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der Weiterentwicklungen des Begriffs des Agierens lässt sich nicht nur die Weiterentwicklung des Übertragungsbegriffs nachzeichnen, sondern auch die des Begriffs der Gegenübertragung. Das Agieren steht im Kontext der Übertragungsbeziehung, das heißt jedoch auch, dass die Analytikerin daran beteiligt ist, nicht nur als diejenige, zu welcher der Bezug abgewehrt ist, sondern auch als jemand, die Szenen mitgestaltet. Diese Gedanken finden sich in unterschiedlichen Konzepten wieder, etwa der Bereitschaft zur Rollenübernahme (Sandler, 1976), der Übertragung als »Gesamtsituation«, der Szene bzw. Situation (Argelander, 1970; Lorenzer, 1970) oder dem Handlungsdialog (Klüwer, 1983). Deutlicher als zuvor wird dabei neben der Abwehr- bzw. Widerstandsfunktion des Agierens auch dessen Kommunikationsform betont. Ein Gedanke dabei ist, dass es für die Analytikerin unmöglich ist, das Agieren der Analysandin nicht zu beantworten (oder dass vielmehr sogar unklar ist, wer auf wen reagiert). Zum einen ist im Rahmen einer allenfalls rudimentär vorhandenen psychoanalytischen Handlungstheorie zu beachten, dass auch das Reden (und das Schweigen) während des Auf-der-Couch-Liegens als eine Handlung zu gelten hat. Zum anderen ist es dann auch eine »handelnde« Antwort der Analytikerin, im Sessel sitzen zu bleiben, wenn ihre Analysandin im Verlauf der Stunde von der Couch aufsteht. Auch dann entsteht eine Szene aus Handeln und handelnder Beantwortung.

      Konsequenterweise ist während der vergangenen Jahrzehnte das Konzept des Agierens in Richtung des sog. Enactments erweitert worden. Jacobs (1986, S. 286; Übers. TS) meint, dass »jene subtilen, oft kaum sichtbaren Gegenübertragungsreaktionen« den »größten Einfluss auf unser analytisches Arbeiten« haben, und begründet in diesem Zusammenhang das Konzept des Enactments als Gesamtheit des Agierens der Analysandin und der Beantwortung dessen durch die Analytikerin. Jimenez und Fonagy (2011; Übers. TS) schreiben dazu: »Eine unbewusste Fantasie wird in der Übertragung aktualisiert, der Druck wird durch projektive Identifizierung übermittelt und die Gegenübertragungsprobleme des Analytikers werden nicht gelöst, so dass sich beim ihm ein »acting in« ergibt. Bei Ivey (2008, S. 20; Übers. TS) heißt es: »Man sagt, dass es zu einem Enactment gekommen ist, wenn der Patient unbewusst die subjektive Prädisposition des Analytikers, in bestimmter Weise zu fühlen und zu antworten, in Anspruch nimmt, indem er sich auch eine Art verhält, die eine emotionale Reaktion des Analytikers hervorrufen soll, die eine Übertragungsfantasie bestätigt.« Die Analysandin aktualisiert etwas und aktiviert dabei in der Analytikerin etwas, so dass beide gemeinsam eine Szene gestalten.

      Manchmal wird hier von einem »Mitagieren« der Analytikerin gesprochen, was aus meiner Sicht aus zwei Gründen problematisch ist. Zum einen zeigt sich (auch) darin die Neigung, die Analytikerin als reagierend statt von Beginn an mitgestaltend zu betrachten, zum anderen sollte das, was die Analytikerin tut, nicht von einem abgewehrten Objektbezug gekennzeichnet sein, was oben ja als eines der zentralen Merkmale des Agierens benannt worden ist. Zwar muss die Analytikerin über ihr Sprechen und sonstiges Handeln nicht notwendigerweise immer schon im Voraus genau Bescheid wissen (das ist schwer möglich und würde auch in einem denkbar künstlichen und unspontanen Sprechen resultieren), aber ihr darf das Gewahrsein, dass sie in ihrem Handeln und Sprechen auf die Analysandin als Analysandin bezogen ist, nicht verloren gehen. Das dürfte als die zentrale ethische Dimension der psychoanalytischen Technik gelten. Deshalb sollte man meiner Auffassung nach nicht von einem Mitagieren der Analytikerin sprechen (und terminologisch nicht parallelisieren), sondern eher von einer (u.U. auch handlungsmäßigen) Beantwortung des Agierens durch die Analytikerin.

      Zum Umgang mit dem Agieren ist ferner zu sagen, dass ein Primat der Deutung bei gleichzeitiger Versagung einer andersartigen Beantwortung heute nicht mehr wie früher behandlungstechnisch maßgeblich ist. Fragt also etwa eine Analysandin zu Beginn der Stunde: »Kann ich bitte ein Glas Wasser haben?«, dann wird die Analytikerin vermutlich in der Regel und den meisten Kontexten ein Glas Wasser zur Verfügung stellen. Das ist durchaus ein Enactment. Die Analysandin sagt nicht: »Ich brauche Sie heute als jemanden, der erkennt, wie ausgedürstet ich bin« und die Analytikerin antwortet auch nicht mit: »Heute sind Ihre Versorgungswünsche wieder sichtbar«, sondern es wird wechselseitig eine Handlung eingeleitet und ausgeübt, die aber nichtsdestoweniger auch psychodynamisch und in ihrem Charakter als gemeinsame Inszenierung verstanden werden kann. Maßgeblich ist nicht (mehr), dass nicht agiert werden darf, sondern dass nicht agiert werden sollte, ohne dass dem Agieren bzw. Enactment eine verstehende Reflexion folgt.

