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Meyer, voll neugebackener Würde, ist nicht scharf auf Einwände: „Bester Konsul Witt, meines bescheidenen Erachtens pfeift Carr aus der letzten Öffnung. Dem seine Untersätze kriegen wir noch ganz umsonst.“

      Witt nimmt eine Brasil für den Heimweg: „Die eigentliche Arbeit, lieber Meyer, die Arbeit bei Carr, die macht nicht Carr.“

      „Aber er kann doch nicht immerlos bloß reiten.“

      „Wozu er sein Sitzfleisch verwendet, weiß ich nicht. Jedenfalls nicht in seinem Kontor. Man hatte mir über Quartiersmann Supp & Konsorten neulich zwanzig Klaviere für angeblich Porto Novo avisiert. Ich les’ aber ganz richtig: Pennsylvania aus dem Zettel und statt Witt deutlich Carr. Es gibt Pfoten, die schreiben Himmel, wenn sie Hölle meinen, aber wir kennen das. Ich also hin zu Carr durch den engen Gang auf dem Baumwall neben Sloman in den Hof. Da sitzt er ja oder sollte sitzen, aber man zuckt bloß die Achseln. Sie müssen nach Nummer 6 gehen, Herr Konsul, sagt man mir. Hier werden nur Beträge in Empfang genommen. Na, mag übertrieben sein, aber Carr war in seinem Tattersall. Ich also nach Baumwall 6. Agentur Columbia. Kleiner, dunkler, freundlicher Herr. Sagt: In Ordnung, die zwanzig fehlen grad noch für die „Polaria“, dann geht auch kein Spatzenschwanz mehr in die Luke, und an Deck haben wir noch hundert Kolli Eisenbahnteile. Und so ist es mit jedem Schiff bei uns.“

      „Auch wohl ein büschen übertrieben, Herr Witt.“

      „Nee, Meyer, sah mir nicht so aus. Und was erzählt er mir noch, dieser Herr ..., ich hab’ den Namen vergessen, erzählt mir, er wär’ in New York gewesen, um zu versuchen, eine anständige Passagerate mit den verschiedenen Konkurrenten auszumachen.“

      „Altes Ei!“

      „Wieso?“

      „Wir haben ja auch so einen Wisch gekriegt, Witt, Einladung zur Konkurrenz. Aber das wäre wohl das Letzte für unsere Linie, andere zu fragen, was wir nötig haben.“

      „Hätten, nicht haben, Herr Meyer!“

      „Papperlappapageienfutteral, liebster Konsul! Leute für sechzehn Dollar verfrachten? Nich inne Tüte! Was sagte unser neuer Aufsichtsratsvorsitzender, unser lieber Herr Mestern, mit sozusagen letzter Puste? Abwarten! sagte er.“

      Konsul Witts Kutscher hat schon zweimal in die Tür geblickt.

      „Ick kumm all, Jochen!“ ruft Witt. In der Tür dreht er sich noch einmal um und hebt den Handstock mit dem Elfenbeinknopf wie eine Lunte. „Jetzt hab’ ich’s, Meyer. Ballin heißt der Mann.“

      John Meyer fühlt etwas in sich sengeln. Er greift hinter sich in den Wandschrank, ein Schluck ist fällig. „Ballin? Wer war denn das noch? Hieß nicht ...?“ Er läßt die Flasche sinken, eilt hinter Witt her, im Bürozimmer warten vier Kapitäne, sieben Makler, zwei Spediteure und ein Buchhalter. „Gleich, gleich, sofort, Momang!“ ruft er und gewinnt den Ausgang.

      „Witt, ist das etwa der ... der Agentenlümmel von damals?“

      Nasser Schnee wirbelt ihm ins Gesicht.

      Damals bei der Zarenhymne war es ein ähnliches Wetter. „O Isis und Osiris!“ Und nun rumpelt auch noch Konsul Witts Kutsche ohne Antwort von dannen.

      *

      John Meyer beschloß in seiner neuen Direktorenverantwortung, alsbald ein neues Ruhmesblatt ins Hapagwappen zu fügen. Seinerseits lud er die Vertreter der atlantischen Linien ein, und zwar nach Köln, das so angenehm zentral zwischen den Küsten liegt. Der allgemeine Zusammenbruch der Raten ließ sogar die Engländer mit den Franzosen und Holländern herüberkommen. Auch die Bremer waren da, also ziemlich alle, die für den Dienst zwischen Europa und Nordamerika in Frage standen. Nur die Carr-Linie hatte Meyer übergangen, Er hoffte, gerade sie durch gemeinsame Schritte, zum Beispiel durch Abwerben der Agenten im Hinterlande, ins Nirwana zu drücken. Da aber die Holländer eine Extrawurst verlangten, zerplatzte jeder Beschluß. Der atlantische Schwarm wohlbestallter Schiffahrtsgrößen zerstreute sich finster und kehrte in seine Hafenkontore zurück.

