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‚... bestehst du darauf, Landrätin zu werden und so weiter im Trott der Staatskarriere, so mache ich den Zickzackkurs der Regierung weiter mit, und wenn mich das Schicksal bis Krotoschin verschlagen sollte. Aber die grosse Karriere, die wir beide wollen, ist uns dann verschlossen. Wie die Dinge heute liegen, kriegt man die nur als ganz freier, unabhängiger Mensch!‘ Das hab’ ich eingesehen, und so zogen wir nach Berlin.“

      „Und worauf wartet er nun hier?“

      „Auf den grossen Schlag, wie er’s nennt! Der ganze Witz im Leben sei der, die Dinge auf sich zukommen zu lassen! Inzwischen ‚lebt er sich in Berlin ein‘ ... nach seinem Ausdruck ... das heisst ... er macht alle die Geschäfte, von denen wir sprachen.“

      „So?“ Der kleine Handelsherr stiess eine mächtige Rauchwolke in die Luft ... „... und wie stellt sich denn dein Mann beiläufig so den grossen Schlag vor?“

      Mary überlegte einen Augenblick. „Darüber wollte er mit dir selbst sprechen!“ sagte sie dann zögernd. „Ich will mich nicht in Politik mischen!“

      „Also Politik ist’s?“

      „Natürlich. Oskar erklärt jeden Tag, ihm gebühre eine führende Stellung im Leben der deutschen Nation!“

      „Und ich soll ihm dazu verhelfen?“

      „Ja. Durch den Reichstag.“

      Der Kommerzienrat stand, sich auf die Tischplatte stützend, auf. „Nun kann ich mir schon denken,“ sagte er trocken ... „.... also lassen wir’s vorderhand. Das ist ’ne Sache zwischen ihm und mir!“

      Er ging auf seine Tochter zu und legte ihr leise den Arm um den Nacken. „Nun schau mich mal an, mein Mädel!“ sagte er ... „oder vielmehr auf mich herunter. Denn du bist ja mit Gottes Hilfe einen Kopf länger wie dein alter Vater!“

      Sie beugte sich herab und gab ihm einen Kuss. „Ich bin ganz Ohr, Papa! Was willst du wissen?“

      „Etwas, was einen Vater schliesslich auch angeht ...“ sprach der alte Herr ernst ... „... ob du glücklich bist, Mary? ... Mir scheint’s leider nicht so ganz der Fall.“

      Das junge Weib schwieg eine kleine Weile. Ein Lächeln spielte um ihren Mund. „Weisst du, Papa,“ sagte sie dann ... „... Glück ... das ist schliesslich auch ein Begriff! Ich bin immer eine kühle Natur gewesen ... ohne die Illusionen vieler anderer Mädchen ... und darum ist mir auch manche Enttäuschung erspart geblieben. Das kann man doch auch schon ein gewisses Glück nennen und ...“

      „Halt! ...“ unterbrach sie der alte Herr, „... zur Sache! ... ich habe dich gefragt, ob du glücklich bist? Glück heisst für euch Frauenzimmer Liebe. Liebst du deinen Mann?“

      „Liebe ...?“ sagte Mary ... „... vielleicht versteht darunter auch jeder etwas anderes. Ich verstehe darunter, einen Menschen gern haben! Das Wilde und Stürmische, was man vielleicht die eigentliche Liebe nennt — das ist nie über mich gekommen. Dazu bin ich zu kalt von Natur.“

      „Wir haben vorhin am Reichstag einen Menschen getroffen, mein Kind ...“ ihr Vater schüttelte nachdenklich den Kopf ... „... wenn ich an den Tag denke, an dem ich unsern damaligen Hauslehrer an die frische Luft setzte ...“

      „Er hatte eine ungeheure Macht über mich ... mit meinen achtzehn Jahren,“ sagte Mary ganz ruhig, „... gewiss ... das kann ich nicht leugnen! Wenn er’s befohlen hätte, wäre ich vom Turm heruntergesprungen. Sein Wille war meiner. Ich hatte gar keine Persönlichkeit mehr. Aber ob man das Liebe nennen kann ... diese Übermacht eines starken Charakters über ein halbfertiges Geschöpf, wie ich es damals war ... nun ... jedenfalls ist’s vorbei und nicht wiedergekommen.“

      „Also dein Mann hat diesen Einfluss nicht?“

      „Es war doch von vornherein eine Vernunftehe ...“ Mary schaute ihrem Vater kühl ins Gesicht ... „Darüber haben wir uns ja nie Illusionen hingegeben.“

