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dann Parsenow und die Döbelns Zeuge seiner Allmacht. Er wendet sich kurz entschlossen zu dem Inspizienten. »Führen Sie mich zu dem Direktor!«

      »Hier, Herr Jraf ... hier!« Eilfertig öffnet jener mit dem Drücker die schmale eiserne Bühnenthüre... »jeben Sie acht ... zwei Stufen ... so ... nu rechts ...«

      Die wohlbekannte Bühnenluft schlägt dem Bankier entgegen, jenes Gemisch von Staub- und Moder-Geruch von Gashitze und Menschendunst. Die steifen, buntgeklexten Seitenkulissen, die bei jeder Bewegung zittern, der breite, von Querfurchen durchzogene Leinwandprospekt des Hintergrunds, die pappenen, im hölzernen Rahmen aufgespannten und am Boden festgeschraubten Versatzstücke ... das alles ist ihm nichts Neues mehr. Und noch weniger die Menschenwelt, die sich dazwischen bewegt, die Menge der Mädchen und Kinder, die ihn aus den schwarzunterstrichenen Augen in den roten starr geschminkten Gesichtern seelenlos wie Wachsfiguren anschauen.

      Im nächsten Augenblick steht der Direktor vor ihm und faßt ihn krampfhaft an der Hand. Er erkennt sofort den in der Lebewelt vielgenannten Bankier und ist entschlossen, die Gunst des Zufalls auszunutzen. Stammelnd beginnt er die Sachlage auseinanderzusetzen. Aber van Look unterbricht ihn mit einer kühlen Frage:

      »Wie viel?«

      Zum parlamentieren ist nicht viel Zeit. »Und wenn es auch nur dreitausend Mark sind ...« flüstert der Direktor hastig und sieht den andern erwartungsvoll an.

      Dreitausend Mark ... das ist ein starkes Stück. Der Bankier blinzelt unmutig hinauf zu den Soffitten, wo in langen Reihen die bunten Lampen zwischen dem Tauwerk des Schnürbodens schimmern. Was soll er machen? Fortgehen ist unmöglich. Feilschen kann er nicht. Es bleibt ihm nichts übrig, als sich der Situation zu beugen. »Schreiben Sie mir nachher eine Quittung«, sagt er und zieht nachlässig drei Tausendmarkscheine aus dem Portefeuille.

      Geld! ... Geld! ... In frohem Gemurmel läuft das Zauberwort von Mund zu Mund. Die geschminkten Gesichter beleben sich, die Choristinnen legen Strickstrümpfe bei Seite, die Kulissenschieber spucken sich in die Fäuste, und der Direktor ist plötzlich ein ganz anderer Mann geworden. Seine massige Gestalt richtet sich auf, seine Stimme klingt herrisch: »Na ... nu man rasch ... verstanden! ... Angetreten ... sag' ich, im Zwischenakt wird ausgezahlt ... Krump! ... geben Sie das Zeichen ...«

      Die Glocke tönt und während der Gobelin sich teilt und der Vorhang dahinter in die Höhe rollt, setzt die Musik ein. Der Lärm im Publikum verstummt. Ein freudiges Ah geht durch das Parkett beim Anblick der glänzenden Dekoration.

      Und die Violinen hüpfen im Dreivierteltakt, die tricotumspannten Beinpaare fliegen durcheinander, aus hellen Mädchenkehlen klingt ein einschmeichelnd süßes Lied. Alles ist in Ordnung.

      Mit kaltem Lächeln sieht Herr van Look sich aus dem Drahtgitter der ersten Kulisse den Scherz an, die Bühne, auf der dicht vor ihm die bunten Gestalten sich keuchend tummeln und unten, jenseits des Orchesters die reglos, wie versteinert dasitzenden Menschenreihen in dem verfinsterten Parkett. Der Direktor ist zu dem Pächter des Biertunnels hinabgelaufen, um die Scheine in Kleingeld zu wechseln.

      Einige Minuten amüsiert sich der Bankier über das Schauspiel, dann beginnt es ihn zu langweilen. Eben dreht er sich um, um die Bühne zu verlassen, als er die Ernesti neben sich stehen sieht, die erst gegen Ende des ersten Bildes aufzutreten hat.

      Es dauert allerdings einige Augenblicke, ehe er in der schmächtigen, fast nur mit Tricot, Tüll und etwas Goldflitter bekleideten Gestalt die elegante Erscheinung des Rennplatzes wiedererkannt. An den bloßen Schultern trägt Erna ein paar kleine steifgespannte Gaze-Flügel; ein Köcher mit Pfeilen hängt auf der linken Seite an goldenem Band, den dazugehörigen Bogen hält sie in der Rechten und schlägt, zerstreut damit spielend und zu Boden blickend, gelangweilt die Fußspitzen zusammen. Ihr seidenes Leibchen kracht und knistert bei jeder Bewegung. In dem Strahl der drahtvergitterten Kulissenlampe neben ihr glänzt das reiche, in einen griechischen Knoten geschlungene Haar, aus dem schräg ein Pfeil hervorragt, und schimmert die Puder- und Schminke-Schicht auf den schönen Zügen.

