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nun tatsächlich ein viertes festes Mitglied im Club der kriminalistischen Superhelden: Dennis. Natürlich brauchte auch er einen passenden Namen. Hmm … mal nachdenken … Captain Kotelette vielleicht? Oder doch lieber Breitcord-Boy?

      Ich kicherte noch immer albern vor mich hin, als ich eine Viertelstunde später Erwins Büro betrat.

      »Und diese Informationen haben die legendären Schwestern dir geschickt?«, fragte Erwin ungläubig, nachdem er die ausgedruckten Seiten durchgeblättert hatte. »Das ist ja fantastisch. Wie viel Zeit würde es wohl kosten, das alles auf normalem Weg herauszufinden?«

      »Wir werden es niemals wissen«, gab ich grinsend zurück.

      »Ich muss die beiden unbedingt kennenlernen«, sagte Erwin verträumt. »Solche Zeuginnen hätte ich mir damals zu meiner aktiven Zeit als Polizist gewünscht.«

      »Das kann ich mir lebhaft vorstellen«, sagte ich. »Und das mit dem Kennenlernen lässt sich ganz schnell arrangieren. Du hast doch bestimmt ein Gerät, mit dem man Abhörgeräte aufspüren kann, oder? Einen Wanzendetektor oder wie auch immer die heißen.«

      Erwins Lächeln war mindestens so geheimnisvoll wie das der Mona Lisa. »Was ich nicht selbst in meinem Fundus habe, kann ich besorgen.«

      Das konnte er zweifellos, denn nach wie vor verfügte er über exzellente Kontakte nicht nur zu ehemaligen Kollegen bei der Polizei, sondern auch zu allerlei Figuren mehr oder weniger guten Rufes, zu denen er sich allerdings niemals konkret äußerte. Was Verbindungen zur Halbwelt anging, war er verschlossener als eine Auster.

      »Funktionieren die auch von draußen, oder musst du im verwanzten Raum sein, um die Dinger aufzuspüren?«, fragte Dennis.

      Erwin schüttelte den Kopf. »Nee, die Detektoren erfassen das Signal der Wanzen auch durch Mauern. Umgekehrt funktionieren Hochleistungswanzen übrigens ebenfalls von außen.« Ernst sah er mich an. »Du möchtest also, dass ich den Seniorenstift nach Wanzen checke?«

      »Das wäre jedenfalls ein guter Start«, erwiderte ich nachdenklich. »Aber ich erzähle einfach mal von Anfang an.«

      »Bleibt die Frage, womit wir es hier zu tun haben«, sagte Erwin, als ich geendet hatte. »Geht es tatsächlich um einen Mord oder nur um Diebstahl?«

      Ich zuckte mit den Schultern. »Keinen Schimmer. Ich bin allerdings dafür, dass wir uns auf den Diebstahl konzentrieren beziehungsweise zunächst einmal rausfinden, ob es tatsächlich Wanzen in der Residenz gibt.«

      »Haben die beiden einen konkreten Verdacht geäußert, wer darin verwickelt sein könnte?«, fragte Erwin.

      Ich schüttelte den Kopf. »Ich soll mir zunächst selbst ein Bild von den Leuten machen, die in der Residenz leben und arbeiten, haben sie gesagt. Aber dazu bin ich bisher noch nicht gekommen, denn gestern Abend reichte es nur dazu, die ganzen Informationen zu sortieren und den Fotos zuzuordnen. Beim Essen im hauseigenen Restaurant habe ich zwar die Bewohner und zwei Leute vom Personal gesehen, aber viel mehr als flüchtige Eindrücke sind bei mir nicht hängen geblieben. Nein, es waren drei, wenn wir die Leiterin der Residenz dazurechnen, diese Frau von Dillingen. Aber da ahnte ich ja noch nicht, welche Geschichte sie mir später auftischen würden.«

      »Und selbst wenn.« Demonstrativ blätterte Dennis durch die ausgedruckten Seiten. »Wir haben es hier mit mehr als zwanzig Personen zu tun – da müssen wir erst einmal aussortieren. Am besten zusammen mit den Schwestern. Wer kommt als Bösewicht infrage und wer nicht? Ein knapp neunzigjähriger Tattergreis käme bei mir nicht unbedingt in die engere Wahl, um ehrlich zu sein.«

      Erwin hob den Finger. »Spontan würde ich sagen, wir haben drei Möglichkeiten. Erstens: Es ist jemand vom Personal, der seine Zugehörigkeit zum internen Kreis der Residenz und seine Kenntnisse ausnutzt, um zu klauen. Zweitens: Es ist ein Angehöriger eines der Bewohner, der weiß, dass dort leichte Beute zu machen ist. Drittens: Es ist jemand, der überhaupt nicht zum Kosmos der Residenz gehört.«

      »Zum Beispiel?«, fragte ich alarmiert, denn ›Drittens‹ hörte sich nach einer unüberschaubaren Menge potenzieller Verdächtiger an. Vielen Dank auch.

