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fester Stimme sagte sie: „Ich habe niemand anderen erwartet!“

      Sobald sie wieder einigermaßen auf den Beinen war, drängte Susanne Schäfer darauf, das Städtische Krankenhaus zu verlassen. Es zog sie zwar nicht nach Hause — ein wirkliches Zuhause besaß sie ja gar nicht —, und sie war sich auch darüber klar, daß sie durchaus nichts versäumte. Aber das schmale, nüchtern eingerichtete Zimmer war ihr verhaßt geworden. Sie hatte hier so viel Ungutes erlebt, es war voll böser Erinnerungen.

      Immer wieder mußte sie an die niederschmetternde Szene mit Oskar Wünning denken. Auch das Verhör durch zwei Herren der Kriminalpolizei, dem sie sich hatte unterziehen müssen, ging ihr nicht aus dem Kopf. Die Herren hatten Fragen gestellt, viele Fragen, und manche hatten sich mehr als einmal wiederholt. Sie hatten sich eifrig Notizen gemacht, waren höflich und sachlich gewesen — aber sie hatten sich mit keiner Silbe darüber geäußert, was sie selbst von dem ganzen Fall dachten. Sie hatten Susanne Schäfer mit dem zermürbenden Gefühl zurückgelassen, einen Fehler gemacht zu haben, den sie selbst unfähig war zu erkennen, oder einfach etwas Falsches, etwas Belastendes über ihr eigenes Ich ausgesagt zu haben.

      Nein, Susanne Schäfer ertrug es nicht länger zwischen diesen engen, kahlen Wänden, sie fühlte sich eingesperrt wie in einer Gefängniszelle und ahnte nicht, daß ihr durch den Krankenhausaufenthalt einiges erspart geblieben war.

      Dr. Herzog hatte sie streng gegen alle unliebsamen Besucher abgeschirmt. Wäre Oskar Wünning ein zweitesmal gekommen, hätte er ihn wohl nicht mehr zu der Patientin gelassen. Vor allem aber achtete er darauf, daß sie durch keinen Reporter belästigt wurde, und das war sehr nötig. Denn in den ersten Tagen nach dem tragischen Unfall waren eine Menge Zeitungsleute nach Bad Kreuzfeld gekommen. Sie hatten die Kinder der dritten Klasse befragt, die zufälligen Augenzeugen, und liebend gern hätten sie auch mit der jungen Lehrerin gesprochen.

      Aber nun, da mehr als eine Woche verstrichen war, hatte sich das öffentliche Interesse anderen Sensationen zugewandt. Der „Kindertod von Bad Kreuzfeld“ machte keine Schlagzeilen mehr.

      Dr. Herzog ahnte, was in Susanne Schäfer vorging. Er verstand auch, daß die ungewohnte Untätigkeit an ihren Nerven zerrte. Hier in der Klinik war sie geradezu gezwungen, immer wieder über alles, was ihr zugestoßen war, nachzugrübeln. Was sie brauchte, waren Arbeit und Ablenkung.

      So überwand er seine Bedenken und schrieb ihr den Entlassungschein aus.

      Der Abschied war kurz. Als er zur letzten Visite kam, erwartete Susanne Schäfer ihn schon fix und fertig angezogen — Frau Schmitt hatte ihr alles Notwendige schon bei ihrem ersten Besuch gebracht. Jetzt stand sie in einem schlicht geschnittenen schwarzen Kostüm vor dem jungen Arzt, das ihr blondes Haar noch heller als sonst leuchten ließ. Sie war ungeschminkt und immer noch sehr blaß, die klaren, grauen Augen waren das einzig Lebendige in ihrem sehr schmal gewordenen Gesicht.

      Sie reichte dem Arzt freimütig die Hand. „Leben Sie wohl, Herr Doktor, und haben Sie Dank für alles!“

      Er verzog das sympathische, aber durchaus nicht schöne Gesicht zu einer halb verlegenen, halb komischen Grimasse. „Sie brauchen sich nicht zu bedanken, Fräulein Schäfer. Es ist nun mal mein Beruf, den Menschen zu helfen.“

      Darauf wußte Susanne Schäfer nichts zu sagen. Sie verabschiedete sich rasch von den Schwestern in Dr. Herzogs Begleitung, nahm ihren Campingbeutel auf.

