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und das Bewußtsein, daß niemand sie ihm zerstören konnte, war es, das ihn überhaupt aufrecht erhielt.

      Bei jedem Ärger, jeder Schwierigkeit und jedem Mißverständnis pflegte er zu denken: ›Ach, ihr könnt mich doch mal! Hackt nur auf mir rum. Heute abend liege ich geborgen in meinem Bett und bin mit meinen Träumen allein!‹

      Im Vorgefühl der kommenden Erlösung hatte er es jetzt gar nicht mehr eilig. Er stellte den Topf mit dem Wasser, das er sich in Ethels Küche geholt hatte, auf die elektrische Platte. Seine Mutter hatte nichts dagegen einzuwenden gehabt, als er ihr erklärt hatte, daß er sich hin und wieder mal eine Tasse Tee machen wollte, um bei den Schularbeiten wach zu bleiben.

      Es war Tee, den der Junge sich bereitete, aber ein Tee besonderer Art. Er ließ das Wasser aufkochen, warf einige Teeblätter hinein, zog den Stecker heraus, wartete, bis es nur noch siedete, und gab dann Hasch dazu.

      Er war seit langem darauf gekommen, daß diese Art, Hasch zu nehmen, einige wesentliche Vorteile gegenüber dem Rauchen hatte: Er konnte das Maß der Wirkung, das er erreichen wollte, durch die Dosierung selbst bestimmen, vor allem aber, der Tee war ohne verräterischen Geruch, und selbst wenn ein unerfahrener Erwachsener auf die Idee gekommen wäre, ihn zu kosten, hätte er den Haschzusatz nicht herausgeschmeckt.

      Sven war kein Junge, der die Gefahr und das Abenteuer liebte. Aufregungen gab es für ihn im Alltag genug. Es freute ihn, daß er vor Entdeckungen sicher war.

      Er schüttete die Hälfte des Gebräus in eine Tasse, zog sich aus, während es ein wenig abkühlte, und den Schlafanzug an. Sich zuwaschen oder die Zähne zu putzen hatte er jetzt keine Geduld mehr.

      Im Stehen trank er die erste Tasse leer, schenkte sich noch einmal ein und stellte die Tasse auf die kleine Seemannskiste, die ihm als Nachttisch diente. Dann knipste er das große Licht aus, die Stehlampe an, suchte Musik in seinem Transistorradio und streckte sich, die Hände hinter dem Kopf verschränkt, auf seinem Bett aus.

      In der schwachen Beleuchtung, die die Ecken nicht aufhellte, glich das Zimmer mehr denn je einer Schiffskoje. Torsten war es, der sich diese Einrichtung gebastelt hatte, bevor er das Elternhaus verließ. Sven liebte sie; sie gehörte zu den wenigen Dingen, an denen sein Herz hing.

      Er brauchte nur eine Weile auf das Bullauge über seinem Bett zu blicken, hinter dem Fische im blauen Meer zu schwimmen schienen, und schon fühlte er das Schwanken des Schiffs. Es war alles noch da: Ärger in der Schule, die Verständnislosigkeit der Eltern und das Wissen um die eigene Unfähigkeit, aber es schien jetzt nur noch halb so schlimm, hatte an Bedeutung verloren.

      Der Druck auf seiner Brust hatte sich völlig gelöst, und ein süßes Ziehen war an seine Stelle getreten. Sven war glücklich. Er flüchtete in Träume, die er von Anfang bis Ende kannte und immer wieder liebte: Er war Kapitän eines Piratenschiffs, er war ein wissenschaftlicher Weltumsegler, er war ein Kaufmann, der mit dem Orient reichen Handel trieb, und schließlich war er er selber, Sven Miller, der verlorene Sohn, der aus der Fremde zurückkehrte und seine Eltern damit überraschte, daß er reich geworden war, reich und angesehen.

      Sven wußte, daß er nur träumte, und er genoß es. Er wehrte sich so lange wie möglich gegen den Schlaf, der schwer und tief sein würde, und versuchte das Traumstadium auszudehnen.

      Am Morgen würde er sich schwer und taumelig fühlen und ein paar Weckamine brauchen, um auf die Beine zu kommen. Aber er dachte jetzt nicht an morgen. Es war ihm unsagbar wohl.

      Er erschrak auch kein bißchen, als die Tür leise geöffnet wurde und seine Mutter hereinschaute, sondern blickte lächelnd zu ihr hoch.

