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Das ganze Gebäude lag wie ein düsterer Klotz in der Dunkelheit. Die Fensterrahmen und die großen Eisentüren waren blau angestrichen. Ein Teil der Fenster war vergittert. Rechts davon stapelten sich die ausgeschlachteten Autoskelette in mehreren Etagen, zusammengepresst, türlos und ihrer Würde beraubt. Eine kleinere Tür, gerade so groß, dass ein Mensch hindurchpasste, war wie ein Puzzleteilchen in eine Eisentür eingesetzt.

      LB drückte die Klinke runter. Es war nicht abgeschlossen. Dort drinnen gab es offensichtlich noch eine Tür, und jetzt konnten sie Rauchschwaden zwischen den Ritzen durchsickern sehen.

      »Okay, Jungs, macht euch bereit.«

      Sie zogen sich die Gesichtsmasken über und spannten alle Riemen und Gurte fest. Der Sauerstoff war kühl, schlürfend atmeten sie ihn ein. Sie kontrollierten sich gegenseitig, war das System dicht, sah alles korrekt aus? Dann entrollten sie einige Meter Wasserschlauch mit der Düsenspitze und gingen los.

      Stefan Almgren war in dieser Nacht die Nummer zwei. Vor sich sah er Engens Rücken, das blinkende rote Signal seiner Sauerstoffflaschen. Im Eingang standen jede Menge Möbel, alles durcheinander, als wäre die Firma dabei umzuziehen. Engen fand einen Lichtschalter und versuchte ihn einzuschalten. Aber er funktionierte nicht.

      Anfangs war der Rauch noch dünn, glitt dahin, als wollte er nur mit ihnen spielen, und tat ganz harmlos. Stefan Almgren hatte ein unangenehmes Gefühl. Aber genau genommen war es immer unangenehm, in ein brennendes Gebäude zu gehen. Was würden sie finden? Würde es schwierig werden? Aber hier, hier war etwas merkwürdig, er konnte nur nicht sagen, was.

      Sie befanden sich in einem sehr kleinen Raum, einem Vorraum oder Flur. Eine einzige Tür führte weiter zu den anderen Zimmern. Und dort befand sich der Brandherd.

      Sie öffneten die Tür und gingen in die Hocke. Der Rauch kam ihnen entgegen, er kam mit großer Kraft und ließ sie einen Augenblick schwanken. Dann hörten sie ein Geräusch. Es klang wie ein Mensch, ein dumpfer, jammernder Ruf von jemandem, der sich dort drinnen befand. Von jemandem, der in Gefahr war.

      Stefan Almgren hörte Engens Stimme, durch die Gesichtsmaske gedämpft.

      »Hast du das gehört, Almis?«

      »Ja ... Es scheint jemand da drinnen zu sein.«

      »Wir müssen weiter reingehen.«

      »Ja.«

      Engen übernahm den Funkkontakt, rief Anker, der draußen wartete. Anker Hahn, Tuborg genannt, war jetzt ihre Rückendeckung, er sollte sie leiten und lenken, sie herausschleusen für den Fall, dass sie die Orientierung verloren.

      »Wir haben hier drinnen etwas gehört, das wie ein Mensch klingt.«

      »Wie ist die Lage?«

      »Im Augenblick können wir nichts sehen, dazu ist zu viel Rauch da.«

      »Könnt ihr weiter vordringen?«

      »Okay. Wir versuchen es, mit der rechten Hand an der Wand.«

      »Verstanden.«

      Stefan Almgren zog mehr Schlauch herein. Langsam krochen sie voran, suchten sich mit den Händen ihren Weg. Jetzt wurde es heiß, der Schweiß brach ihm aus. Er spürte das so vertraute Schwindelgefühl, das jedes Mal nach einer Weile einsetzte, und dann die Müdigkeit, die das Herz schneller pumpen ließ. Normalerweise dauerte es länger, mehr als zwanzig Minuten, bis man diesen Zustand erreichte. Er dachte, dass er das wohl Engen erzählen musste. Er wurde langsam müde, er dachte, dass sie doch erst fünf Minuten oder so hier drinnen waren. Er sah das kleine rote Blinklicht irgendwo vor sich, den Rücken seines Kollegen, es flimmerte und flackerte.

      Er hatte überlegt, ob er eine Woche Urlaub nehmen sollte. Irgendwohin abhauen, auf die Kanarischen Inseln oder nach Tunesien. Bald war Weihnachten, in nicht einmal einem Monat. Er sah sich selbst im Fernsehsessel, allein mit Donald Duck. Jedes Mal, wenn sich der Gedanke ihm aufdrängte, wurde er ganz steif und verkrampft im Nacken. Dann konnte er sich nur mit Mühe bewegen, kaum richtig atmen. Er konnte sich denken, dass es nicht einfach sein würde, so kurzfristig noch einen Platz für eine Charterreise zu kriegen. Die Leute waren ganz verrückt nach Sonne nach dem langen verregneten Sommer, sie wollten um jeden Preis einfach nur weg. Und er hatte sich noch nicht einmal nach freien Plätzen erkundigt.

