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müssen ihm den Passageleiter ausspannen!“

      „Ich? Herr Witt, das wird allerhand kosten.“

      „Und wenn wir sein Gehalt verdoppeln?“

      „Ich meine an Whisky, Konsul, zu meiner Stärkung.“

      *

      Das kleine Gartenhaus in der Heimhuderstraße ist für große Gesellschaften nicht geeignet. Es sind bisher auch nur die Verwandten zu Besuch dagewesen.

      „Nur gut“, sagt Marianne, „noch sind wir am liebsten allein zu zweit.“

      Gern hätte sie allerdings ein paar von ihren verheirateten Schulkameradinnen die reizenden Biedermeiermöbel des Wohnzimmers gezeigt, auch das Badezimmer, genau nach englischem Vorbild, Savoy-Hotel, die Badewanne aus nelkengeblümter Majolika mit einem komfortablen, gleichfalls geblümten W.C.

      Aber bislang sind die Einladungen immer mit Ausflüchten abgelehnt worden, und Albert sagt: „Mariannchen, das ist wie bei der Fracht: „Einladen nur, wenn Annahme sicher. Solange lassen wir’s lieber!“

      Seinerseits lehnt er ab, von ihrem Vater Zuschüsse anzunehmen. Er will alles selber bestreiten, und darum können sie vorerst nicht mehr als ein Dienstmädchen halten. Da es geraten scheint, endlich den Reeder Edward Carr wenigstens der Form nach einmal ins Haus zu bitten, ist es nur zum Tee.

      Er sagt zu.

      Damit ist er der erste fremde Gast, der zweifelsohne zur Hamburger Gesellschaft gehört. Wenn schon ein Generalkonsul angeheiratet worden ist, geht es denn ja auch, denkt Carr. Er hält es auch für besser, den Teilhaber bei Laune zu halten, solange der Verkauf der Schiffe nicht abgewickelt ist.

      Gegebenenfalls kann er der blonden Ehehälfte, die anscheinend wirklich wie Isolde geliebt wird, einen Wink geben, den Eifer ihres Gatten zu zügeln. Zum Beispiel dieses Blasorchester an Bord in die Propaganda zu werfen, das ist doch wohl ein himmelschreiender Luxus.

      Marianne bemerkt mit Befremden, daß Carr die unvermeidliche Reitpeitsche, die er wie einen ständigen Ausweis des High Life bei sich führt, keineswegs in der Kleiderablage läßt. Er nimmt sie wie einen Marschallstab mit in die Veranda, wo der Tisch zierlich gedeckt ist. Albert selber hat das Arrangement aus Blumen und Porzellan besorgt. Er hat darin einen natürlichen Geschmack.

      Carr legt die Reitpeitsche in Reichweite aufs Kanapee und begegnet dem erstaunten Blick der Hausfrau ungeniert durchs Monokel.

      „Talisman, gnädige Frau“, knökelt er durch die Nase, „für jeden Zu- und Überfall. Sie werden lachen. Bin ich letzten Winter irgendwo auf dem Balkan in bestem Hause zu Gast, ganz harmlos beim Tee. Die Hausfrau, liebreizend wie hier, der Hausherr etwas nervös. Ich merke, daß ich my little Switch wie stets unterm Arm habe und daß der Knauf – Sie sehen, es ist ein silberner Totenkopf –, eben unter meiner Achsel hervorlugend, anscheinend Ursache einer leicht geladenen Stimmung ist. Geniert es? frage ich. Oh, nein, lacht die Dame des Hauses, kohlenäugig und perlenzähnig. Nein, Mister Carr, solch Symbol wie Ihr Peitschenknauf erinnert höchst angenehm daran, daß wir noch lebendig sind. Im gleichen Augenblick fallen Schüsse. Ich springe auf und habe gerade noch Gelegenheit, mit wohlgezieltem Hieb der Gerte einen Halunken zu erledigen, der mit gezückter Pistole ins Fenster springt, um dann über die Leichen meiner Gastgeber das Haus zu verlassen.“

      Nach dieser anekdotischen Einleitung ist es nicht schwer, sich dem Mokka zu widmen, den Carr statt Tee bevorzugt. Plötzlich aber sagt er aus heiterem Himmel: „Wir reiten ins Unglück, Ballin.“

      Marianne pariert geschickt: „Halten Sie sich ein Reitpferd weniger, Herr Carr.“

      Albert Ballin merkt, daß hier weitere Ablenkung nicht ratsam ist. Er nickt seiner Frau gelassen zu und sagt dann nüchtern: „Gewiß, Herr Carr, Sie hätten der Hapag voriges Jahr die vier Schiffe für ein Butterbrot in den Rachen werfen sollen!“

      „Hätt’ ich nur!“ entgegnet Carr bissig.

