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Wesen nach der Konfirmation unter bodenberührenden Säumen nur auf Röllchen zu laufen scheinen.

      „Twintig Penn!“ lächelt kühl das säuberliche Bauernmädchen. Es stammt wirklich aus den Blumen- und Gemüsefeldern elbauf der Stadt, wo aus reichen Zeiten die Tracht an einer sonderlichen Rokokochinoiserie hängengeblieben ist.

      Witt fühlt sich leider plötzlich abgelenkt. Durch Straßen-, Bau- und Hafenlärm schallt Musik vom Strom herein. Der Konsul zieht das kleine Perspektiv, das er stets bei sich trägt. „Was is denn das für einer?“ fragt er erstaunt.

      Das Mädchen vom Lande weiß es nicht. Der schmucke Dampfer, der dort unter dem Marsch der „Stars und Stripes“ ausreist, hat über die Toppen geflaggt. Das winkt und wimpelt von Mast zu Mast wie lauter bunte Wäsche. Und auch das Deck ist zwischen gewichtigen Frachtkollis voll winkender Tücher. Dazwischen blitzt das Messing der Bordkapelle.

      „Musik an Bord? Und voll is er auch?“ murmelt Witt. Er schüttelt den Kopf. „Die Sorte Kontorflagge hab’ ich nie gesehn. ‚Polynesia?’ das war doch mal eine Schatulle von Carr! Aber das is doch nicht seine Kontorflagge!“ Witt glühte jählings auf. „Potz Pampelmus und Penny! Der Trakehner is pleite!“ ruft er freudig.

      „Nö, Herr!“ mischt sich eine knöhlige Stimme ein. Ein junger Trimmer, dessen leichte Schlagseite sich mit merklichem Grogdunst erklärt, greift in die Luft an einen unsichtbaren Hebel, so, als öffne er ein Feuerloch: „Das ist die Union, wenn der Herr es wissen will, das ist Carr und Sloman gekoppelt, und die fährt der Hapag über die Großschnauze wie ein Feudel am Sonnabend. Wenn die Hapag nich besser bezahlt, dann muster ich bei denen an.“

      „Sind Sie etwa bei uns angestellt?“ Witt hißt die Brauen.

      „Bei der Hapag? Bin ich, Herr. An die Kessel. Tief unten im Sottpüsterbauch, immer rin mit die dreckigen Steinkohlen in das feurige Höllenloch. Das müßten Sie auch mal, Herr, immer vier Stunden, ohne einen Tropfen Schampus und Kaviar, da geht der dicke Belly und Karbonadenfriedhof flöten ...!“

      Witt unterbricht barsch: „Wie heißen Sie eigentlich?“

      Das ist der Ton des Negeraufsehers von einst und wahrt zugleich die Würde des Firmenchefs und Aufsichtsratsmitgliedes.

      „Flöten wie ein Umstand nach neun Monaten“, vollendet unbeirrt der Trimmer seine Metapher und wirft einen unzweideutigen Blick auf das Blumenmädchen. Die Grenze der Unterhaltung ist erreicht. Witt riecht gedankenverhalten an dem Sträußchen und geht. Der Trimmer äußert zutraulich hinterdrein: „Wenn der Herr sich das für die Aufbesserung meiner Heuer merken wollte? Zyrax, Trimmer Friedrich, Komma, August Zyrax ...“ Mit großem Schwung schlägt er die imaginäre Feuertür wieder zu.

      Witt tippt mit dem Stockknauf an den Hut und entschwindet im Gewühl der Fuhrwerke.

      „He hett gor nich betohlt“, sagt die Vierländerin.

      Zyrax sticht einen Finger dem Enteilten nach. „Wein man nich, Lütten“, lallt er, „der entgeht dir nich. Dat is ook so een von de Ballonköpp mit ’n Smoltmors von de Hapagdirektschon. Dat is Hannes Witt. Hummel, Hummel! Un nu laß uns man ers mal einen heben, Deern, und dann kannst mit an Bord, in unser Roof is das bannig moi, und wenn ich denen so zuzwuster: Raus! Dann flutscht alles, und dann sünd wi ganz und gar ungestört, gut Nacht bis morgen früh klock acht ...“ Aber das Blumenmädchen ist inzwischen gleichfalls verschwunden.

      Johann Witt denkt, bis zur Börse ist noch eine Stunde Zeit, also Gelegenheit, sich die nötige Frühstücksunterlage für den Wirrwarr der Geschäftsmeinungen zu sichern und sich den neuen Unionsdampfer mit einem guten Schoppen aus dem Gemüt zu spülen. Er peilt Richtung Baumwall auf die Ecke Stubbenhuk zu, wo sich die angestrebte Taverne befindet. In Sicht des Eingangs stößt er auf John Meyer, der, schon mantellos, den gleichen Kurs steuert. „Sehn Sie sich das bloß mal an, Meyer!“ sagt er empört und deutet auf den entschwindenden Dampfer: „Die Union-Linie!“

      „Unsinn, Unionsinn!“ scherzt Meyer, das Ion dem Orkus so gnadenlos unterbetont überantwortend wie die Wissenschaft den mythischen Stammvater der Ionier.

