Скачать книгу

ist da draussen vor dem Brandenburger Tor alles zu weit ... zu frostig ... zu prunkvoll. Na ... wir werden ja sehen ...“ Er runzelte die Stirne und schob sich die Brille zurecht ... „... Da ist schon wieder dieser Mensch!“ murmelte er. „Er verfolgt mich wie ein Schatten.“

      Herbert folgte seinem Blick und erkannte in der langen, hageren Gestalt und dem bartlosen, von unordentlichen Haarsträhnen umringelten Mephistogesicht den Journalisten, mit dem der alte Herr vormittags beim Besteigen des Wagens gesprochen.

      „Das ist euer gewesener Hauslehrer, wie mir Ellen erzählte?“

      „Ja. Ein entgleister Kandidat der Theologie und jetzt Gott weiss was!“ sagte der alte Herr. „Diese Sorte Literaten ziehen hinter uns Abgeordneten her wie die Haifische hinter dem Schiff, in der Hoffnung, ein paar über Bord fallende Brocken politischer Weisheit zu erwischen.“ Er stand auf und nickte mit dem Kopf nach dem Fremdling.

      „Wünschen Sie eigentlich was von mir, Herr Queetz?“ fragte er ... „... Oder warum umkreisen Sie mich seit einer halben Stunde?“

      „Ich würde allerdings gerne etwas wissen, Herr Kommerzienrat!“ sagte Dietrich Queetz und trat ohne Verlegenheit näher ... „Wie ich höre, sollen in allernächster Zeit Wahlprüfungen auf die Tagesordnung kommen?“

      „Ja.“

      „Und darunter, soviel ich weiss, auch die Ihre?“

      „Ja.“

      „Diese Wahl hat die Kommission seinerzeit mit acht gegen drei Stimmen für ungültig zu erklären beantragt, weil der damals als Vertreter des Landrats fungierende Regierungsassessor, Herr Graf de Grain, Wahlaufrufe zu Ihren Gunsten mit seinem amtlichen Charakter unterzeichnet hat?“

      „Diesen Glanzstreich hat mir mein lieber Schwiegersohn Oskar allerdings gespielt,“ sagte der alte Herr mehr zu Herbert als zu dem Interviewer.

      „Es ist nun kein Zweifel,“ fuhr der geläufig fort, „dass das Haus sich der Auffassung der Kommission anschliessen wird! Herr Kommerzienrat verlieren Ihr Mandat und es muss eine Neuwahl stattfinden.“

      „Wahrscheinlich.“

      „Wenn Sie wieder kandidieren, Herr Banners, so ist die Neuwahl natürlich nur eine Formalität. Anders aber wäre es, wenn Sie Ihren mehrfach geäusserten Entschluss bewahrheiten und sich vom öffentlichen Leben zurückziehen wollten. Was dann in Ihrem Kreise geschieht ...“

      „Warum wollen Sie denn das wissen?“ fragte der alte Herr milde.

      „... Weil dann dort einer der heftigsten Wahlkämpfe unvermeidlich ist! Eine Menge Strömungen werden plötzlich entfesselt. Die Parteien scheiden sich auf einmal, wenn Ihr Name wegfällt. Ein Kampf zwischen Stadt und Land, zwischen den Interessen der von Ihnen dort ins Leben gerufenen Industrie und dem Grossgrundbesitz wird unvermeidlich.“

      „Woher wissen Sie denn das? Sie sind ja schon seit acht Jahren von dort weg!“

      „Ich habe — aus der Zeit meiner Hauslehrerschaft — einen Freund dort, den Pfarrer Freiherrn von Hohinrot, der ...“

      Der Kommerzienrat wurde plötzlich lebendig. „Sagen Sie mal!“ rief er und fasste in seiner Erregung den Rockknopf seines Gegenüber ... „... Was ist denn das nur eigentlich für ein Mensch?“

      „Das wissen Sie doch, Herr Kommerzienrat! Ein früherer Husarenoffizier, der dann Theologie studierte und sich die ganz einsame und abgelegene Pfarrei Waldwimmersthal ausgesucht hat.“

      „Ja ... aber innerlich! Er hat ja alle Geistlichen ringsum in der Hand — und wenn man die kleinen Leute spricht ... die schwören ja alle auf ihn.“

      Dietrich Queetz zuckte die Achseln, und ein Lächeln lief über seine scharfgeschnittenen Lippen. „Es wird wohl an der Persönlichkeit liegen?“ sagte er knapp. „Aber ... um auf die Sache zurückzukommen: gedenken Sie wieder zu kandidieren, Herr Kommerzienrat?“

      „Ach ... Ihr Freund, der Pfarrer, will wohl in den Reichstag?“

      „Nein,“ erwiderte der Journalist. „Mit derlei hat der doch längst abgeschlossen und lebt in seinem Winkel bei den armen Leuten. Aber ein Machtfaktor ist der Pfarrer Hohinrot bei den nächsten Wahlen doch ... das können Sie mir glauben!“

      Ein schrilles Klingeln ertönte gleichzeitig von allen Seiten durch das Foyer und über die Wendeltreppe. Die elektrischen Läutewerke luden zur letzten Sitzung in der Leipziger Strasse ein.

