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Zum ersten Mal waren wir in der Situation, gemeinsam einen eventuellen Fall zu konstruieren und uns über eine mögliche Lösung beziehungsweise Aufklärung Gedanken zu machen. Er schien es kaum abwarten zu können, sich mit kriminellen Halunken anzulegen.

      Mit Pascal, meinem Ex-Freund, war es komplett anders gewesen. Er hatte es gehasst, wenn ich bei ungeklärten Todesfällen tätig geworden war. Nein, ›gehasst‹ ist das falsche Wort – er hatte Angst um mich gehabt. Und das nicht ohne Grund, denn ich war dabei einige Male durchaus in Lebensgefahr geraten, und das hatte er irgendwann nicht mehr ausgehalten. Vor die Wahl gestellt, mich zwischen ihm und meinen Ermittlungen zu entscheiden … Nun, wir haben uns getrennt, und das sagt wohl alles.

      Dennis dagegen war von meinen Aktivitäten stets fasziniert gewesen und hatte sie unterstützt; meist indem er mich vom Dienst freistellte, wenn ich die Zeit brauchte. Nicht zuletzt deshalb, weil ich auch ihm mal sehr geholfen hatte: Damals hatten wenig zimperliche Ganoven mit erheblicher krimineller Energie alles darangesetzt, in den Besitz des Callcenters zu gelangen. Unseren Einsatz hatten Frank und ich zu Dennis’ großer Bestürzung nur knapp überlebt.

      Aber die bösen Buben – und Mädchen! – waren geschnappt und das Callcenter gerettet worden, wodurch Dennis sich mir gegenüber zu ewiger Dankbarkeit verpflichtet fühlte. Ich sah das nicht ganz so dramatisch, aber schon seinerzeit hatte sich unser Chef-Angestellte-Verhältnis in eine sehr freundschaftliche Beziehung verwandelt. Und jetzt waren wir ein Paar, verrückt.

      »Loretta! Träumst du?«

      Dennis’ Stimme riss mich aus meinen Gedanken, und ich schüttelte den Kopf. »Nein, ich habe über den Fall nachgedacht«, erwiderte ich nicht ganz wahrheitsgemäß. »Ich frage mich, was wir tun könnten. Zu diesem Fräulein Rottenmeier von Heimleiterin gehen und sie bitten, die Wohnungen nach Wanzen durchsuchen zu dürfen? Das ist nicht realistisch.«

      »Ich wüsste momentan auch noch nicht, wie wir aktiv werden können. Vielleicht sollten wir morgen mal mit Erwin darüber sprechen.«

      »Gute Idee. Hör mal, ich fahre jetzt nach Hause, Baghira wartet bestimmt schon. Außerdem müssten die Schwestern mir jede Menge Informationen geschickt haben. Zumindest haben sie es versprochen. Fotos von allen, Informationen über die Bewohner und das Personal, wer wo wohnt … Ich muss das erst mal sortieren.«

      Ich merkte Dennis an, dass er mich ungern gehen ließ, aber weder versuchte er, mich aufzuhalten, noch wollte er mich zu mir begleiten.

      Kluger Mann.

      Als ich meine Wohnung betrat, kam kein Baghira angelaufen, um mich zu begrüßen. In seinem Krähennest hoch oben auf dem Kratzbaum war er nicht, also schaute ich im Schlafzimmer nach. Das Bettzeug lag als zerwühlter Haufen auf dem Bett, und bei genauerem Hinsehen entdeckte ich die kleinen, dreieckigen Spitzen schwarzer Katzenohren, die verräterisch herauslugten. Ich setzte mich auf die Bettkante, und Baghiras Kopf fuhr hoch. Der Kater miaute leise, rollte sich auf den Rücken und ließ beim Gähnen prachtvolle Reißzähne aufblitzen.

      Ich kraulte seinen Bauch, dann stand ich auf und sagte: »Komm, Dicker. Du hast doch bestimmt Hunger.«

      Trippelnd folgte er mir in die Küche und wartete erstaunlich ruhig ab, bis sein Napf gefüllt auf dem Boden stand.

      Ich sah ihm beim Fressen zu und spürte wieder einmal mein schlechtes Gewissen ihm gegenüber. Seit ich mit Dennis zusammen war, musste mein Kater durchaus mal auf meine Gesellschaft verzichten. Eigentlich gehörte es nicht zu seinen Angewohnheiten, in meinem Bett zu schlafen, jedenfalls nicht, wenn ich darin lag. Bedeutete die Tatsache, dass ich ihn in letzter Zeit mehrfach dort entdeckt hatte, dass er mich vermisste? Anderseits brachte er gefühlt zwanzig von den vierundzwanzig Stunden eines Tages im Tiefschlaf zu, und ich fragte mich, ob er meine Abwesenheit überhaupt bemerkte.