      „Das heisst ... er brauchte viel Geld und eine kluge Frau ... und du einen sehr klugen Mann, um an seiner Seite zu einer glänzenden Stellung und dem Lebensgenuss im grossen Stil, wie ihn dein Naturell verlangt, zu kommen?“

      „Nun, ja ... so ungefähr.“

      „Schön!“ sagte der alte Kaufmann, „mir hat, wie du weisst, deine Wahl nie gefallen. ‚Ja‘ hab’ ich trotzdem gesagt, denn du warst einundzwanzig, und des Menschen Wille ist sein Himmelreich. Nun komm’ ich ja selten nach Berlin, trotz des Reichstags. Ich hab’ zu viel Arbeit mit den Fabriken, und meine Gesundheit ist schlecht. Aber wenn ich komme, finde ich, dass dein Mann wohlbeleibter, frivoler und selbstzufriedener geworden ist. Von dem mageren, eleganten Regierungsstreber, der damals auf unseren Bällen vortanzte, ist auch nicht die Spur übriggeblieben. Er setzt Fett an, körperlich und geistig. Er wird mir zu früh satt. Und darum frag’ ich dich noch einmal: Mary ... bist du mit ihm glücklich?“

      „Ja.“

      „Kind ... ist das auch wirklich wahr?“

      „Ja.“

      „Kannst du mir das beschwören?“

      „Ich schwör’ es dir!“ sagte die junge Frau halblaut, mit unbeweglichem Gesicht und halbgeschlossenen Augen.

      „Hm ... hm!“ Der alte Herr ging unruhig rauchend im Zimmer auf und nieder. „Also was fehlt dir denn?“

      „Mir? ... Nichts!“

      „Na ... hör’ mal!“ Er blieb ärgerlich vor seiner schönen Tochter stehen ... „... willst du mir was weismachen? Das seh’ ich doch, dass du leidest ... dass irgend etwas an dir zehrt; man braucht ja bloss dein Gesicht anzuschauen ... Warum sagst du mir’s denn nicht?“

      „Ich weiss nicht, was du meinst, Papa?“

      Er fasste ihre kühle, magere Hand. „Mary ...“ sagte er, „du weisst, was du mir bist ... mehr als deine seelengute Schwester und viel mehr als mein Sohn. Der und ich verstehen uns nicht. Wir leben in zwei verschiedenen Zeiten, und ich gönne ihm gern sein Reserveoffizierspatent von den Bonner Husaren und seine Korpsbänder aus Heidelberg und Göttingen, sein Monokel, seine prinzlichen und gräflichen Freunde und alles, wenn er nur mich alten Mann im Arbeitskontor in Frieden lässt. Aber mein eigentlicher Sohn ... das bist du! In dir erkenne ich ein Stück von mir wieder ... Verstand ... zähes Wollen und Selbstbeherrschung ... mehr als recht ist. Denn, weiss Gott ... niemand meint es so gut mit dir wie ich! Mir könntest du schon vertrauen!“

      Das schlanke junge Weib rang in lachender Ungeduld die Hände. „Wenn ich aber doch kein Geheimnis habe, Papa!“ rief sie aus.

      „So ... so ...“ sagte der alte Herr, setzte sich wieder in den Lehnstuhl und rauchte verdrossen weiter.

      „Sag’ mal ...“ hub er nach einer Pause wieder an. „Warum vertragen sich eigentlich eure Männer so schlecht zusammen?“

      „Sie sind so verschieden! Eine harte Pflichtnatur wie Herbert und dagegen Oskar ... nun ... du kennst ihn ja ...“

      Der Kommerzienrat schaute sie plötzlich an, mit einem so angstvoll forschenden Blick, dass sie unwillkürlich stehenblieb ... „Ist das der einzige Grund, Mary?“

      „Es war niemals von einem andern die Rede!“

      „... und es war auch nie ein Gedanke ... eine Empfindung ... möchte ich sagen ... dass etwas ... Tieferes dahinter steckt ... etwas, was zwei Männer nun einmal trennen muss ...“

      „Sie haben ja gar keine Berührungspunkte!“

      „... Ausser dass sie Schwäger sind!“

      „... sag’ mal, Papa!“ Mary nahm neben ihrem Vater Platz. „Geht das nun auf Ellen?“

      „Nein, Kind!“

      „Wenn’s also auf mich geht,“ sagte die junge Frau ganz ruhig ... „dann erinnere dich, bitte, an das, was du vorhin gesagt hast ... dass ich dir im Wesen so ähnlich sei! Hast du in deinem ganzen Leben irgend etwas zu verheimlichen und zu bereuen?“

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