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Augen hatten den großen, starren Blick der Sorge.

      Leonore erhob sich, ging ihr einen Schritt entgegen, küßte sie still auf die Stirn und lachte froh, so: besorge dich nicht. Dann fiel sie ihr in mädchenhafter Anmut nochmals um den Hals. Diese Umarmung dauerte lange, und ihr stummes Umfangen hatte das Wesen der Offenbarung eines tiefen Geheimnisses.

      Plötzlich kam jache Glut über sie, und von ihren Lippen stürzten sich fiebernde Küsse. Dazwischen hauchte die Scham ihres Bekenntnisses: „Mutter! — Mutter! — Liebe, allerliebste Mutter!“

      Als sie sich endlich von ihrem Halse losrang, standen ihre glänzenden Augen voll Thränen.

      „Nä ha, Lordl!“ konnte die Alte endlich hervorbringen.

      „Ach Lordl! — Lordl! — Siehst de; aber der spricht halt immer Lor—la!“

      „Das is doch egal.“

      „Nein, wenn’s egal wär, da, da . . . wärsch eben egal, da . . .“

      „Na ja, solche Tommheit! — Aso is! — Was håst de nu heite wieder mit ’m gemacht!?“

      „Was denn?“

      „Nu hä, verstell dich nie erscht. Er hat . . . er is doch . . .“

      „Er? — er!! — Natürlich. ‚Er’ lauft zur Schwiegermutter wie ein Junge: de hå‘n mrsch Pfadla weggenumma!“

      „Nu här åber uf! Wås wellst de denn? — Sol a etwa nie zur Mutter giehn, sol a etwa zu fremda Leita?“

      „Ach!“

      „Ja, dås is keene Årt nie. Du warscht arm wie a leeres Kuchabrat un er hått‘ålls.“

      „Aber wenn ich dir sage, er hat mich geärgert.“

      „Wie denn? — Na, wie denn, hä? — Ja, da weeßt de kee Stäubla! Der? dich ärgern? — Du mein! Kee Wåsser kånn der nich betrüba!“

      „Här auf Mutter! ‘s is zum Verricktwer’n. Das verstehste nich, merk dirs, das versteh ich blos, ich ganz alleene, denn ich bin sei Weib.“

      Bei den letzten Worten richtete sie sich auf und eine tiefe Röte stieg ihr ins Gesicht.

      Die Mutter dachte an die „heißen Nerven“ und lenkte ein.

      Bald glitt das Gespräch in jenem seichten, sanften Fahrwasser dahin, von dem es getragen wird, wenn Frauen über alles reden.

      Darüber erwachte Gustav. Sogleich riß ihn die Mutter aus dem Wagen und wiegte ihn in stürmischer Freude in den Armen:

      „Das Tind wird Hungerle haben! — Was für ein Duschele es ufsperrt — ha! — ausdeschlaft? — — — Wie ein Terke . . . wie ein Terke . . . mir . . . mir . . . wart, wart Dustele . . . mir wer’n den Kerl amål aufpacken, daß er sich ausstrabeln kån.“

      „Aber nich ganz auspacken, Mutter, er kennde sich erkälten.“

      „Ach ‘s is jå wårm hier . . . a muß doch a wing sich ausziehn! — Sieh’ch amål, wie a sich streckt, was fir a langer Kalle dås is!“

      „Jesses, aber Mutter, was denkt ‘r denn?“

      Leonore ward glührot und deckte eine Windel auf seinen entblößten Unterleib.

      „Åber Mädl, du bist doch seine Mutter!“

      „Nein, das geht nich, Mutter, nein!“

      „Nu mein Gott ‘och a, du bist doch jetze verheirat’t.“ Und sie zog mit Gewalt die Unterlage wieder fort.

      Da verließ Leonore flüchtend die Stube.

      Die Mutter stand vor einem Rätsel. Ihr Gesicht war tief bekümmert. Langsam, wie eine mühselige, schwere Arbeit, verrichtete sie das Einbetten des Kindes.

      „Dås weeß dr Himmel, wås met dem Mädel håt. As, aso . . . nä . . . aso was! . . . Dås weist nie gut. Ich möchts åber um ålls eo der Welt wessa, vo‘ wem die a Kop håt! . . . Mei Mån? . . . nä! . . . oder ich? Du mein och a! . . .“

      Sie redete noch immer vor sich hin, als Leonore mit der Amme wieder hereintrat.