      Ich hatte sogar schon überlegt, ihn bei Frank und seiner Familie einzuquartieren. Die Kinder liebten ihn abgöttisch, außerdem könnte er dort durch den Garten stromern – ein deutlich größeres Revier als meine Terrasse. Hatte Frank nicht letztens von Mäusen im Lagerschuppen gesprochen? Baghira könnte dort als offizieller Mäusejäger anheuern.

      Ich kicherte und schüttelte den Kopf. Baghira und jagen, das konnte ich mir nun wirklich nicht vorstellen. Außer, man würde die Mäuse in Alufolie wickeln, die nach Döner duftete. Und selbst dann würde mein träger Kater die Beute vermutlich lediglich durch die Gegend dribbeln, bis er das Interesse daran verlor.

      Aber was wusste ich schon? Vielleicht schlummerte in ihm ja doch ein gefährlicher Kleinwildjäger, der in Franks Schuppen zu ganz großer Form auflaufen würde?

      Man wusste es nicht.

      Man wusste überhaupt so wenig.

      Die Schwestern hatten mir tatsächlich tonnenweise Informationsmaterial geschickt. Von den Bewohnern gab es exzellente Fotos; offenbar hatten alle bereitwillig für ein Porträt posiert. Beim Personal waren die Bilder von ganz unterschiedlicher Qualität; zum Teil sah man ihnen an, dass sie heimlich geschossen worden waren. Die beiden Gärtner – Vater und Sohn Wohlfahrt – hatten sie bei der Arbeit erwischt, und es ragten einige Blätter ins Bild, denn vermutlich hatten die Schwestern sie aus der Deckung einiger Büsche heraus geknipst. Den glatzköpfigen Koch, Micky Thomsen, schienen sie überrumpelt zu haben – er streckte sogar abwehrend die Hand aus, war aber trotzdem ganz gut zu erkennen. Serviererin Susi lächelte offen in die Kamera, während ihre Kollegin Janina aussah, als hätte sie am liebsten zugeschlagen. Den Hausmeister hatte ich ja ohnehin schon gesehen, und die Küchenhilfe war ein farbloses Mädchen mit langem Zopf, das im Moment der Aufnahme in der Küche am Arbeitstisch stand und überrascht in die Kamera guckte.

      Ich verbrachte den Rest des Abends damit, alles zu sortieren und ein Dossier zu erstellen, das ich an meinen Rechner im Callcenter schickte.

      Es war bereits weit nach Mitternacht, als ich den Laptop zuklappte und ins Bett ging.

       Kapitel 5

       Es kann durchaus schwierig sein, Dinge herauszufinden – auch wenn Breitcord-Boy bereits in den Startlöchern steht

      Natürlich verschlief ich am nächsten Morgen, und so war es bereits neun Uhr, als ich ins Callcenter schlurfte.

      »Dornröschen ist also endlich aufgewacht«, sagte Erwin, der wie hingezaubert in der Tür meines Büros materialisierte, kaum dass ich am Schreibtisch saß.

      »Zum Dornröschen fehlt ein ganz wesentliches Merkmal: Ich wurde heute Morgen nicht durch einen Kuss geweckt«, erwiderte ich.

      »Ach, das können wir ganz leicht nachholen!« Dennis spähte über Erwins Schulter und machte alberne Kussgeräusche, die mich zum Lachen brachten.

      Bedauernd schüttelte ich den Kopf. »Viel zu spät, Wächter meines Herzens, die holde Prinzessin ist ja bereits wach. Beim nächsten Mal wieder.«

      »Nein, genau jetzt.«

      Dennis drängte sich an Erwin vorbei ins Büro, beugte sich über mich und gab mir einen Kuss.

      »Ich will ja nicht stören, aber …« Erwin grinste und sah uns auffordernd an.

      »Warum tust du es dann?«, fragte Dennis.

      »Weil du vorhin elektrisierende Andeutungen zu mysteriösen Vorkommnissen in einem gewissen Seniorenstift gemacht hast, mein Bester.« Erwin verschränkte die Arme vor der Brust und schüttelte den Kopf. »Also wirklich. Glaubt ihr etwa, ich sitze danach in aller Gemütsruhe herum und warte geduldig darauf, bis die gnädige Prinzessin sich endlich dazu herablässt, mir alles im Detail zu erzählen? Dann kennt ihr mich aber schlecht.«

      Eines war damit klar wie Kloßbrühe: Erwin würde so lange herumnerven, bis wir in sein Büro kamen und ausführlich Bericht erstatteten.

      »Also gut«, sagte ich ergeben. »Ich brauche einige Minuten, um alles auszudrucken, was ich vorbereitet habe.«

      Dennis strahlte und rieb sich voller Vorfreude die Hände. »Und dann planen wir die Ermittlungen!«

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