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Frisur kopierte zweifellos diejenige, die Günter Netzer in den Siebzigern getragen hatte – dessen damaligen Stil Dennis übrigens sehr bewunderte.

      »Wir freuen uns jedenfalls, dass du einen so netten Gefährten gefunden hast«, sagte Käthe. »Eine so besondere junge Frau wie du sollte nicht allein durchs Leben gehen.«

      »Das sollte niemand, oder?«, erwiderte ich.

      »Aber viele sind allein.« Mit einer kaum merklichen Kopfbewegung deutete Käthe in die Runde. »Die meisten Bewohner unserer Residenz zum Beispiel. Das macht es ja auch so einfach …« Sie brach ab und fuhr dann fort: »Wo kein Kläger, da kein Richter. Du wirst gleich verstehen, was ich meine.«

      Okay – mittlerweile hatten sie mich so neugierig gemacht, dass ich unser Dessert in Windeseile hinunterschlang, ohne es wirklich zu genießen. Dabei hatte die himmlische Pannacotta das nun wirklich nicht verdient. Ungeduldig zappelte ich auf meinem Stuhl herum und sah dabei zu, wie sich die beiden Damen ihre Nachspeise Löffelchen für Löffelchen im Mund zergehen ließen.

      Plötzlich blickten alle auf: Eine elegante Dame betrat den Raum und grüßte huldvoll in die Runde. Begleitet wurde sie von einem mürrischen Mann Mitte fünfzig, dessen blaue Latzhose und Werkzeugkasten ihn als Handwerker auswiesen. Ganz offensichtlich ging es ihm massiv gegen den Strich, am Sonntagmittag hier antanzen zu müssen.

      »Ich will Sie gar nicht lange stören«, sagte die Dame, »aber … Herr Sommer …?«

      Der Mann im Schlagersänger-Outfit winkte, tupfte sich dann mit einer Stoffserviette die Mundwinkel ab und erhob sich. »Wunderbar, dass Sie sofort kommen konnten, Herr Meister. Der tropfende Wasserhahn macht mich verrückt.«

      Wow, ein tropfender Wasserhahn.

      Nicht etwa ein verstopftes Klo oder eine zerbrochene Fensterscheibe, nein: ein tropfender Wasserhahn. Dafür wurde am Sonntag ein Handwerker bemüht? Nun ja, wenn man für den Notdienst seiner Firma eingeteilt war, musste man wohl damit rechnen. Umso saftiger würde die Rechnung ausfallen.

      Die drei verließen den Speisesaal, und Käthe beugte sich zu mir. »Das war Frau von Dillingen; sie leitet dieses Haus. Und Herr Meister, unser Hausmeister.«

      »Na, sein Name passt ja wie Ar…, äh, wie die Faust aufs Auge«, gab ich leise zurück. »Wohnen die auch hier?«

      »Frau von Dillingen bewohnt einige Räume im ersten Stockwerk«, sagte Käthe. Sie deutete auf einen alten Herrn mit grau meliertem Bürstenschnitt und fuhr fort: »Das ist übrigens ihr Vater, Justus von Dillingen. Er lebt auch in der Residenz. Aber Herr Meister natürlich nicht. Er kommt werktags jeden Morgen um sieben und hat um fünf Feierabend.«

      Missbilligend schüttelte ich den Kopf. »Heute ist kein Werktag, soweit ich weiß. Und ich bin ein bisschen erstaunt, dass der Mann für einen läppischen tropfenden Wasserhahn hierher zitiert wird. Das kann man ja wohl kaum als Notfall bezeichnen. Sogar mir fallen spontan diverse Möglichkeiten ein, um so ein Tropfgeräusch abzustellen. Da improvisiert man halt ein bisschen und wartet ab, bis der Hausmeister normal zum Dienst kommt.«

      Cäcilie lächelte sanft. »Kindchen, lass es mich so sagen: Die meisten Bewohner dieser Residenz sind der Meinung, dat sie nich Unsummen für dat Privileg zahlen, hier einen gewissen Luxus zu genießen, um sich selbst etwas einfallen zu lassen, wenn der Wasserhahn tropft. So simpel ist dat. Die Glühbirne in einer Stehlampe geht am Samstagabend kaputt, und schon wird nach Herrn Meister geschrien. Ehe du dich aufregst – Käthe und ich würden das niemals tun.«

      »Herr Meister scheint ja einen echten Traumjob zu haben. So ein verdammter Glückspilz. Ich hoffe, er bekommt für seinen Einsatz heute wenigstens ein großzügiges Trinkgeld.«

      Cäcilie schnaubte. »Darauf würde ich nicht wetten. Einige hier sind nicht nur stinkreich, sondern haben auch noch einen Igel in der Tasche.«

      Wie überaus sympathisch.