      Aber Dr. Herzog machte noch keine Anstalten, das Zimmer zu verlassen. „Haben Sie schon Pläne für Ihre nächste Zukunft, also sagen wir mal für die Ferien, gemacht?“

      „Noch nicht“, entgegnete sie ausweichend, „ich lasse alles an mich herankommen.“

      „Kein schlechter Standpunkt.“ Dr. Herzog strich sich das glatte, rasierte Kinn. „Gehen Sie jetzt nicht zu Fuß in die Stadt. Nehmen Sie ein Taxi. Es ist irrsinnig heiß draußen. Ich möchte nicht, daß Sie sich einen Sonnenstich holen …“

      Sie zwang sich zu einem Lächeln. „Und gleich wieder zu Ihnen zurückgebracht werde? Nur keine Angst, Herr Doktor, ich kann eine Menge vertragen.“

      „Trotzdem halte ich es für richtig, daß Schwester Gerda ein Taxi für Sie bestellt …“

      „Ja, gut“, sagte Susanne Schäfer, „aber es genügt, wenn es in etwa zehn Minuten da ist. Ich möchte erst mal zu den beiden Kindern aus meiner Klasse, die mit dem Leben davongekommen sind …“ Als sie den merkwürdigen Ausdruck in Dr.Herzogs Augen bemerkte, fügte sie rasch hinzu: „Die beiden dürfen doch Besuche empfangen oder …?“

      „Das schon“, sagte der Arzt mit spürbarem Zögern.

      „Also dann …“ Susanne wandte sich zum Gehen.

      Mit zwei Schritten war Dr. Herzog bei der Tür, öffnete sie ihr. „Wenn es Ihnen recht ist“, sagte er, „möchte ich Sie begleiten!“

      „Aber warum denn?“ wehrte Susanne ab. „Ich kann doch sehr gut allein …“

      „Wenn Sie darauf bestehen!“

      „Ja, das tue ich“, erklärte sie mit Nachdruck.

      Dr. Herzog sagte nichts mehr. Er öffnete ihr die Tür ganz weit, und sie ging hindurch und den langen Flur entlang, sehr aufrecht und mit festen Schritten, und es war ihr, als wenn jetzt und in diesem Augenblick ein neuer Abschnitt ihres Lebens für sie begänne.

      5

      Clärchen und Inge lagen auf einem Zweibettzimmer in der Kinderabteilung. Eine ältere Schwester zeigte Susanne Schäfer die Tür.

      Einen Augenblick zögerte die junge Lehrerin noch, plötzlich beklommen. Sie hatte Angst vor dem Wiedersehen. Ihr wurde klar, daß sie nicht einmal wußte, wie schwer die Verletzungen der geretteten Kinder waren.

      Ihr Magen krampfte sich zusammen, ihre Knie zitterten — sie war drauf und dran, aufzugeben. Aber sie biß die Zähne zusammen, schob das feste, runde Kinn vor. „Nein, nein, ich darf nicht schwach werden. Nicht schon wieder.“

      Mit äußerster Willensanstrengung riß sie die Tür auf, und aus kleinen weißen Betten starrten sie zwei Kindergesichter ganz verdutzt an. Clärchen und Inge trugen beide Verbände um den Kopf. Inges Fuß hing an einer Schiene, unter den Verbänden lugten Clärchens schwarze Locken und Inges blonde Zöpfe hervor. Die beiden wirkten so vertraut und unverändert, daß Susanne Schäfer geradezu fühlte, wie ihre Brust sich vor Erleichterung weitete.

      Auch die Überraschung der beiden kleinen Mädchen ging in Sekundenschnelle in helle Freude über.

      „Fräulein Lehrerin! Fräulein Lehrerin!“ schrie Clärchen.

      Und Inge konnte vor lauter Begeisterung nur ein ganz langes: „Ooooh!“ hervorbringen.

      „Nicht“, sagte Susanne Schäfer rasch, „bitte nicht in den Betten herumhopsen! Ich bin sicher, der Onkel Doktor hat euch das verboten!“

      „Och der!“ sagte Clärchen. „Der verbietet uns doch immer alles!“

      „Nicht mal lesen dürfen wir“, maulte Inge.

      „Ja, das ist schlimm“, sagte Susanne Schäfer verständnisvoll, „aber es geht wohl nicht anders. Sicher habt ihr eine Gehirnerschütterung.“

      „Quatsch“, widersprach Inge, „ich möchte bloß wissen, woher der Doktor das wissen will! Als wenn der in unsere Köpfe hineinschauen könnte!“

      Susanne hatte sich einen Stuhl zwischen die beiden Kinderbetten gezogen. „Jedenfalls sehe ich, daß ihr schon wieder recht munter seid“, sagte sie, „sonst würdet ihr nicht so meutern.“

      Clärchen und Inge wechselten einen raschen Blick. Susanne Schäfer sah es wohl, aber sie ahnte nicht, was dieses Zeichen zu bedeuten hatte.

      „Fräulein Lehrerin“, sagte Inge und ein neuer, ganz unbekannter Ton schwang in ihrer Stimme, „was ist eigentlich mit Rosel, Petra und Susi passiert?“

      Auf diese Frage war

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