      »Ganz einfach«, erwiderte Dennis. »Paketdienste, Handwerker, Postboten, Dienstleister – schlicht und ergreifend jeder, der mal ins Haus gekommen ist und sofort gerafft hat, dass dort keine armen Leute wohnen. Dort stinkt es nach Geld, Loretta. Das ist eine verdammte Luxus-Residenz. Und wer sich so etwas leisten kann …« Er zuckte mit den Schultern.

      »Der hat auch einen Koffer voller Goldstücke unter dem Bett, wolltest du sagen?«, fragte ich süffisant. »Du verwechselst da was – das war Pippi Langstrumpf.«

      Dennis rollte mit den Augen. »Der verblichene Heribert latschte immerhin über einen 55.000-Euro-Teppich, oder etwa nicht? Und wer weiß, welche anderen Kostbarkeiten in der Residenz noch darauf warten, geklaut zu werden? Hier, diese Frau zum Beispiel, diese …« Er durchstöberte die Seiten und tippte dann auf ein Bild. »Die meine ich, diese russische Primaballerina! Vielleicht hat sie ja millionenschwere Juwelen unter ihrer Matratze versteckt.«

      »Ja, vielleicht«, sagte ich. »Vielleicht aber auch nicht. Vielleicht ist sie ja schlauer als Heribert und bewahrt ihren Schmuck, falls derartige Klunker überhaupt existieren, in einem Bankschließfach auf, wie es sich gehört.«

      »Und wenn nicht?«, blaffte Dennis.

      »Und wenn doch?«, blaffte ich prompt zurück.

      »Nanu – Streit im Paradies?« Amüsiert schüttelte Erwin den Kopf. »Abgesehen davon seid ihr bereits zehn Schritte zu weit. Noch wissen wir nicht einmal, ob die Bewohner der Residenz überhaupt abgehört werden, das müssen wir als Erstes herausfinden.«

      »Okay. Und falls sich die Vermutung der Schwestern als wahr herausstellt, was tun wir dann?«, fragte ich.

      »Ist doch ganz klar!«, rief Dennis mit blitzenden Augen. »Wir schleusen jemanden in die Residenz ein und …«

      Erwin hob die Hand. »Ach ja? Und als was? Als Bewohner? Wie stellst du dir das vor? Soll mein Täubchen etwa dort einziehen und herumschnüffeln?«

      Ich unterdrückte ein Kichern.

      Sein Täubchen – meine Arbeitskollegin Doris – war zwar bereits über siebzig, aber sie würde ihren zehn Jahre jüngeren Gatten Erwin um einen Kopf kürzer machen, würde er sie in einer Seniorenresidenz einquartieren wollen. Außerdem war es organisatorisch viel zu kompliziert und langwierig, denn man zog nicht einfach von einem Tag auf den anderen irgendwo ein. Abgesehen davon würde Erwin seine Liebste um nichts in der Welt irgendeiner Gefahr aussetzen.

      »Genau über dieses Problem zerbreche ich mir den Kopf, seit die Schwestern mir alles erzählt haben«, sagte ich. »Selbstverständlich kommt nicht infrage, Doris einzuschleusen, zumal wir dann vermutlich auch die Heimleiterin einweihen müssten, oder? Und was, wenn sie diejenige welche ist? Das ist viel zu riskant.«

      »Die Heimleiterin?«, fragte Dennis verblüfft.

      Ich zuckte mit den Schultern. »Warum denn nicht, kann doch sein? Skrupellosigkeit gibt es überall, das ist doch nicht von der Position in einer Hierarchie abhängig.«

      »Ich schlage Folgendes vor«, sagte Erwin. »Die beiden Damen kommen in mein Büro, und wir unterhalten uns über die Personen, die in diesem Dossier aufgeführt sind. Wer von den Bewohnern ist ein potenzielles Opfer, weil er – oder sie – reich ist? Oder sogar, was optimal wäre, reich ohne Angehörige. Wer vom Personal kommt infrage?«

      Spontan fiel mir die Szene mit dem Hausmeister ein. Würde ich mich rächen wollen, wenn ich so herablassend behandelt würde? Diebstahl als kleine Wiedergutmachung? Gingen die Bewohner – oder besser: einzelne von ihnen – auch mit dem restlichen Personal so unhöflich um? Dem Service, dem Gärtner, dem Küchenpersonal? Gab es jede Menge Motive, von denen wir momentan noch nichts ahnten?

      »Aber dann machen wir sofort einen Plan für unsere Ermittlungen«, sagte Dennis.

      Erwin musterte ihn mit mildem Lächeln. »Immer einen Schritt nach dem anderen, mein Junge. Immer einen

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