      Die schöne Fassade dieser Luxusresidenz bekam in meiner Wahrnehmung erste Risse. Lebte hier etwa ein Haufen bornierter Snobs, die glaubten, die Angestellten herumscheuchen zu können? Bäh. Was gab ihnen das Recht dazu? Ihr Geld? Wohl kaum. Aber Herzensbildung konnte man sich halt nicht kaufen.

      »Ach, Cäcilie, das gilt wirklich nicht für jeden. Etliche sind äußerst großzügig, Lucia zum Beispiel, oder Elisabeth. Was soll Loretta nur von unseren Mitbewohnern denken? Sieh nur, jetzt hat sie prompt schlechte Laune gekriegt«, sagte Käthe bekümmert. »Loretta, das wollten wir nicht.«

      Ich riss mich zusammen. Mit einem Lächeln winkte ich ab. »Ist ja nicht eure Schuld. Selbst wenn nur zwei oder drei von ihnen sich so hochherrschaftlich verhalten: Da muss ich an Zeiten denken, als Angestellte wie Leibeigene behandelt wurden und rund um die Uhr zur Verfügung stehen mussten. Dafür sind selbst die Bewohner dieser Filmkulisse eindeutig zu jung, was allerdings kein Hinderungsgrund zu sein scheint. Wenn die mit allen so herablassend umgehen, lebt der eine oder andere hier gefährlich, schätze ich mal.«

      Zwischen Käthe und Cäcilie flogen die Blicke hin und her wie ein Tennisball beim Finale in Wimbledon.

      Sah ganz so aus, als hätte ich ins Schwarze getroffen.

       Kapitel 3

       Käthe und Cäcilie wittern ein Verbrechen, und Loretta soll es aufklären – aber wie?

      »Ich mache uns einen schönen Mokka«, sagte Käthe, als wir wieder in der Suite der Schwestern waren. Ohne eine Antwort abzuwarten, verschwand sie in der winzigen Küche.

      Mittlerweile wusste ich, dass die beiden Damen dort einen Kaffee-Automaten stehen hatten, dessen Kaufpreis ich im vierstelligen Bereich vermutete. Die Maschine war zwar relativ klein und kompakt, konnte aber das, was unter dem Oberbegriff Kaffee lief, in vierundzwanzig Variationen produzieren, Knopfdruck genügte. Ich übertreibe nicht, wenn ich sage, dass mich bei unserer ersten Begegnung eine tiefe Zuneigung zu diesem Gerät ergriffen hatte, was Käthe und Cäcilie ziemlich amüsiert hatte.

      Ich stellte mich an eines der bodentiefen Sprossenfenster, von denen zwei auch als Terrassentüren fungierten. Der Ausblick auf den Park konnte sich sehen lassen, und das zu jeder Jahreszeit, wie ich annahm. Selbst im Winter musste die Anlage ihren Reiz haben, zum Beispiel, wenn alles mit Raureif überzogen war.

      Da ich den Gebäudekomplex schon früher einmal umrundet hatte, wusste ich, dass es vier dieser Terrassen gab, die vermutlich sämtlich zu Suiten gehörten, wie die Schwestern sie bewohnten. Optisch unterschieden sich diese Außenbereiche stark voneinander: Die vor meiner Nase war von einer hüfthohen Buchenhecke mit einer seitlichen Lücke zum Durchschlüpfen umgeben. Bei meinem ersten Besuch hatte ich mich gefragt, ob ich mich mit einer höheren Hecke wohler fühlen würde, die mir etwas mehr Privatsphäre gewähren konnte. Aber es hatte sich herausgestellt, dass die Leute normalerweise die weiter entfernten Pfade benutzten und nicht – wie ich – quer über den Rasen latschten, um den Weg abzukürzen.

      Bei den anderen Terrassen gab es keine Hecken, sondern lediglich vereinzelte am Rand platzierte Kübel mit affig geschnittenen, unecht wirkenden Buchsbaumskulpturen: Kugeln, Spiralen oder Kegel, die genauso gut aus Plastik hätten sein können. Im Sommer waren diese Bereiche mit geschmackvollen Gartenmöbeln und Sonnenschirmen ausgestattet gewesen, die alle gleich aussahen und wahrscheinlich zur Ausstattung der Suiten gehörten.

      Ich hätte jede Wette gehalten, dass Frau von Dillingen es den Bewohnern keinesfalls erlaubte, das Gartenmobiliar selbst auszusuchen. Immerhin würde es den harmonischen Gesamteindruck der Residenz massiv stören, wenn einer sich für einen gestreiften Sonnenschirm begeistern würde und ein anderer für einen mit Punkten – undenkbar, schließlich war man hier nicht auf dem Jahrmarkt. Also bekamen alle einheitlich grüne Schirme, farblich passend zu den Polstern der Sitzmöbel.

      Sicherlich gab es Schlimmeres, aber mich hätte es genervt, meine Terrasse nicht individuell gestalten zu dürfen.

      Käthe brachte den Mokka herein. »Sooooo«, flötete sie dabei, wie weiland Else Tetzlaff.

      Wir

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