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lang den sogenannten Verwaltungsrat der Packetfahrt zu vertreten. Wir sind darin, wie die Herren von der Aufsicht, selbständige Leute und haben die Hapag wie ein Ziehkind übernommen, das unsere Väter gemeinsam gezeugt haben. Allmählich dürfte es mündig sein. Und es hat unter der Dreitürme-Flagge genau wie unsere Erbfirmen der Welt gezeigt, was Hamburg bedeutet. So ist es auch unter der Flagge des Reiches geblieben, wie unsere Stadt: Frei und hanseatisch. Das Reich ist für uns Hinterland wie der übrige Kontinent. Wir haben es im Rücken. Daß es uns denselben stärke und nicht bloß unter unseren Achseln hindurch in unsere weltweiten Beziehungen hineinfingert, dafür werden wir denn ja wohl noch sorgen können!“

      Ein ungeteiltes Bravo knarrt über die rindslederne Tischplatte. Sie ist braun und glatt wie die Haut der Mädchen auf den Atollen junger Handlungsgehilfenjahre. Aber hier ist sie der Inbegriff der Hapag, kalter Atlantik vor einer Planke aus Wolkenkratzern, nur mit einem kaum noch zu ahnenden Schimmer westindischer Buntheit.

      Bleibt eigentlich nur noch Bremen; Nachbarn und Verwandte sind wie üblich immer die Unangenehmsten, wenn es darauf ankommt“, sagt langsam Tietgens und lehnt sich wuchtig zurück. Ruperti läßt die salpeterfarbenen Augen zum Fenster hinaus spielen, als läse er an den schiefen Speichergiebeln der anderen Fleetseite eine unlösbare Aufgabe.

      Dämmerung sickert herein und legt sich in den einschläfernden Überseedunst der Importen. Rotspongesichter schwimmen hinter den tropischen Verbrennungsschleiern wie Seetonnen in einem unsicheren Fahrwasser.

      „Kramke soll Licht machen!“ sagt Meyer schläfrig und greift zur Messingglocke, die vor ihm lauert. Es bimmelt dünn wie Signale, die im Nebel übers Wasser kommen.

      Eine von satter Ruhe erfüllte Grabesstimme sagt: „Am besten ist abwarten.“ Sie paßt zu Robert Mestern. Er meint, auch endlich etwas äußern zu sollen. Aber man hat ihn zum Vorsitzenden des neuen Aufsichtsrates nur deswegen gewählt, weil er das unwiderstehliche Vertrauen derer ausstrahlt, die sich nicht aufregen sollen. Sein Arzt hat die Angehörigen gebeten, den Weinkellerschlüssel zu übernehmen. Der Kreislauf des Hausherrn ist gefährdet. Wie der der Hapag.

      Bürodiener Kramke erscheint, verschwindet und kommt wieder. Er stülpt mit gewandter Zehe die Stiefeletten von den Socken, schiebt zwischen Witt und Münchmeyer mit einem leidgeprüften „Gestatten die Herren!“ eine zerlesene „Börsenhalle“ auf den Tisch, dann ein Knie, dann das andere, und schwupp erhebt er und reckt sich wie die Statue St. Ansgars auf der Trostbrücke. Der empfindliche Konsul Münchmeyer hätte wohl gern, daß die Füße Kramkes auch aus Sandstein wären, obwohl er dann nicht imstande sein würde, ein Reißsticken an der rauhen Hausmeisterschürze und danach den Gaskandelaber zu entzünden. Paff! sagt es dreimal. Gelbe Helligkeit blendet jede Miene und läßt sie wie aus verzerrtem Blech glänzen. Herr Robertson beschattet die Augen. Das zarte Leuchten echten Schildpatts und Perlmutts, das sein Kontor neben Kobra aus der Südsee einführt, ist ihm angenehmer als dieses Kohlengasglühlicht. Die fünf Kuppeln unter der meerschaumfarbigen Decke schwimmen im Zigarrenhecht wie pralle Fischblasen, gefüllt mit dem Fett der Ferne.

      Lähmend genießt das Schweigen sich selber. Dann sagt Witt: „Petroleum war doch gemütlicher“, und Laeisz erwidert: „Jawohl, bleibt alle man immer hübsch hinter der Zeit zurück. Und Bremen baut Schnelldampfer.“

      „Dann geht’s auch schneller auf die Pleite zu“, beschwichtigt Herr Tietgen; er ist aus Liebhaberei Sportsegler. Ihn reizen Dampfer nur nebenbei als das kleinere Übel, der Geschäfte wegen. Aber was hilft es? Der mahnende Finger des Fortschritts pocht in die hergebrachte Gemütlichkeit. Durch die Fenster dringen die Geräusche des Verkehrs von Fahrzeugen und Pferdehufen. Sie schwellen an, lauter und schneller, immer lauter. Aber unentwegt fädelt sich ein fast lautloses Flüstern hindurch. Perzente, Perzente! lispelt es.