      Herr Carr kommt aufgeregt in die Agentur. Er klatscht ein Zeitungsblatt auf das Pult seines Teilhabers, er knallt mit der Reitgerte auf ein Inserat. „Sind Sie irrsinnig, Ballin? Sie trompeten einen Fahrpreis Hamburg –New York von puren Mark sechzig in die Öffentlichkeit, ohne mich zu fragen.“

      „Es eilte, Herr Carr. Sie waren so schnell im Baden-Badener Turf nicht ausfindig zu machen.“

      Carr tupft sich Stirn und Wangen mit feiner Seide und schiebt als neueste Errungenschaft seiner Eleganz ein Monokel ins rechte Auge. Das harte Grau der Iris dahinter verschwimmt in eine grenzenlose Niedergeschlagenheit, die sich plötzlich auf der Krawattenperle seines Partners als letztem Anhaltspunkt zu sammeln scheint. Er stöhnt seufzend auf: „Sie werden Ihr Letztes hergeben müssen, Ballin!“

      „Dazu bin ich immer bereit“, lächelt Ballin. „Ich hab’ übrigens an die Hapag geschrieben. Hier!“

      Der Reeder überfliegt den Brief. Darin wird eine neue Konferenz vorgeschlagen. Seine Miene erhellt sich, er ist ein Mann von Bildung. Manchmal pflegte er sogar ein Buch zu lesen. Briefe schreibt er selber gern, wenn auch lieber an Damen.

      „Donnerwetter!“ sagt er, das Monokel haltend. „Wie machen Sie das bloß?“

      „Sehr einfach, Herr Carr. Nackte Tatsachen anziehend dargeboten.“

      „Man merkt, daß Sie glücklich verheiratet sind, Ballin.“ Carr deutet ein Lächeln an, ergreift die Stahlfeder, taucht sie ins gläserne Tintenfaß: „Sie gestatten doch! Ich als Reeder muß das unterschreiben.“

      „Genauso ist es gedacht“, nickt Ballin. „Diesmal wird Herr Meyer es wohl nicht in den Papierkorb werfen.“

      „Ich werde es sicherheitshalber an die Zeitung geben“, erwidert Carr heftig. „Die Aktionäre der Hapag sollen erfahren, mit welcher Dickköpfigkeit ihre Anteile verschlampt werden.“

      „Nicht ungefährlich, Herr Carr. Es könnte dort die Auflösung bedeuten.“

      „Desto besser!“

      „Nicht meine Meinung. Nur mit der Hapag zusammen können wir die übrigen Linien zu einer vernünftigen Vereinbarung bringen.“

      „Ekelhafter Kuhhandel! Könnte ich doch jeder Konkurrenz das Wasser unterm Kiel wegpitschen!“

      Die Gerte pfeift entsprechend durch die Luft.

      Ballin sagt ruhig: „Konkurrenz, Herr Carr, achte ich nie als Hindernis, sondern als Ansporn.“

      Das ist auch einem passionierten Reiter verständlich.

      „Also nicht in die Zeitung?“ knurrt Carr ärgerlich.

      „Doch! Aber dann müssen wir ein ganz klein bißchen mildern. Für die Öffentlichkeit müssen Tatsachen immer noch etwas besser kostümiert sein als für den Hausbedarf.“

      *

      So lesen denn die Aktionäre der Hamburg-Amerika Linie schon nach dem nächsten Mittagessen, welches in hiesigen Kaufmannskreisen englischer Sitte gemäß gern gegen sechs Uhr abends eingenommen wird, im „Hamburgischen Correspondenten“, wie rückständig sich die Schiffahrtsgesellschaft gebärdet, der sie oder ihre Väter bei der Gründung Geld und Vertrauen geliehen. Sie erfahren stirnrunzelnd, daß die Nichtzahlung von Dividenden letzthin weniger an schlechter Konjunktur als an der vorsintflutlichen Verwaltung läge.

      In dem „Offenen Brief“, von einem gewissen Reeder Carr unterzeichnet, heißt es: Die Carr-Linie hat umsichtig und aktiv verstanden, die Lage zu nutzen, indes Sie, hochgeehrte Direktion, sich mit berechtigtem Stolz auf die Grundlage stützen, die ruhmreiche Jahre lang den Bestand Ihres Unternehmens gewährleistete. Ein Blick aber auf die Entwicklung der anderen atlantischen Reedereien zeigt, daß inzwischen Fortschritte erzielt wurden, denen niemand sich verschließen kann, dem es ernst ist mit den übernommenen Aufgaben und der Zufriedenheit der Partner und Aktionäre. Um was handelt es sich? Um eine freundliche, nachbarliche Vereinbarung über die Raten für Passagiere und Fracht auf der von beiden Gesellschaften betriebenen Hauptroute

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