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      Bleich und gramvoll sah er Marie lange an, die seinem starren Blick nicht standhalten konnte. Endlich erwachte er aus seiner peinvollen Trunkenheit und sprach voll Trauer: »Und wenn is, was nich is, ach du mein Gott, ich gleeb's ja, verleicht is mei Kopp bloß an allem schuld, das heeßt, das ganze Leben macht's eem bloß vor. Nu ja, ja ... aber wenn so was Unsichtbares dir alles nimmt, was de vor dr siehst, dei ganze lumpige Hoffnung, un 's bleibt dr nischt, bloß de Kurasche zum Saufen ... nee, das weeßt du nich, wie das tut.«

      Nach einigem Sinnen wandte er sich wieder an Marie, und als habe er sie beleidigt und müsse sie nun versöhnen, klang seine Bitterkeit weich zitternd, und in seine trostlosen Augen kam ein Glanz, der nur für sie leuchtete.

      »Da sag mir's, was ich machen soll, und of dr Stelle geh ich heem, halt's Maul und bin, wie ich immer gewesen bin.«

      Der Lahme war in Gedanken versunken und hatte scheinbar auf das Gespräch der beiden nicht geachtet. Jetzt wandte er sich an Klose und fragte: »Woran fehlt's de nu eigentlich?«

      »Wenn du mich fragst, Karle: am besten fehlt's.«

      »Nach, Guste, wenn's of das ankommt, da reiß dr den Kopf nicht runter. Wenn de arbeiten willst, komm zu mir; ich will's Niederstücke umroden, da kannste mir helfen. Du kriegst of a Tag acht Böhmen und de Kost. Wenn de willst, hier is mei Hand.«

      Aber der Schuster ergriff Exners dargebotene Rechte nicht, sondern fragte: »Ja, dahier soll ich blein, aus und ein gehn ei beim Hause, an deim Tische sitzen? Nee, alles, bloß das geht nich!«

      Jäh fuhr er auf. »Adje! und denk, ich war nich dahier.«

      Er bebte am ganzen Leibe, und sein Gesicht war kalkweiß.

      Der Lahme packte seine Hand und ließ sie nicht los: »Guste, wach uf! Du bist wohl ungescheit geworn!«

      Klose machte verzweifelte Anstrengungen, den eisernen Griff des Lahmen zu lösen, und stotterte in höchster Verwirrung: »Soll ich dich belügen, hintergehn, betrügen! – Laß mich los, laß mich, ich muß laufen, durch Büsche, über Wasser, immer an Leuten und Häusern vorbei, bis ich hinstürz mit dem letzten Odem ei dr Lunge ...« Exner war aufgesprungen, hatte ihn um den Leib gefaßt und rang mit dem Tobenden, bis dieser kraftlos in seinen starken Armen lag.

      Schwer atmend ließ er endlich von dem Schuster: »Guste, du hast Kräfte, ma sähch dir's nich an. Aber nimm och Vernunft cm, ich will dir ja nischt schenken. Und da hast du een Tagelohn zum voraus, daß die zu Hause nich ohne Geld sein.«

      Aber Klose rührte sich nicht, und der Lahme steckte ihm die Münzen in die Jackettasche; dann wandte er sich an sein Weib: »Und du, Marie, geh schnell und gib ihm einen ordentlichen Krug Milch, a Brot un a Viertelchen Butter!«

      Eilig war Marie im Haufe, und nach wenigen Augenblicken erschien sie wieder und hielt mit rührendem Glück im Gesicht ihm alles hin.

      Klose stand wie ein Bildstock und starrte entsetzt auf das schöne, junge Weib, das schmeichelnd bat: »Guste, tu mir den Gefallen, nimm's und sei nich mehr böse.« Errötend langte der Schuster endlich nach dem Geschenk, stammelte etwas und ging wie im Traume davon.

      Sie begleiteten ihn bis zur Mauer und sahen ihm nach, wie er auf einsamen Steigen dem Dorfe zuschritt. –

      Marie hatte die Empfindung, als sei mit dem Unglücklichen ein tiefes, unaussprechliches Leid von ihr gegangen. Die Weiten ihrer Seele öffneten sich wieder strahlend.

      Der, dem sie sich wie einem düster«, unabwendbaren Geschick verbunden hatte, war plötzlich ein Wesen geworden, dem sie gern die Kammern ihres Innern auftun durfte, weil er barmherzig dem Trostlosen geholfen hatte. Eine glückliche, weihevolle Stimmung überkam sie.

      In dieser Stunde war sie im Herzen sein Weib geworden.

      Noch immer standen sie zwischen den Steinwänden, die unwirtlich und öde dalagen wie ihr bisheriges, gemeinsames Leben, und sahen hinaus in den Morgen.