      »Wie kann man sich nur so entstellen?« denkt van Look, während er sie ansieht. Dieses mit Kakaobutter eingesalbte, erhitzte Gesicht, die geschwärzten Augenbrauen, die schwarzen Striche unter den Lidern, die roten Tupfen auf Kinn und Schläfen, die weißen Punkte auf der Mitte der hellrot gefärbten Wangen, der Puderstaub auf Schultern, Hals und Armen – das alles nimmt sich aus der Nähe nichts weniger wie schön aus. Andererseits freilich bringt das knappe Kostüm den schlanken Wuchs der Schauspielerin zur vollsten Geltung. Und der Bankier ist ein Kenner in solchen Dingen. Wäre nicht Parsenow, so hätte er schon lange einmal mit der Ernesti Beziehungen angeknüpft, aber die unangenehme und sattsam bekannte Eigenschaft des Grafen, auf zwanzig Schritt ein Kartenblatt mit der Kugel zu treffen, hielt ihn in einer achtungsvollen Entfernung. Immerhin kann er jetzt die Gelegenheit benutzen ... so hat er doch die dreitausend Mark nicht ganz umsonst ausgegeben.

      »Guten Abend, mein gnädiges Fräulein!« Mit einem ernsthaften und höflichen Gruß tritt van Look an den gelangweilten Cupido heran.

      »Oh ... Sie sinds.« Erna begrüßt ihn überraschend freundlich und hält ihm die Hand entgegen ... »wo stecken Sie denn eigentlich immer? ... man sieht Sie ja nirgends ...«

      »Geschäfte ... mein Fräulein!«

      »Schlecht scheinen Ihre Geschäfte nicht zu sein,« meint die Ernesti und weist mit dem Kopf nach hinten, ... »wenn Sie dem da tausend Thaler pumpen können ...«

      »Das that ich Ihretwegen.«

      »Meinetwegen! ... ich dank' schön. Ohne Sie hätten wir gar nicht angefangen, zu spielen. Dann säße ich jetzt gemütlich zu Hause, statt hier herumzulaufen und mir den Schnupfen zu holen ...«

      »... Im Dienste der Kunst!«

      »Schöne Kunst!« sagt die Schauspielerin verdrießlich. Sie hat zuweilen unter dem Eindrucke von Unannehmlichkeiten wie heute, eine Anwandlung von Trübsinn, ... »ein schönes Leben ... den ganzen Abend zwischen den staubigen Kulissen herumzulungern und vor all dem dummen Volk da unten im Parkett seine Mätzchen zu machen ... und dann zum Schluß ...« ihre Gedanken nehmen plötzlich eine andere Wendung, ihr Gesicht wird zornig,... »wissen Sie überhaupt, was hier passiert ist ... was dieser Direktor für ein Mensch ist ... meine neue Rolle will er wir abnehmen ... meine neue, schöne Rolle ... und dieser Krauß geben ... diesem armseligen Geschöpf ... heute früh hab' ich der Kröte noch zwanzig Mark geliehen, weil sie am Verhungern war ... das ist nun der Dank ...«

      »Sie werden die Rolle behalten, mein Fräulein,« erwidert der Bankier in ernstem Tone. »Verlassen Sie sich auf mich!«

      »Oh wirklich ...?« Erna sieht ihn lächelnd an, »das wär' aber lieb von Ihnen!« ... Und seufzend setzt sie hinzu: »Man hat ja so wenig Freunde auf der Welt.«

      »Warum kümmert sich denn Parsenow nicht darum?«

      »Ach Parsenow!« ... die Ernesti zuckt unmutig die blanken Schultern. Sie will noch etwas hinzusetzen, da tritt links auf Filzschuhen der Inspizient an sie heran: »Fräulein... es ist Zeit ... Sie müssen nach die Soffiten.«

      »Ach ja,« seufzt die Schauspielerin und wendet sich an van Look, »jetzt komme ich in der Flugmaschine von oben herunter. Sie wissen ... die Schlußapotheose ... Ich habe immer solche Angst, daß die Geschichte mal reißt ... der Maschinenmeister schwört freilich, es könne nichts passieren ... na ... auf Wiedersehen!«

      Damit legt sie sich einen mit blauer Seide gefütterten Schwanenpelzmantel um und steigt nach oben. Bald darauf ertönt das Klingelzeichen. Die Apotheose beginnt, die Bühne glänzt im hellen Schein der bengalischen Flammen, das Orchester bläst einen Tusch um den andern und von oben senkt sich, von einer Flammengloriole umflossen, Cupido unter verführerischem Lächeln, mit dem gespannten Bogen neckisch in die Runde zielend, zwischen die bunte Menge auf der Bühne hernieder.

      Ein Jubel des Beifalls geht durch den Zuschauerraum, man hört das eintönige Prasseln der zusammengeschlagenen Handflächen, der Vorhang fällt und hebt sich immer wieder, um von neuem das Bild zu zeigen, bis endlich Ruhe eintritt und das Publikum während der Pause in den Bier-Ausschank im Tunnel strömt. In dem Hause selbst bleiben

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