      „Moigen, moigen!“ grüßt ein vorbeieilender Spediteur: „Die Union hat ihre nächsten drei Wochenendabfahrten schon bis untern Schornstein ausverkauft.“

      „Allens Bluff!“ ruft ihm John Meyer nach.

      „Nee, Meyer!“ sagt Witt und nimmt eine Beruhigungszigarre. „Die müssen wirklich einen ekelhaft fixen Passageleiter haben. Und wir sind nu schon das zweite Jahr ohne Dividende.“

      „Kommt allens wieder, Konsul!“

      „Mit Ihrem Herrn Ratte gewiß nicht.“

      „Das allerdings ist mehr eine Falle gewesen“, gibt Meyer trübe zu.

      „Und der Lloyd blüht ohne ihn desto besser.“

      „Ist schon an die Luft gesetzt, Herr Witt.“

      „Und was nun?“

      „Abwarten und Tee trinken, hat sogar Woermann gesagt.“

      „Glaub’ ich gern; der macht nur noch eigene Perzente. Wie ist es mit Carr?“

      „Mit Carr sprech’ ich nicht mehr seit der Sitzung im Hamburger Hof, wo er so stur angegeben und sich die zehn Mark billigeren Tickets gesichert hat, bloß weil seine Frachter Frachter sind und langsam wie ’n Droschkengaul in Sirup. Wo aber dennoch seine Zwischendecker das ganze Schiff für ’n Komfort haben. Hat man ja eben gesehn, die dürfen ja wohl überall hin, und stehn wohl noch dem Käptn unterm Allerheiligsten herum.“

      „Das is modern, Meyer, das nennt man soziale Betreuung. Nachmachen, Meyer.“

      „Ist die Hapag vornehm oder nicht, Herr Witt?“

      „Hilft nichts, Meyer, Sie müssen mal hingehn.“

      „Zu Carr? Ich? Dem ins Kontor kriechen? Konsul! Eher regnet’s Kabeljau!“

      Der Zufall will, daß die beiden in diesem Augenblick an einem haltenden Lastwagen vorbeikommen, auf dem der Kutscher ein Faß grüner Heringe zur Hälfte in einen Korb für das angesteuerte Lokal entleert. Durch die entsetzte Gebärde des ragenden Hapagdirektors abgelenkt, versäumt er, genau zu zielen. Ein Schub Fische ergießt sich über Korb und Wagenrand hinweg, geradewegs mit Kurs auf John Meyers Hut.

      „Gottsverdorigen Donnerstag!“ flucht Meyer und zuckt noch eben zur Seite.

      „Und wenn’s Matjes sind, das Schicksal ist gegen Sie, Meyer. Hören Sie die Musik, die die an Bord haben? Die hört man noch von Altona her. Der Sternenbannermarsch, indes der Stern der Hapag versinkt.“

      Meyer sucht Halt an Witts Schulter. Jetzt merkt man, wie sehr er mit der Reederei verwachsen ist, in die er vor langen Jahren als Lehrling eintrat. Er röchelt geradezu vor Bestürzung. Dann faßt er sich und scherzt: „Wenn Carr uns aufs Trockne schieben will, hilft nur noch, daß wir es gehörig anfeuchten.“ Und er lenkt seinen Mitbetroffenen auf das malerische Fachwerk des „Old Commercial Room“ zu. Gerade vor der Tür erwischt die Vierländerin die beiden. „Herr Witt“, sagt sie mit schönstem Erdbeerlächeln.

      Witt entsinnt sich des Sträußchens, es steckt im Ausschnitt seiner seidenen Weste. Und die Börse hat er noch immer in der Hand, so sehr hat ihn das Unionsereignis mit Beschlag belegt. Indes er zahlt, nimmt Meyer eine Duftprise kostenlos aus dem Körbchen, und sein gewürzter Atem streicht genießerisch über den prallen Arm des Bauernmädchens.

      „Molliger Käfer!“ säuselt er.

      „Hat sich ausgemollit!“ belehrt ihn Witt. „Die Tatsachen sind steinhart.“

      Ein zarter Ellbogenruck trifft Meyers Whiskynase, er schnellt ins Senkrechte zurück. „Hapischa!“ sagt er tragisch. „Nur nicht schwach werden, Konsul.“

      Kraftvoll stemmt er die Tür des Lokals auf. Warmer Braten- und Grogdunst schwelt ihnen entgegen.

      Witt schickt den schwarzbestrumpften Beinen der Vierländerin noch ein Auge nach. Dann folgt

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