      Das Licht floß über ihre Stirnen, und das große, grobe Gesicht Einers schimmerte wie ein Felsen, der in der Sonne sieht. Da umschlang Marie errötend den Manu, er beugte sich zu ihr nieder, und sie küßte ihn auf den Mund.

      Dann schritten sie Hand in Hand dem Hause zu, und Marie gab ihm freudig die Süße ihres unberührten Leibes.

      Der Ungefüge trank sie, wie der heiße Sommersturm die Wasser schlürft.

      11

       Inhaltsverzeichnis

      Am grauen Morgen erwachte Exner wie wachgerüttelt. Das erste Licht sank über die aufgelösten Blondhaare seines Weibes, deren Kopf auf dem untergeschobenen entblößten Arm ruhte. Ihr Gesicht war gegen die Stube gekehrt, in tiefem Schlaf und schimmerte in der schlaffen Schönheit einer befruchteten Blume.

      Der Klumpen lächelte geringschätzig über ihre Müdigkeit, kleidete sich hastig an und verschwand ziemlich geräuschvoll aus der Schlafkammer. Jeder Mann steht gestärkt vom Mahle der Liebe auf und greift herzhafter in die Speichen der Pflicht.

      Für den Lahmen war es ein Peitschenhieb gewesen, und ungeduldig, wie ein Roß nach der Rennbahn drängt, ging er an sein Werk, noch ehe der erste Hahnenschrei verklungen war.

      Dunstig wie ein Federbett lag der Himmel über der Erde. Taulos standen Gras und Busch in der stillen, stockigen Wärme. Der Kuckuck rief undeutlich, wie durch die hohle Hand jemand aus der Weite redet.

      Mißmutig begab sich Einer auf einen Rundgang um die Felder. Da und dort bog er die Saat auseinander und sah, ob sie sich bestocke. Dann schüttelte er jedesmal den Kopf und schaute über die Breiten hin, auf und ab, aber er ward nicht froher. Jeder Halm, sein und durchsichtig, trug regungslos das kleine Büschel krankhaft grüner Blattchen. Die Felder lagen da wie vergilbende Gewänder.

      Exner stieß im Weiterwandern immer wieder den Fuß durch das kurze Gras und murmelte: »Wieder keen Tau, wieder nich een Troppen«, und hob den Kopf lange nicht.

      Als vom Erlengrund herüber die Sägemühle zu heulen begann, trat er wieder ins Haus. In der Stube stand Marie vor dem kleinen Spiegel und steckte sich die schweren Flechten auf. Als Exner unwirsch die Tür öffnete, war sie gerade fertig, ließ die Arme sinken, ging ihm froh entgegen, ergriff seine herabhängende Hand und sagte, sie pressend: »Na guten Morgen, du Ausreißer!«

      Seinen starren Blick mißverstehend, errötete sie tief, wandte sich jäh ab, dem Ofen zu und sprach im Hingehen mit liebem Schmollen: »Da ruft ma und ruft, derwelle stiefelt er wer weiß wo rum.«

      Er drehte den Kopf nach ihr und entgegnete unfreundlich: »Ja, rum. Wärste lieber mit ufgestanden, da wärste nich aso gepatzig tun. Dir würde 's Lachen vergehen, wenn du den Hafer sähst!«

      »Na, Karla, a so schlimm is doch nich!« antwortete sie begütigend.

      »Da hast du dein Freirichter! Das is ein Filz, das Haferla!« Er hatte sich auf die Bank gesetzt. Nach einem rauhen Lachen sah er halb zum Fenster hinaus, gewahrte die Blutbretter des Brunnens, gedachte der friedlichen Stille, in der er sein Weib und Freiwald getroffen, und der Wetterprophezeiung des letzteren. Und als habe durch zu große Freundlichkeit gegen den Greis Marie eine Schuld an dem trockenen Wetter, sprach er bitter: »Immer kriech du 'n hinten rein, dem Freirichter und dem Freiwald. Du wirst ja sehen, wohin das führt.«

      Dann stand er auf und ging einigemal durch die Stube. Marie versuchte durch ruhigen Zuspruch und durch Scherz seine Grillen zu vertreiben, es gelang ihr nicht. Er ging immer hin und wider und sah sie von der Seite an. Zum Schluß sagte er: »Red, was du willst. Eemal hab' ich dir gefolgt und nich mehr, merk dir's!« Damit verließ er wieder die Stube.

      Sein Weib sah noch auf die Tür, als sie sich lange hinter ihm geschlossen hatte und das Handtuch daran ganz ruhig hing. Endlich wich der tiefe Ernst auf ihrem Gesicht einem sonnigen Lächeln.

      »So ein Mann is doch, meiner Seele, zu komisch«, sagte sie kopfschüttelnd und hantierte am

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