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gemessen wanderte der Professor durch die nächtlich stillen Residenzstraßen, die frische Luft wehte mit kühlem Hauch um sein entblößtes Haupt. Den Hut trug er in der Hand und dumpf hallten seine Schritte auf dem Pflaster wider. Jetzt bog er aus der Marktstraße in die Alleestraße ein. An der Ecke, wo die beiden Straßen zusammenliefen, erhob sich, gleich einem riesigen Steinkasten, die Galerie. Wie eine breite, dunkle Mauer stand das unförmige Gebäude da. Über dem rechten Giebel lief, wie ein helles Wasser, ein lichter Streif, der Mond stand in seiner leuchtenden vollen Pracht am Himmel. —

      Der Professor verlangsamte seinen Gang und gedankenlos sahen seine Augen auf den mächtigen massiven Bau, ganz gedankenlos. Immer näher kam er ihm und dabei fielen ihm wider Willen die Worte des Hofrats ein: „Wissen Sie übrigens schon, daß man den alten Thomas wieder am Eingang zur Galerie gesehen haben will?“ Als senkten die Gedanken seine Augen, so blickte der Professor starr auf den Eingang zur Galerie und — Himmel, wachte oder äffte ihn ein böser Traum! — da stand, mitten in der breiten altmodischen Tür, eine kleine, dürre, gebeugte Gestalt in Wadenstrümpfen und langschwänzigem Rock. Zitternd schob sich der helle Streif des Mondlichtes ein wenig vor, und deutlich vermochte der fieberhaft erregte Mann ein schmales verrunzeltes Gesicht erkennen in Zopfperücke und Dreispitz.

      Ganz still stand die unheimliche Erscheinung, keine Bewegung verriet, daß Leben in ihr war. Ein Schauer durchrann des Professors Glieder und wie festgebannt hafteten seine Füße am Boden. Er griff sich mit der Hand nach der Stirn, denn er konnte und konnte doch nicht glauben, daß es Wirklichkeit war, was er da vor sich erblickte. Eine Ausgeburt seiner erregten Phantasie war‘s und nichts weiter. Er schloß einen Moment die Augen, um sie gleich darauf wieder voll und ganz zu öffnen. Doch immer noch stand die Gestalt, in der alten verschollenen Tracht, am Eingang zur Galerie. Der Professor spürte verstärktes Herzklopfen und plötzlich stürzte er in atemloser Hast davon, und ohne daß er es eigentlich selbst wollte, gleichsam der Macht eines fremden, stärkeren Willens gehorchend, blieb er noch einmal stehen und wandte den Kopf zurück, um gleich darauf mit zitternden Knien seinem Heim zuzujagen. Denn immer noch konnte er die Gestalt erkennen und noch etwas sah er, was ihm das Blut in den Adern gerinnen ließ, die Gestalt winkte ihm, winkte. — In Schweiß förmlich gebadet, kam er zu Hause an und sein alter, treuer Diener Maurer, der ihm die Haustür öffnete, erschrak, als ihm sein Herr fast entgegenfiel.

      „Um Gottes willen, Herr Professor, was ist Ihnen denn nur“, fragte er hastig und griff mit beiden Armen zu, den Ermatteten zu stützen.

      Der Klang der wohlbekannten Stimme schien den aufgeregten Mann wieder zu sich zu bringen. Seine Haltung ward aufrechter und ein schnell wieder verschwindendes schemenhaftes Lächeln huschte um seine Lippen, als er leise erwiderte:

      „Ach, Maurer, nur mein altes Leiden hat mich unterwegs überfallen, Sie wissen, der Herzkrampf.“

      Von dem Diener geleitet, suchte der Professor sofort sein Schlafzimmer auf. Ermüdet sank er auf einen niedrigen bequemen Lehnstuhl, und während Maurer ihm ein beruhigendes Pulver mischte, beschäftigten sich Berners Gedanken mit dem Erlebten, das ihm hier, in der gewohnten heimischen Umgebung, wie ein wüster, häßlicher Traum erscheinen wollte. Es konnte ja doch auch keine Wirklichkeit gewesen sein, denn an Gespenster zu glauben, dazu wollte sich sein Verstand nicht hergeben, nein. Aber wiederum hatte er die Erscheinung doch gesehen.

      Hatte er sie wirklich gesehen? Oder sollte es möglich sein, daß sein krankhaft erregtes Gehirn ein Wahngebilde für eine direkte Sinneswahrnehmung hielt? — Ja, möglich war das schon, beantwortete sich der Professor seine eigene Frage, denn Halluzinationen gab es und bei Fieberzuständen waren sie keine Seltenheit und in ihm brannte ja das Fieber, seine trockenen Lippen, die sein heißer Atem dörrte, bestätigten es ihm. Maurer hielt ihm ein großes Glas entgegen und gierig trank es der Sitzende bis zum letzten Tropfen aus.