      Der alte Herr ging auf die grünverhangene Türe zu, durch die sich die Abgeordneten drängten. „Grüssen Sie Ihren Freund!“ sagte er ... „... und der alte Banners gehöre immer noch zu den Leuten, die sich nicht über ungelegte Eier den Kopf zerbrechen. Vorderhand bin ich noch Abgeordneter. Bin ich’s in ’ner Woche nicht mehr — na ... dann können wir ja weiter sehen!“

      Damit ging er hinein. Der hagere Literat sah ihm einen Augenblick nach. Dann zuckte er die Achseln und wandte sich nach rechts, der Treppe zu, die zu den Tribünen führte.

      Das Foyer war nun fast leer. Nur da und dort sassen in den Ecken leise plaudernde Gruppen, zumeist Grossjournalisten, denen der dauernde Aufenthalt hier vergönnt war, und inaktive Politiker, gewesene oder reifende Zierden des Reichstags.

      Vom Saal innen drang kein Laut, aus dem Restaurant neben dem Foyer nur das dumpfe Rumpeln und Klirren, mit dem Stühle, Tische und Gläser zusammengepackt wurden, um nach dem neuen Stelldichein der „Fraktion Schulze“ vor dem Brandenburger Tor geschafft zu werden. Auch in dem noch in Betrieb befindlichen Sektbüfett ordnete die Kellnerin ihre Siebensachen, und auf der anderen Seite des Wandelganges räumten Briefträger die Mappen, Formulare und Bücher der Reichspost aus dem kleinen Bureau heraus. Alles ging zu Ende. In wenigen Minuten gehörte der alte Reichstag der Vergangenheit an und der Erinnerung an all die bewegten Szenen, die sich in ihm abgespielt, an die weltgeschichtlichen Sitzungen, wenn unter der Torwölbung des Ostens das dumpfe Rollen eines Wagens ertönte und in der Seitentüre die Riesengestalt im blauen Kürassierrock, den blitzenden Helm in der Hand, erschien — wenn dann atemlose Stille sich über Abgeordnetensitze, Zuhörertribünen, Journalistenplätze und Diplomatenlogen legte und durch das Schweigen Bismarcks helle, oft stockende und in seltsamem Räuspern den Gedanken in seinen Tiefen zum geflügelten Worte schmiedende Stimme durch den kleinen Saal, durch Deutschland und über den Erdkreis hallte.

      Das war nun vorbei und den Ort, an dem die unvergesslichsten Worte gefallen, die seit Luthers Tagen die deutsche Zunge kennt, sollten, nach den Beschlüssen eines königlich preussischen Fiskus, binnen kurzem Barbierstuben, Reformrestaurants und Schaustellungen entweihen.

      Da kam der Kommerzienrat wieder in das Foyer zurück. „Gut, wenn man mit B anfängt,“ sagte er. „Ich bin schon aufgerufen. Wir haben jetzt reichlich Zeit. Setze dich einmal neben mich. Ich muss etwas mit dir reden.“

      Herbert nahm schweigend neben dem alten Herrn Platz.

      „Du steckst nämlich in gar keiner gesunden Haut,“ fuhr der fort, bedächtig zwischen den zur Decke gesandten Rauchwolken seine Worte abwägend, „... sogar rein körperlich gesprochen. Deine Gesichtsfarbe ist gelblich, du bist noch magerer, als du früher warst, du sprichst nicht ... kurzum ... du bist mit dir und der Welt nicht zufrieden.“

      „Bin ich auch nicht!“ sagte Herbert ruhig.

      „Warum du’s nicht bist ...,“ die Pausen zwischen den bläulichen Ringen der Havanna wurden immer gedehnter, „... ob bloss wegen deines Unfalls ... oder weil vielleicht etwas anderes ... in deinem Innern ... na ... kurz und gut ... das will ich nicht untersuchen und nicht danach fragen. Denn es gibt Dinge ... die macht ein Mann mit sich aus ... ich meine einen Mann wie dich, der keinen andern braucht, um das Rechte zu tun. Was du brauchst, das ist das einzige Mittel für alle Anfechtungen ... das, was den Menschen allein auf die Dauer stärkt und hält ... die Arbeit. Eine Tätigkeit in grossem Stile tut dir not, in der du dein Malheur ... und alles andre vergisst ... und die will ich dir verschaffen.“

      „Was meinst du damit?“ Herberts Stimme klang gepresst vor Erregung.

      „Ich

Скачать книгу