      Die Wände frösteln wie der Reichstag um Mitternacht. Aus bräunlicher Patina blicken die Gründer dessen herab, was Hapag heißt. Lächeln sie? Woermann nickt dem Kollegen Münchmeyer zu. Dieser schließt daraufhin feierlich und wie erlöst: „Ich erachte es für hinreichend, die Übernahme der gehabten Rechte und Pflichten durch Herrn Mestern bekräftigt zu sehen.“

      Mestern stemmt sich gewichtig hoch. Kaffee, Tee, Rohrzucker, Kakao gegen bar, reiner Import. Die Firma Tesdorpf & Co. unter seiner Leitung darf reinen Gewissens sein; sie hat nicht dazu beigetragen, stillere Kontinente mit europäischer Zivilisation zu verseuchen. Füllig ruht seine Hand auf dem Bündel der neuen Statuten, die doch nicht viel Neues enthalten, außer daß nun endlich die Besoldungsfrage für den gelöst ist, der die Arbeit zu tun hat. Bislang ist es ja mehr ehrenamtlich auf Spesen geschehen.

      „John Meyer!“ sagt er schweratmend. „Hiermit ist, wie Sie wissen, Ihrer bewährten, von der Pike auf diesem Unternehmen angehörenden Kraft die volle Verantwortung der Geschäftsführung auferlegt. Wir ernennen Sie hiermit zum Direktor.“

      Inzwischen hat sich auch Meyer erhoben. Hoheitsvoll, mit stummer Verbeugung, dankt er, und mit einer Arabeske der Linken unterstreicht er den souveränen Satz: „Ich nehme an und eröffne.“

      Er fühlt sich wie Napoleon vor den Pyramiden und steckt die Rechte zwischen zwei Westenknöpfe, als wolle er das schwellende Herz kontrollieren. Er schlägt die Augen rund auf zu den Planeten der Gaskuppeln und denkt daran, daß jeder in einer Sitzung nur durch deren Kürze verträglich zu stimmen ist. So beschränkt er sich auf den Schlußsatz: „Indem ich die Herren für morgen zum Aufsichtsratsfrühstück zu Ehmcke einlade, schließe ich die Sitzung.“

      „Endlich was Angenehmes!“ seufzt Witt erleichtert.

      Aber Laeisz, schon aufgestanden, fragt sachte in das polternde Stühlerücken: „Wer zum Satan besorgt eigentlich die Passage, seit Bolten verzichtet hat?“ Das war so ein Punkt. Die Maklerfirma Bolten war Mitbegründerin der Packetfahrt gewesen und hatte sich seit kurzem zurückgezogen. Passage, das Heranholen und Betreuen der Passagiere. Die Herren sind schon den Mänteln, Hüten, Schals, Schirmen und Stöcken zugewandt, die Kramke und ein weiterer Bürodiener hereinschleppen.

      „Das macht doch Meyer alles“, sagt Mestern.

      „Ich?“ erwidert Meyer und hält ihm den Paletot. „Ich als Direktor? Für die Lauferei hab’ ich längst einen.“

      „Muß das nicht gesagt werden?“ fragt Tietgens aus dem Halstuch hervor.

      „Was wollen Sie sich mit solchem Kleinkram verplempern!“ entgegnet Meyer.

      „Wer ist es denn?“ fragt Ruperti, von der Montage seiner Überstiefel auflugend.

      „Ach, Herr Ruperti, wo schon das Wort Bremen gefallen ist, hab’ ich mir den besten Mann der Konkurrenz, für den er sich hält, gesichert. Er heißt Emil Ratte.“

      „Die Ratten verlassen den sinkenden Lloyd?“ spottet Laeisz.

      „Das wollt’ ich Ihnen gönnen, Herr Laeisz“, versetzt Meyer.

      „Eine neue Ära der Packetfahrt!“ lacht Woermann. Mit diesem prophetischen Satz verläßt er als erster das Haus, die unerschöpfte Unternehmungslust eigenen Belangen zuwendend. Es wird mehr als zwanzig Jahre dauern, ehe er als gebrochener Mann die Räume der Hapag wieder betritt.

      Er hört nicht mehr, daß Meyer noch weitere Eröffnungen losläßt. Aber es hätte ihn auch wenig berührt, zu erfahren, Carr sei einen Tag vorher dagewesen.

      „Stellen Sie sich vor, meine Herren“, sagt Meyer. „Kommt also Carr und bietet mir seine nunmehrigen vier Dampfer an. Leicht wettergebeugt, aber die Reitgerte wie immer hervorragend. Na, sag’ ich, was soll es denn kosten? – Zweieinhalb Millionen, sagt er, das würde gerade hinreichen, ein weniger aufreibendes Leben als das eines Schiffsreeders zu führen. – Nee, sag’ ich: So viel Geld hat ja nicht mal der Weihnachtsmann, Herr Carr.“

      Die Herren lachen geflissentlich, inzwischen schon in Pelz, Winterüberziehern, Handschuhen und Hut. Sie schütteln dem neuen Direktor die Hand, überlegen, ob sie nicht selber Bedarf hätten, der bei Carr zu decken sei. Aber die Weltlage ist nun einmal flau.

      „Meyer hat recht!“ nicken die Herren, und sie beeilen sich, ins Familienleben oder noch einmal in ihr eigenes Kontor zu kommen.

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