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gab es unzählige kleine Wirbel, die seine Frisur immer zerzaust aussehen ließen, wie sehr er sich auch mit dem Kamm bemühte.

      »Stimmt was nicht?« Einer der so genannten Springer kam auf den Hof, Mats hatte vergessen, wie er hieß. Er kam von einer anderen Feuerwehrwache, war als Verstärkung gerufen worden, weil es heute so knapp mit Leuten war. Springer wurden sie immer genannt.

      »Ich krieg die Karre nicht zum Laufen.«

      »Ist die Batterie vielleicht leer?«

      »Glaube ich nicht.«

      »Soll ich mal versuchen? Ich habe den Gleichen.«

      »Bitte.«

      Mats gab ihm den Schlüssel. Da war ein Geräusch in seinem Schädel, ein leises, rinnendes Geräusch. Wie von Wasser. Er sah, wie der andere in den Wagen stieg, und da fiel ihm auch dessen Name ein, Andersson irgendwas – Andreas? Und er kam von der Wache auf Kungsholmen.

      Das Auto startete, sobald der Schlüssel im Zündschloss gedreht wurde. Andersson grinste.

      »Bitte schön! Alles klar!«

      Mats zuckte mit den Schultern.

      »Danke. Weiß der Teufel, woran es lag. Vielleicht an der Feuchtigkeit? Aber solche Zicken hat er noch nie gemacht.«

      Andersson stieg wieder aus. Er schaute über den Hof hin.

      »Du ... das mit Almis ist einfach zu schrecklich«, sagte er steif.

      »Ja.«

      »Was ist passiert, hat er Panik gekriegt?«

      »Keine Ahnung. Scheint ja ganz so.«

      »Es ist einfach schrecklich! Zu schrecklich.«

      »Ich muss jetzt los. Nach Hause. Meine Frau muss zum Zahnarzt.«

      »Okay. Bis bald.«

      Es war halb elf. Der morgendliche Berufsverkehr war schon lange vorbei. Es schneite immer noch, aber nicht mehr so stark, nur kleine müde, dünne Flocken, die schmolzen, sobald sie auf den Boden trafen. Mats fuhr an Alvik vorbei, hier gab es einige Baustellen, eine neue Schnellbahnlinie sollte direkt nach Globen gehen. Im Berg links konnte er die Tunnelöffnung erkennen, gleich neben der neuen Tennishalle. Die alte brannte an dem Tag ab, als er dreißig wurde. Das war jetzt gut fünf Jahre her. Arbeiter hatten damals bei Renovierungsarbeiten fünf alte Ölkessel vom Dachboden heruntergeholt. Als sie die Rohre am Morgen im Dach abschnitten, sprang ein Schweißfunken in die Isolierung. Dort lag er dann ein paar Stunden und glühte vor sich hin, bis er richtig Feuer fing. Gegen fünf Uhr nachmittags war das gesamte Gebäude bis auf die Grundmauern niedergebrannt.

      Das war ein Freitag gewesen, wie er sich noch erinnerte. Er hatte daheim auf dem Balkon gestanden und ein Glas Champagner getrunken. Die ersten Geburtstagsgäste waren bereits eingetroffen. Sie hatten alle auf den dicken schwarzen Rauch gestarrt und gedacht, dass ein Flugzeug bei Bromma abgestürzt sein müsste. Dann hatten sie das Radio eingeschaltet und erfahren, was passiert war.

      Mats hatte fast den ganzen Weg nach Hause grünes Licht und brauchte auch an den Kreisverkehren kaum zu warten. Beim Altersheim bog er nach links ab und folgte dem Sandviksvägen, bis er zu dem Reihenhaus kam, in dem er wohnte. Die Gegend wurde »Liebeskraut« genannt, weil die Straßennamen im Viertel alle nach unterschiedlichen Gewächsen benannt worden waren. Hässelby war bekannt für seine alten Gartenkolonien, aber jetzt gab es davon nicht mehr viele. Jeder grüne Fleck war mittlerweile mit Reihenhäusern oder Villen bebaut.

      Camilla und Mats hatten ihr Haus schon vor einigen Jahren gefunden, als die Jungs noch gar nicht geplant gewesen waren. Es war teuer, eigentlich zu teuer für ihre Verhältnisse, und wie merkwürdig das auch klingen mochte, dadurch, dass Camilla aufhörte zu arbeiten, hatte sie einiges gewonnen. Sie hatte eine Boutique im Einkaufszentrum Akermyntan gehabt. Aber die lief nicht, obwohl sie eine Menge Geld in Anzeigen investierte und selbst herumlief und Reklamezettel verteilte, sobald sie Zeit dazu hatte. Sie hielt eine ganze Weile aus, bis sie sich geschlagen gab und endlich den Laden dichtmachte. Jetzt war sie zu Hause mit den Zwillingen.

