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      Obwohl Erwins Büro innerhalb der Räumlichkeiten des Callcenters lag, hatte es zusätzlich einen eigenen Eingang. Den benutzten wir stets, wenn wir in Begleitung von Leuten waren, die mit den Gegebenheiten nicht vertraut waren. Bei einer Sexhotline konnte es durchaus laut werden, und wir wollten niemanden unvorbereitet dieser Woge aus Liebesschwüren, Stöhnen und vorgespielten Orgasmen aussetzen. Dazu kam, dass wir mit dem, was wir da taten, sehr diskret umgingen. Außenstehenden erzählten wir meistens, dass wir für eine Online-Bank arbeiteten.

      Ich klingelte also an der Seitentür, und schon wenige Sekunden später öffnete Dennis, der in Cordanzug und Rolli nicht nur sehr schick, sondern auch äußerst seriös aussah, wie ich fand. Guter Junge.

      »Welch Glanz in dieser bescheidenen Hütte, da geht doch glatt die Sonne auf«, schmalzte er, was bei mir Augenrollen, bei den Schwestern allerdings kokettes Kichern auslöste. Er lächelte ein Lächeln, das einen dahinschmelzen ließ, und bat uns mit einer galanten Handbewegung herein.

      Die Schwestern trippelten an mir vorbei in Erwins Büro und blickten sich neugierig um. Sie klatschten entzückt in die Hände, als sie an einem Flipchart die von mir erstellten Seiten des Dossiers entdeckten.

      »Wir haben also alles zu Ihrer Zufriedenheit vorbereitet?«, sagte Erwin mit seiner schönsten sonoren Stimme und kam hinter seinem Schreibtisch hervor.

      Ich übernahm es, ihn und die Schwestern einander vorzustellen. Zwei formvollendete Kusshände später lagen Cäcilie und Käthe ihm zu Füßen und ließen sich wie betäubt aufs Besuchersofa sinken. Als er ihnen auch noch Kaffee und Kekse servierte, waren sie vollends hingerissen.

      Dennis setzte sich auf die Armlehne meines Sessels, und Erwin nahm den Schwestern gegenüber Platz.

      »So«, sagte er, »Loretta hat mir bereits alles erzählt, und ich muss sagen, dass die Geschichte recht aufregend ist.«

      »Nicht wahr?«, kiekste Käthe, und ihre Wangen färbten sich rosa – farblich perfekt passend zu ihrem Seidenpullover. »Was werden Sie unternehmen?«

      Erwin lachte sein Guter-Bulle-Lachen, das seine grauen Minipli-Löckchen lustig tanzen ließ und das einem Weihnachtsmann gut zu Gesicht gestanden hätte. »Immer langsam mit den jungen Pferden. Ihr Temperament beeindruckt mich, aber hier ist Besonnenheit gefragt, meine Damen. Was ich Ihnen jedoch vorab schon sagen kann: Meine Nachforschungen haben ergeben, dass kein Diebstahl angezeigt wurde. Jedenfalls keiner, der eine antike Uhr und einen kostbaren Teppich beziehungsweise die Residenz betrifft.«

      »Sie zweifeln also nicht daran, dass es diese Dinge gab?«, fragte Käthe.

      Erwin schüttelte den Kopf. »Warum sollte ich? Ich wette, Ihre Beobachtungsgabe ist hervorragend. Außerdem gab es ja dieses Gespräch zwischen Ihnen und dem mittlerweile verblichenen Besitzer, bei dem es konkret um besagte Gegenstände ging. Dabei werden Sie sich die Uhr und den Teppich mit Sicherheit ziemlich genau angesehen haben, nicht wahr?« Auf das synchrone Nicken der Schwestern hin fuhr er fort: »Sehen Sie? Also musste Ihnen selbstverständlich auffallen, dass beides nach seinem Tod ausgetauscht worden war.«

      »Aber bedeutet dat nicht automatisch, dat Heribert ermordet wurde?«, fragte Cäcilie.

      »Ich fürchte nein«, erwiderte Erwin. »Es könnte ja sein, dass ein verbrecherischer Bestatter alles eingesackt hat.« Er lächelte. »Obwohl es natürlich unwahrscheinlich ist, dass ein Bestatter auf Verdacht einen Teppich und eine Uhr im Auto hat, falls es etwas zu klauen beziehungsweise auszutauschen gibt. Aber es könnte jemand vom Personal gewesen sein, der schlicht die Gelegenheit genutzt hat. Das muss nicht zwingend mit einem eventuell gewaltsamen Tod Ihres geschätzten Mitbewohners zusammenhängen. Wir sollten uns davor hüten, vorschnell Verbindungen zu konstruieren, wo es in Wirklichkeit gar keine gibt.«

      Verzagt fassten die Schwestern sich bei den Händen. »Aber wir dachten, der arme Heribert musste wegen seines Besitzes sterben«, murmelte Käthe.