      Stumm legte die alte Marseln dieser den Knaben in die Arme, und als sie ihrer Tochter die Hand zum Abschied reichte, gab sie ihr ein Zeichen, mit auf den Flur zu kommen.

      Als sie draußen standen, ergriff die Alte hastig die Hände des jungen Weibes und indem sie tief in ihr Gesicht schaute, sagte sie in gedämpfter Härte:

      „Du, Lordl, bet‘, bet‘! — Das is a biese Fleckla, å dem de stiehst. Bet‘, daß du’s iberkemmst.“

      „Mag sein, ich kann nie, Mutter, dås nie; iberhaupt wenn jemand derbei is,“ antwortete sie entschieden.

      Bekümmert ging die Alte.

      Trotzdem war Leonore in kurzer Zeit wieder in der ruhigen, verhaltenen Stimmung, in den weichen Armen eines verborgenen Liedes.

      5

       Inhaltsverzeichnis

      Ein weiches, mehr angedeutetes Lächeln verschwand lange nicht von ihrem Gesicht. Sie lachte es auch mit jeder Bewegung ihres Leibes. In spielender Biegsamkeit, schwebend, nicht mehr in jäher Aufgeregtheit, zuckend ging und arbeitete sie. Sie gewöhnte sich eine eigene Art an, die Haare an den Schläfen zurückzustreichen. Dann hielt sie langsam, wie auf die leise Sicherheit eines bedeutsam-inneren Anstoßes hin, inne, bog wie trinkend das Haupt zurück, und während sie die entgegengesetzte Hand in weitem Bogen an ihrer Stirn vorüberführte, um danach wühlend durch die goldenen Locken über ihren dünnen Ohren zu fahren, schloß sie die Augen, und ihr Gesicht nahm einen seligen Ausdruck an. Das stärkte und erheiterte sie, gleich einem tiefen Stoßgebet.

      Die Unterordnung der Dienstboten unter den klaren Willen Leonores hatte sich unterdeß auch vollzogen, und so atmete die Zeit regelmäßige, scheinbar sanfte Tage durch das große Griebelsche Haus.

      Die Hände auf dem Rücken, die Lippen und das Haupt vom Sinnen eines behorchten Gesanges gefangen, schritt Leonore oft lange im Flur des zweiten Stockwerkes hin und her.

      Es that ihr wohl, wenn die rollenden Falten ihres Kleides die Luft um sie aufregten, daß sie streichelnd an den Wänden hinglitt. Denn dann hatte sie die stolze Empfindung einer geheimnisvollen Stärke, einer Wirksamkeit jenseits körperlicher Grenzen. Je tiefer ihr aufgeregtes Schreiten sie in diese Empfindung hineinführte, desto lebhafter entstand ein Gewirr tiefster Töne, brennendster Farben, grellster Gedankenstücke, jähester Stimmungen in ihr, die sich in blinder Inbrunst ruhelos durcheinanderschlangen.

      Alles Stärkste, Hingebende, Heilige und Reine lag darin und rann durch die Luft, die ihr Kleid um sie aufwühlte, zwecklos aus ihr hinaus, ohne wiederzukehren. Und in dieser Lücke ihres Daseins, durch das sich alles verlor, wohnte dann das Saugen eines Verlangens, das so qualvoll war, weil noch keine Richtung es abgeschwächt hatte. So kam sie zu der Überzeugung, daß sie doch ganz hilflos und umsonst lebe. In heißem Pochen gab ihr Herz diesem Gedanken recht, daß sie im Schrecken stillstand und mit fragendem Blick den Flur hinsah. Die weite, kahle Stille erbarmte sich ihrer nicht, sondern bestätigte mit herzloser Ruhe diese Befürchtung.

      Beizende Thränen erfüllten endlich Leonores Blick, die so tief erschüttert war, als hätte jemand mit tausend guten Gründen die Unnötigkeit ihres Lebens bewiesen.

      „Ach du mein eenziger Gott, wo sol ich denn hin! — Ich kann doch nischt derfier! — Warum geht mir’s so?“ Dann eilte sie in den großen Garten und wandelte unter den stillen Bäumen hin und her, durch deren herbstlichtere Kronen der kühl-blaue Himmel den Drang ihrer fernsten Seele beruhigte.

      Bei dieser Gelegenheit kam Griebel auch manchmal in den Garten. Während sie unter den Bäumen wandelte, kroch er umher, trug dürre Ästchen zusammen, schnitt da und dort

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