      Mats fuhr den Wagen nicht erst in die Garage, sie brauchte ihn ja gleich. Sie stand am Küchenfenster und hielt nach ihm Ausschau.

      Sie hatte sich zurechtgemacht, das Haar hatte sie hochgesteckt, trug das hübsche hellgraue Kostüm. Er hob die Hand und winkte ihr zu. Sie machte eine unzufriedene Geste.

      Die Jungs sprangen ihm entgegen, sobald er die Tür öffnete. Er ging in die Hocke, drückte sie so heftig an sich, dass ihre Köpfe gegeneinander schlugen. Sie holten tief Luft und begannen gleichzeitig zu schreien, schrill und anklagend.

      »Du musst ein bisschen vorsichtiger sein!«, sagte Camilla. Sie sah gehetzt aus. Sie nahm ihren Mantel, hielt dann aber inne und starrte ihn an.

      »Mats ... was ist los?«

      »Nichts.«

      »Da ist doch was, ich sehe, dass du was hast.«

      »Fahr zum Zahnarzt! Wir reden später drüber.«

      »Ist es was Schlimmes? Hat es was mit uns beiden zu tun?«

      »Nein, damit hat es gar nichts zu tun.«

      Sie sank ein wenig zusammen, schob den Mantelärmel hoch, warf einen hastigen Blick auf die Armbanduhr.

      »Oh je! Ich muss mich beeilen.«

      Er nahm die Jungs mit sich in die Küche. Setzte sie auf ihre Kinderstühle, pustete ihnen ins Haar. Das war dünn und flaumig, sie hörten auf zu weinen und betrachteten ihn mit aufgerissenen Augen.

      »Tuchen!« Simon hob einen weichen, dicken Finger und zeigte auffordernd zur Anrichte, auf der auf einem Teller ein Napfkuchen stand. Erst jetzt bemerkte Mats, dass es nach frisch gebackenem Kuchen roch. Er holte ein Messer heraus.

      »Ja, ja. Ihr kriegt jeder euren Tuchen!«

      Er schnitt zwei dicke Scheiben ab und legte sie vor die beiden, ohne Teller. Sie fingen sofort an zu essen. Er goss sich ein Glas Wasser ein, aber als er es zum Mund führen wollte, glitt es ihm aus der Hand und fiel ins Spülbecken. Es ging nicht kaputt, das bemerkte er mit einer gewissen Erleichterung. Die Zwillinge starrten ihn an.

      »Oi!«, rief Lukas. »Papa Las fallen!«

      »Ja«, sagte Mats. »Papa hat das Glas fallen lassen.«

      Dann begannen seine Arme zu zitternd, und ein heftiger, plötzlich einsetzender Schwindel zwang ihn in die Knie.

      »Almis«, durchfuhr es ihn. »Verdammter Scheiß-Almis.«

      Nein! Er musste warten. Er schaffte das jetzt nicht. Jetzt nicht, später. Wenn Camilla nach Hause kam. Erst dann.

      Das Telefon klingelte. Er zwang sich aufzustehen. Nahm den Hörer ab. Es war eine Journalistin vom Aftonbladet. Er hörte ihren Namen, vergaß ihn aber sofort wieder.

      »Ich möchte Ihnen zuerst mein Beileid aussprechen«, sagte sie.

      »Ja und?«

      »Was für ein Gefühl ist das?«

      »Was für ein Gefühl das ist?«

      »Ja ... Ich meine ... Sie waren ja sozusagen ... mit ihm da in dem brennenden Inferno. Ich meine, mit Stefan Almgren. Ihrem Kollegen. Sie waren doch bei ihm, als er starb.«

      »Was für ein Gefühl das ist! Ja, was glauben Sie denn?«

      Sie senkte ihre Stimme, fuhr vorsichtiger fort.

      »Entschuldigen Sie, wenn ich Sie störe und dumme Fragen stelle.«

      Er gab keine Antwort.

      »Aber Sie müssen wissen, dass es auch für mich nicht so leicht ist. Ich versuche ja auch nur, meine Arbeit zu tun. Genau wie Sie. Deshalb könnten Sie doch so nett sein und mir antworten, nicht wahr? Was ist da drinnen passiert, als es gebrannt hat?«

      Mats warf den Hörer hin. Er bereute es sofort, nahm ihn wieder hoch, und sie war noch

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