      Erwin lächelte strahlend. »Es ist gut, dass Sie aufmerksam waren – und vermutlich nach wie vor sind. Deshalb benötigen wir jetzt Ihre Expertise zu allen Personen, die Sie uns aufgelistet haben. Dann überlegen wir weiter, einverstanden?«

      Er gab ihnen eine Liste mit den Fotos und Namen der Bewohner, und ich ging zum Flipchart und nahm einen Stift zur Hand.

      »Alles klar, Mädels«, sagte ich, »es kann losgehen.«

      Zwei silberhaarige Köpfe beugten sich über die Liste, dann blickte Käthe hoch. »Der Reihe nach?«

      Ich schüttelte den Kopf. »Muss nicht sein. Ganz wie ihr wollt. Wir könnten zum Beispiel auch mit denen anfangen, die nicht reich sind, um sie gleich als potenzielle Opfer eventuell noch geplanter Diebstähle auszuschließen. Wisst ihr über die finanziellen Verhältnisse der Leute Bescheid?«

      Die Schwestern blickten sich amüsiert an. »Hat der Papst ’nen lustigen Hut auf?«, fragte Cäcilie. »Wir wissen es sicher nicht auf den Cent genau, aber ob einer wat auf der Naht hat oder nicht, ist uns natürlich bekannt.«

      Natürlich. Wie hatte ich auch nur eine Zehntelsekunde lang daran zweifeln können?

      »Beginnen wir mit Egbert Fröhlich und Johannes Blum«, sagte Käthe. »Rüstige Rentner, wie sie im Buche stehen. Bei beiden zahlen die Familien die Kosten der Residenz, bei ihnen ist also nichts zu holen. Außerdem wäre da noch Rosamunde Maier. Sie war ihr Leben lang als Haushälterin und Kinderfrau bei einem international tätigen Architektenehepaar angestellt, hat auch dort im Haus gewohnt. Ihre ehemaligen Arbeitgeber wollen, dass sie im Ruhestand alle Bequemlichkeiten genießt, die möglich sind. Weil Rosamundes Rente natürlich nicht ausreicht, übernehmen sie einen Großteil der Kosten.«

      »Ganz schön nobel«, murmelte Dennis, »da hat die gute Rosamunde großes Glück gehabt.«

      Cäcilie lächelte. »Es ist ihr zu gönnen, nicht wahr? Wenn man sich sein ganzes Leben für eine fremde Familie beziehungsweise deren Kinder aufopfert, hat man sich ein bisschen Dankbarkeit redlich verdient, finde ich.«

      Ich hatte die Informationen in Stichpunkten bei den betreffenden Personen an dem Flipchart notiert; jetzt sah ich die Schwestern an. »Die drei können wir also ausschließen, einverstanden? Sonst noch jemand?«

      Die Schwestern nickten, dann sagte Cäcilie: »Unser Schlagerheini, Hansi Sommer. Residiert pompös in einer Suite, ist aber arm wie eine Kirchenmaus.«

      »Ach was?« Erwins Brauen verschwanden unter seinen Löckchen. »Das müssen Sie mir genauer erklären.«

      »Der hat alles, wat er jemals verdient hat, gnadenlos verballert«, erwiderte Cäcilie kichernd. »Für Weiber, Schampus und Glücksspiel, und da ist er auch noch stolz drauf. Der hat nix mehr außer seinen alten Bühnenklamotten und ein paar verstaubten Goldenen Schallplatten. Aber«, sie senkte verschwörerisch die Stimme, »es gibt da einen Fanclub, rein weiblich, natürlich. Allesamt sehr wohlhabende Damen gesetzten Alters, die angeblich mal seinen Schampus schlürfen durften«, sie zwinkerte in die Runde, »wenn ihr versteht, wat ich damit sagen will.«

      Käthe zuckte zusammen und lief tiefrot an. »Cäcilie!«, zischte sie entrüstet.

      Cäcilie zuckte mit den Schultern. »Ist doch wahr! Der geht mit seinen Gönnerinnen doch überall hausieren. Samt und sonders Ex-Geliebte. Angeblich. Wie auch immer: Die dummen Weiber schmeißen zusammen und ermöglichen ihm ein Leben wie Gott in Frankreich.«

      »Der würde dir übrigens gefallen, Dennis«, sagte ich, während ich mir Notizen zu Hansi Sommer machte. »Am Sonntag trug er einen weißen Anzug und ein lila Satinhemd, strictly seventies.«

      »Und einen exzellenten Haarschnitt hat er außerdem!«, rief Dennis und lachte schallend. »Ein Mann von Stil und Geschmack, wie es scheint.«

      »Und? Sind das alle, die wir ausschließen können?«, fragte Erwin die Schwestern.

      »Nein, Hermine Sanders gehört noch in diese Gruppe«, erwiderte Käthe. »Sie ist eine ehemalige Oberstudienrätin und hat ihr Leben lang jeden Pfennig auf die Seite gelegt, um ein Polster für ihren Ruhestand

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