      „Danke“, er wollte das Glas zurückgeben, doch seine Hand zitterte plötzlich und mit Klirren fiel das dünne Gefäß zu Boden. Boshaft glitzerten die weißlichen Scherben beim Schein des elektrischen Lichtes, und der Professor ließ matt den Kopf sinken. Was war er eigentlich noch? Ein alter, kranker Mann, mürbe von jahrelangem Herzleiden, nervös und mit allem fertig. Für ihn war‘s wohl das Beste, sich bald auf den Weg zu machen, der von der Erde hinüberführt zur Ewigkeit. Für Frau und Tochter war sein Leiden in letzter Zeit Anlaß zu ständiger Angst und Sorge. Sein Amt, an dem er mit ganzer Seele hing, das würde wohl ein anderer ebenso versehen, gewiß sogar besser versehen, ein jüngerer, frischerer Mann würde seinen Platz einnehmen. Vielleicht Hans Welschmann, der sein Porträt gemalt, ja, wahrscheinlich sogar der, denn der wartete ja schon so lange darauf, Galeriedirektor zu werden.

      Während der Professor sich solchen Gedanken hingab, sammelte der alte Diener sorgfältig die Glasscherben auf und als er damit fertig war, meinte er bittend: „Kommen Sie, Herr Professor, begeben Sie sich zur Ruhe, Sie wissen, Ruhe ist die beste Medizin für Sie.“ Und der Professor gehorchte dem Getreuen, wie ein Kind ließ er sich von ihm entkleiden.

      „Sagen Sie meiner Frau und Tochter, wenn sie heimkommen, nichts von meinem Anfall, es würde sie nur unnütz erschrecken“, befahl Berner und der Diener nickte, er wußte, daß sein Herr Frau und Tochter gern eine Sorge ersparte.

      „Übrigens können Sie nun gehen, Maurer, und in Ihrer Stube ein Nickerchen machen, bis der Wagen meine Damen vom Hofball heimbringt“, fuhr Berner fort und reckte sich ein wenig in den frischen, kühlen Kissen, „ich will nun zu schlafen versuchen, also gute Nacht, Maurer.“

      „Gute Nacht, Herr Professor“, der Diener drehte beim Verlassen des Zimmers das Licht aus und zog die Tür leise hinter sich zu.

      Unruhig warf sich der Professor in dem Bette hin und her, die Erinnerung an die Halluzination, die er gehabt, wollte nicht von ihm weichen, immer wieder vermeinte er das kleine, alte Männchen zu erblicken, das aussah, als sei es im Direktorenzimmer der Galerie aus dem Rahmen gestiegen, in dem das Bild des ersten Schneiditzer Galeriedirektors hing. Der Baron Thomas, oder wie er allgemein hieß, der alte Thomas. Und Todesahnungen stürmten auf den schlaflosen Mann ein. Für Frau und Tochter war ja gesorgt, wenn sein Leben verlöschte, eine Viertelmillion hatte er in Berlin auf der sicheren Spreebank deponiert, also Angst um seine Lieben brauchte er nicht zu haben. Und nun irrte sein Denken wieder hin zu der Unterhaltung, die er heute mit dem Herzog gehabt. Von der Familieneitelkeit hatte der Herzog gesprochen und so getan, als glaube er nicht, daß seine Frau und Tochter nach seinem Tode sich sein Bild aus der Galerie zurückerbitten würden. Oh, da kannte der Herzog eben die beiden nicht, die beiden, die ihn liebten, deren Herz an ihm hing. Sein wohlgetroffenes Bild, das ihn so lebendig wiedergab, das würden sie beanspruchen, das war völlig sicher.

      Ja, war das völlig sicher? Der einsame Mann, in dessen Adern Fieberglut brannte, verstrickte sich immer tiefer in ein Netz selbstquälerischer Gedanken.

      Der Diener, dem der Zustand seines Herrn doch etwas bedenklich vorgekommen war, lauschte mit angehaltenem Atem am Türspalt. Er vernahm, wie sich der Professor unruhig im Bette wälzte, und als nun gar ein banger zitternder Seufzer zu ihm drang, da öffnete er leise die Tür und fragte sanft: „Soll ich nicht lieber den Arzt holen, Herr Professor, ich laufe schnell über die Straße zu ihm, Doktor Murtag kommt sicher sofort.“

      „Nein, nein“, kurz und bestimmt klang‘s aus dem dunklen Zimmer zurück, „ich bin ja schon im Begriff einzuschlafen.“

      Da schloß Maurer wieder die Tür. Aber trotzdem er fast noch eine Viertelstunde angespannt lauschte, vernahm er keinen Laut mehr aus seines Herrn Zimmer, der Professor schien jetzt wirklich eingeschlafen zu sein.

      *

      Am nächsten Morgen stand Alex Berner schon früh auf. Frau und Tochter ruhten noch von den Anstrengungen des Balles, da saß der Professor schon beim Frühstück. Es mußte ihm heute wieder besser gehen, wie Maurer befriedigt feststellte, denn der Professor aß mit bestem Appetit ein paar Eier und trank mehrere Tassen Tee.

      Nach dem Frühstück meinte er dann zu Maurer: „Ich muß für zwei Tage nach Berlin reisen, packen Sie mir, bitte, sogleich meinen Handkoffer, ich fahre mit dem Zehnuhrzuge.“

      Maurer sah seinen Herrn sehr erstaunt an, als glaubte er falsch gehört zu haben, dann fragte er

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