      Er kroch mit der Stirn dem Boden zugewandt, packte den Schlauch fester, versuchte, ihn weiter hereinzuziehen. Das ging nicht. Der Schlauch musste sich irgendwo verhakt haben. Er drehte sich halb um, stieß aber mit dem Kopf gegen etwas Hartes, als wäre ein Wand oder eine Tür hinter ihm aufgedrückt worden, obwohl es doch vorher so etwas hier nicht gegeben hatte.

      »Was zum Teufel ...?«, rief er und erwartete, Engens oder Tuborgs Stimme zu hören, was ist, Almis, ist alles okay? Aber er hörte sie nicht, spürte nur die Hitze, sie schien zugenommen zu haben, und er drehte sich noch einmal um, wollte dann mit dem Schlauch weiterkriechen. Er griff nach ihm, legte sich der Länge nach auf den Bauch und streckte die Arme, so weit es ging, aus.

      Da war wieder das Geräusch, das Geräusch eines Menschen in Not. Er zwang seinen Kopf nach oben, leuchtete mit seiner Taschenlampe, sah einen Helm und Reflektoren.

      »Engen?«, rief er.

      Der andere kam näher, kam direkt auf ihn zu, immer näher.

      Stefan Almgren kam auf die Knie und der Schweiß tropfte von den Brustwarzen.

      »Engen, was ist denn verdammt noch mal los?«

      Da sah er das Gesicht eines anderen, er sah ihm direkt in die Augen, und es war nicht Engen, er sah das im selben Moment, in dem die Atemmaske ihm vom Gesicht gerissen wurde und der Rauch in Mund und Nase drang. Er schnappte nach Luft, fing jedoch sogleich an zu husten und bekam einen Stoß, dass er seitlängs auf die Steinplatten fiel. Während der andere seine Füße packte und ihn über den Boden zog, versuchte er nach etwas zu greifen, um dagegen anzugehen, aber das ging nicht. Er fand nichts, und der Rauch machte ihn schwindlig und willenlos. Der Mann, der nicht Engen war, beugte sich über sein Gesicht. Stefan Almgren, genannt Almis, jammerte leise und hustete. Dann öffnete er seine Augen, und für eine Sekunde sah er, wer der andere war. Sein Körper zuckte in träger Verwunderung. Aber er bekam keine Angst. Er warf den Kopf zur Seite und bewegte die Lippen, als wollte er etwas sagen.

      Anschließend glitt er ins Dunkel hinein.

      2

      Franki mochte keine Kirchen. Sie hatten etwas Strenges an sich, etwas Hartes, Abstoßendes. Außerdem war da etwas mit dem Geruch, ein gedämpfter, mit Kalk gesättigter Geruch ohne jede Andeutung von Gefühlen. Sobald er unter diese Kuppeln trat, fühlte er sich klein, als würden sie sich über ihn senken und ihn einfangen. Wie bei einer Mausefalle, kam ihm in den Sinn, eine Mausefalle.

      Seiner Mutter sagte er davon nichts.

      »Ich kann nicht«, sagte er. »Ich habe keine Zeit.«

      Sie hatte Karten für ein Konzert bekommen. Mozarts Requiem. Sie hatte sie von einer Kundin geschenkt bekommen, und es waren gute Plätze, in der Storkyrkan, ganz vorn. Sie bat ihn, doch mit ihr hinzugehen, es sei so erbärmlich, allein zu gehen.

      »Wieso erbärmlich?«

      »Ach, du verstehst schon, was ich meine.«

      Doch ja, er verstand es.

      Schließlich versprach er doch mitzukommen.

      Das war im Dezember gewesen. Draußen in den Vororten hatte grauer, schmutziger Schnee gelegen. Als er zur U-Bahn ging, wäre er fast an einer vereisten Stelle ausgerutscht, der Schmerz schoss ihm hoch bis ins Rückgrat.

      Mutter wartete vor dem Kiosk auf ihn. Sie trug einen dunkelbraunen Pelz und einen Hut mit einem kleinen Schmuck daran. Sie sah sonderbar fremd aus. Aus der Handtasche zog sie das Geld. Sie gingen zur Sperre.

      »Zweimal bis Gamla stan«, sagte sie, und ihre Stimme war ruhig und kräftig. Sein Gefühl der Unlust verging.

      Der Zug stand mit geschlossenen Türen am Bahnsteig. Sie gingen zu einem der mittleren Wagen. Franki drückte

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