      „Warten Sie noch zwei Wochen.“

      „Sie haben Humor! Ich werde nach England verkaufen.“

      „Da hört allerdings der Humor auf. Wissen Sie, daß John Meyer sich bei mir angemeldet hat?“

      „Ballin, der hanseatische Dünkel der Hapag, in Meyer verkörpert, ist so groß, daß die sich lieber selber zugrunde richtet, als uns etwas zu gönnen und erst recht einen Schritt in unser Kontor zu tun.“

      „Jeder Hanseat und selbst dieser im Grunde nicht dumme Herr Meyer weiß gut, daß navigare necesse est, vivere aber erst recht: denn ohne Leben läßt sich keine Schiffahrt betreiben.“

      „Aber es läßt sich ohne Schiffahrt leben, mindestens in Einzelfällen.“ Carrs Hand greift in Richtung der Reitgerte.

      Marianne lächelt: „Ohne Schiffahrt? Albert nicht!“

      „Dann baden Sie es allein aus, Ballin!“ sagt Carr.

      „Gut!“

      „Wieso, wollen Sie meine Flotte übernehmen?“

      „Nicht mehr als bisher, aber ich hoffe, Ihnen schon heute abend Genaues telefonieren zu können. Jetzt muß ich leider ins Büro. Marianne, ich empfehle meinen Gast deiner Obhut.“

      Carr springt auf: „Was denken Sie, Wertester, das ist ja fast wie der Überfall auf dem Balkan. Diesmal würde wahrscheinlich ich auf der Strecke bleiben. Gnädige Frau, darf ich Ihren Herrn Gemahl begleiten?“

      Doch schon im Vorgarten entschließt sich Carr, die Auseinandersetzung mit John Meyer seinem Teilhaber allein zu überlassen.

      *

      Direktor Meyer hat sich hinreichend gestärkt. Er betritt den Raum der Columbia-Agentur, wo er sich notgedrungen angemeldet hat, mit Unbehagen. Nach den mannigfachen Kuriositäten blickt er sich in dem Gefühl um, als werde er von seltsamen Dämonen belauert. Das beeinträchtigt jedoch keineswegs seine herablassende Haltung, die er vordem zu Hause vor dem Spiegel geübt hat, beargwöhnt von seiner quecksilbrigen Frau, die wegen ihrer Chansonettenkarriere nicht ungeeignet ist, schauspielerische Leistungen zu beurteilen. Seit ihr Mann Direktor ist und sein Gehalt sich bescheiden genug erhöht hat, neigt ihr leichtes Temperament zu fürstlicher Verschwendung. Die beiden schulpflichtigen Söhne glauben den Moment gekommen, wo sie allen Lehrern und Peinigern ein Schnippchen schlagen und ihre Vormittage besser am Hafen verbringen können.

      Es ist erstaunlich, wie John Meyer die familiäre Belastung abstreift, sobald er die Schwelle seiner Tätigkeit betritt. Es erklärt aber auch seine Neigung zu schottischen Trostgetränken.

      Im Vorraum hat er einen Angestellten nach dem Reeder Carr gefragt und seiner Stimme den zutraulichen Ton eines Vollstreckungsbeamten gegeben, obgleich er weiß, er wird dem Reeder Carr hier nicht begegnen. Auf alles gefaßt, sieht er das Bild des kleinen Agenten im Konfirmationsanzug deutlich vor sich. Der Mann jedoch, der ihm entgegentritt, dessen Dienste er vor ein paar Jahren verächtlich abgelehnt, hat sich gewandelt. Meyer steht einem Gentleman gegenüber. „Herr ... Ballin?“ stottert er: „Meyer.“

      Gewinnend sagt Ballin: „Nehmen Sie Platz, Herr Meyer.“ Er rückt ihm einen bequemen Stuhl hin.

      Meyer verzichtet vorerst. Er will lieber auf Abstand halten bei dieser peinlichen Wiederbegegnung.

      „Etwas zu rauchen? Oder einen Hennessy, Herr Meyer?“

      Meyer schüttelt würdig das Direktorenhaupt. Er kneift die Lippen wie einer, der nicht voreilig etwas von sich geben will. Schweigend fixiert er das Plakat, das vormals seine Kampfansage frech der Hapag auf die Front geklebt hat und das nun vergilbt, wenngleich es noch immer mit geschwollenem Dampferqualm die Konkurrenz herausfordert. Daneben leuchtet aufreizend das nicht minder laute funkelnagelneue Plakat der Union-Linie.

      Ballin wartet geduldig.

      „Ich wollte eigentlich mit Herrn Carr sprechen“, beginnt Meyer gedehnt.

      „Herr Carr hat mich gebeten, die Verhandlungen zu führen. Ich bin soweit im Bilde, Herr

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