos in sich selbst, sondern etwas Anderes ist sie selbst und etwas Anderes das Ziel, was sie sich vorgesetzt hat. So wie die Arzneikunst auf die Gesundheit, die Steuermannskunst auf die Schifffahrt abzweckt, so die Klugheit auf die Einrichtung des Lebens, und sie muss deshalb ebenfalls von etwas Anderem als Grundlage ausgehn. (§ 17.) Es gilt aber beinah bei Allen für ausgemacht, dass der Inhalt und das Ziel der Klugheit der Natur entsprechend und angemessen sein müsse, so dass es von selbst zu sich ziehe und das Begehren seiner, was die Griechen hormên nennen, erwecke. Dagegen ist man über das, was so anreize und daher von der Natur von Anfang abverlangt werde, nicht einig und deshalb herrscht unter den Philosophen über das höchste Gut grosser Streit. Die Grundlage für die ganze Frage über das höchste Gut und Uebel, wobei es auf das Aeusserste und das Letzte ankommt, hängt davon ab, worin die Grundtriebe der menschlichen Natur gesucht werden sollen. Hat man dies gefunden, so kann davon, als der Hauptsache, die ganze Entwicklung des höchsten Gutes und Uebels abgeleitet werden.

      Kap. VII. Nach der einen Ansicht soll das Verlangen nach der Lust und die Beseitigung des Schmerzes der erste Trieb sein; nach einer andern soll es die Schmerzlosigkeit und die Abwendung jedes Schmerzes sein. (§ 18.) Hiervon abweichend gehn Andere von dem aus, was sie das erste Naturgemässe nennen; dazu rechnen sie die Unversehrtheit und Erhaltung aller Theile des Körpers. Die Gesundheit, richtige Sinne, Schmerzlosigkeit, Kraft, Schönheit u.s.w., sollen als erstes Naturgemässe in der Seele sein und gleichsam den Funken und den Samen der Tugenden bilden. Eines von diesen dreien muss das sein, was zuerst die menschliche Natur zum Begehren oder Verabscheuen veranlagst, und da ausser diesen dreien es nichts weiter der Art geben kann, so folgt, dass alle Pflichten sich auf das Fliehen oder Verfolgen von Etwas dieser Art beziehn, und die Klugheit, welche ich die Kunst des Lebens genannt habe, muss eines von diesen dreien zum Gegenstande haben und davon den Anfang des ganzen Verhaltens ableiten. (§ 19.) Aus dem nun, was als dasjenige angenommen wird, was die Natur zuerst erregt, geht die Lehre über das Rechte und Sittliche hervor, welche mit einem von diesen dreien so übereinstimmen muss, dass das Sittliche entweder in einem Handeln der Lust wegen besteht, selbst wenn man sie nicht erlangt, oder der Schmerzlosigkeit wegen, selbst wenn man sie nicht erreichen kann, oder des Naturgemässen wegen, selbst wenn es erfolglos bleibt. Daher kommt es, dass die Verschiedenheit, welche über die natürlichen Grundtriebe besteht, auch in gleichem Maasse sich auf die Ansichten über das höchste Gut und Uebel überträgt. Andere beziehen wieder von diesen Grundtrieben aus alle Pflichten auf die Erreichung der Lust, oder der Schmerzlosigkeit, oder des ersten Naturgemässen. (§ 20.) Nachdem sich somit sechs verschiedene Ansichten über das höchste Gut herausgestellt haben, so sind die vornehmsten Vertheidiger der drei letztern Aristipp in Bezug auf die Lust, Hieronymus in Bezug auf die Schmerzlosigkeit, und in Bezug auf den Genuss dessen, was wir das erste Naturgemässe nennen, war Karneader zwar nicht der Begründer, aber der Vertheidiger, um die Dialektik zu üben. Die erstem drei Ansichten waren von Karneades nur als mögliche aufgestellt worden, und nur eine davon ist wirklich und zwar mit Entschiedenheit vertheidigt worden. Denn Niemand sagt, dass mau Alles um der Lust willen thun müsse, und dass schon diese Absicht, auch wenn die Lust nicht erlangt werde, die an sich richtige, sittliche und das alleinige Gute sei. Ebenso wenig hat Jener die Vermeidung jeden Schmerzes schon an sich zu dem Begehrenswerthen gerechnet, auch wenn der Schinerz nicht umgangen werden kann. Dagegen behaupten die Stoiker, dass das auf das Naturgemässe gerichtete Handeln, selbst wenn es dasselbe auch nicht erlange, das Sittliche, das allein Begehrenswerthe und das alleinige Gut sei.

      Kap. VIII. (§ 21.) Sonach giebt es sechs einfache Aussprüche über das höchste Gut und Uebel, von denen zwei keinen Schutzherrn, aber vier ihre Vertheidiger haben. Verbundene oder doppelte Bestimmungen des höchsten Guts giebt es überhaupt drei, und mehr konnte es, wenn man auf die Natur der Sache genau einging, auch nicht geben. Denn man konnte die Lust mit dem Sittlichen verbinden, wie Calliphon und Dinomachus thaten, oder die Schmerzlosigkeit konnte damit verbunden werden, wie von Diodor geschehn, oder das erste Naturgemässe, wie die Alten meinten, die man auch die Akademiker und Peripatetiker nennt. Da sich indess nicht Alles auf einmal sagen lässt, so mag jetzt als ausgemacht gelten, dass wir von der Lust abzusehn haben, wenn wir, wie sich gleich ergeben wird, zu Grösserem geboren sind. Ueber die Schmerzlosigkeit wird meist dasselbe gesagt, wie über die Lust. Da ich nun mit Torquatus über die Lust und mit Cato über das Sittliche, insofern es allein als das höchste Gut gelten soll, schon verhandelt habe, so gilt das früher zunächst über die Lust Gesagte beinah vollständig auch von der Schmerzlosigkeit; (§ 22) und es bedarf dann keiner weiteren Gründe gegen

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