      Nichtsdestoweniger herrscht nicht überall Einigkeit über die Einschätzung von Enactments, wie die sog. Enactment Controversies (Ivey, 2008) zwischen der Freud-Klein-Richtung und der relationalen Psychoanalyse abbilden, in denen es wesentlich um die Frage geht, ob die Beteiligung der Analytikerin am Enactment unvermeidlich, aber unerwünscht ist, da es auf ihrer Seite ein fehlgeschlagenes Containment und mangelnde Spannungstoleranz anzeigt (also ein Zusammenbrechen ihrer analytischen Funktion), oder ob Enactments die entscheidenden Momente in einer Behandlung und eine notwendige Voraussetzung für Veränderung sind, und ob die Analytikerin darin »mit offenen Karten spielen« (Renik, 1999) sollte.

      Mittlerweile wird das Agieren also offener betrachtet als zu Beginn der Konzeptentwicklung, heute steht der kommunikative Aspekt im Zentrum. Dabei wird anerkannt, dass manche Analysandinnen eben nicht immer sagen können, was los ist, sondern stattdessen machen, was los ist. Auch darin sind aktualisierte Beziehungsszenen und Fantasien enthalten. Bereits Lacan (1962/63, S. 159) bezeichnet das Agieren dabei als »wilde Übertragung« und bei Greenson (1967, S. 260) taucht das Agieren als »Griff nach dem Objekt« auf. Der (auch) abgewehrte Objektbezug darin verdeutlicht die Ambivalenz gegenüber Beziehungen. Ich habe daher den Vorschlag gemacht (Storck, 2013), einige Bemerkungen Freuds (1911b, S. 233) umzuwenden, in denen er vom Denken als Probe-Handeln spricht: »Die notwendig gewordene Aufhaltung der motorischen Abfuhr (des Handelns) wurde durch den Denkprozeß besorgt, welcher sich aus dem Vorstellen herausbildete. Das Denken wurde mit Eigenschaften ausgestattet, welche dem seelischen Apparat das Ertragen der erhöhten Reizspannung während des Aufschubs der Abfuhr ermöglichten. Es ist im wesentlichen ein Probehandeln mit Verschiebung kleinerer Besetzungsquantitäten, unter geringer Verausgabung (Abfuhr) derselben.«

      Für das Agieren kann demgegenüber von einem »Handeln als Probe-Denken« gesprochen werden. Hier entscheiden die Folgen der motorischen Aktion, der Handlung also, darüber, was gedacht werden kann, d. h. was psychisch tolerabel ist und welches die Folgen des In-Beziehung-Stehens sind. Dabei wird im Agieren etwas ver-handelt, und zwar nicht irgendwas, sondern es geht konkret um eine an die Handlung delegierte Form des Herantastens an die Ambivalenz in Relation zur Analytikerin, weil eine Angst vor innerer Überflutung vorherrscht. Wie Beziehungen sich anfühlen, muss ausprobiert werden.

      2.5 Fallbeispiel Herr A., Teil I

      Was hat sich nun bisher konzeptuell zur Abwehr gezeigt? Sie dient allgemein der Vermeidung des Erlebens von Unlust (Angst, Scham, Schuldgefühle) und ist eingebettet in die psychoanalytische Theorie unbewusster psychischer Konflikte. Abwehrvorgänge spielen sich an Triebrepräsentanzen (Vorstellungen und Affekte) ab und arbeiten ihrerseits unbewusst, was die Annahme zur Folge hat, dass sie einem unbewussten Anteil des Ichs zuzuordnen sind. Auf diese Weise wird etwas vom bewussten Erleben ferngehalten; aufgrund der Einbettung in Konfliktkonzeption und Triebwünsche resultiert so ein Dynamismus des Psychischen und es kann davon gesprochen werden, dass die Abwehr dynamisch Unbewusstes nach sich zieht. In klassischer Betrachtung tauchen dabei die Verdrängung und ein weiterer Abwehrmechanismus auf, wodurch eine bewusstseinsfähige Ersatz- bzw. Kompromissbildung erzeugt wird. Als Widerstand betrachtet man das Wirken einer Abwehr gegen das Bewusstwerden in analytischen Behandlungen.

      Anhand eines Fallbeispiels, das sich in vier Abschnitten in die Überlegungen des vorliegenden Bandes einfädeln wird, kann das Gemeinte verdeutlicht werden. Cripwell (2011) beschreibt darin die Behandlung mit dem Mitte 40-jährigen Herrn A., einem Patienten mit depressiven und zwanghaften Zügen.

      Herr A. sucht die Behandlung aufgrund eines Gefühls von Festgefahrensein auf. Er verschwende sein Leben, habe die Überzeugung, eine Person ohne Substanz zu sein, und erlebe oft das Gefühl, zu scheitern. Er ist geplagt von Zweifeln an seinem Leistungsvermögen im Beruf als Geschäftsführer eines kleinen Betriebs. Außerdem zweifelt er daran, ob er seine Freundin liebe, und erlebt dann wiederum Schuldgefühle bezüglich dieses Zweifels. Er gerät also schnell in kreisende, selbstkritische Gedankenkreise.

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