      »Oh, Sven, was ist los mit dir?« fragte sie. »Wir wollten zu Bett gehen, und da sah ich, daß du noch Licht hast … und dein Radio läuft auch noch!«

      »Ich schlafe ja auch noch nicht, Biene!«

      »Wird aber höchste Zeit! Weißt du, wie spät es ist?«

      »Ich hab’ bis gerade eben gearbeitet.«

      »Du Armer! Sie verlangen reichlich viel von dir, was?« Sie strich ihm über das Haar – fast scheu, denn sie wußte, daß Jungen in seinem Alter gegen Zärtlichkeiten nahezu allergisch sind.

      Aber er reagierte ganz anders, als sie erwartet hatte, faßte ihre Hand und sagte: »Ach bitte, setz dich doch einen Augenblick zu mir.«

      Sie tat es und fragte ein wenig beunruhigt: »Willst du mir etwas sagen?«

      »Ach nein. Ich möchte dich nur ansehn. Du bist so wunderschön.«

      »Aber, Sven, was soll denn das!« wehrte sie ab und freute sich doch, ja, sie wurde sogar ein wenig rot.

      »Du bist wirklich schön, Biene! Keiner von den anderen Jungen hat eine so schöne Mutter! Und so lieb bist du!« Er schlang seine Arme um ihren Hals und küßte sie zärtlich auf die Wange. »Du bist die liebste Mutti auf der ganzen Welt! Und Vati ist auch prima, sag ihm das, ja?«

      »Wird gemacht.« Sabine löste sich lachend von ihm. »Aber jetzt mußt du schlafen, du kleiner Spinner, sonst kommst du morgen früh wieder nicht aus den Federn.«

      Sie gab ihm noch einen raschen Kuß auf die Stirn, stellte das Radio ab, löschte das Licht aus, bevor sie das Zimmer verließ.

      »Alles in Ordnung?« fragte Ethel, als Sabine die Treppe herunter kam.

      Ethel war schon im Schlafanzug und barfuß auf dem Weg in ihr Badezimmer.

      Sabine blieb bei ihr stehen. »Er ist richtig süß!« Sie lächelte, als sie an Svens ungewohnten Zärtlichkeitsausbruch dachte.

      »Manchmal kann er wie ein ganz kleiner Junge sein.«

      »Tatsächlich?« Ethels Frage klang ungläubig.

      »Ja«, behauptete Sabine, »vielleicht gibt er sich überhaupt deshalb so ruppig, weil er inerlich eben sehr empfindlich ist.«

      »Es ist komisch …«Ethel schwankte leicht und lehnte sich gegen das Treppengeländer, » … wenn Männer sich schlecht benehmen, finden wir immer gleich ein Dutzend Entschuldigungen.«

      Sabine merkte, daß die Schwägerin getrunken hatte. »Ärger mit Ralf?«

      »Nicht mehr als üblich.«

      »Sei froh, daß du nicht mit ihm verheiratet bist.«

      »Soll das ein Trost sein?«

      »Du kannst dich jederzeit von ihm trennen, sobald die Schattenseiten eures … eurer Freundschaft die angenehmen überwiegen.«

      »Und was kommt dann?«

      »Das ist eben das Schöne, daß für dich noch alles offensteht.«

      »Ich bin zu alt, um mich an einen neuen Partner zu gewöhnen.«

      »Du mit deinen knapp dreißig Jahren?« Sabine lachte. »Das glaubst du ja selber nicht.«

      »O doch.«

      »Na, ich jedenfalls finde das falsch. Ich finde es einfach hirnrissig, bei einem Mann zu bleiben, wenn man ihn nicht mehr wirklich liebt.«

      »Und was tust du anderes?«

      Sabine empfand diese Frage wie eine Ohrfeige. Verschiedene Antworten schossen ihr durch den Kopf, aber sie brachte keine heraus. Sie wollte weder Theater spielen noch zugeben, daß ihre Gefühle für Arnold zumindest zwiespältig waren.

      »Der Whisky macht dich mal wieder aggressiv, mein Schatz!« erklärte sie leichthin. »Unterhalten wir uns morgen weiter, wenn du nüchtern bist.«

      »Aber ich bin nicht betrunken!« protestierte Ethel.

      Sabine ging nicht mehr darauf ein. »Gute Nacht!« sagte sie nur noch. »Schlaf gut!«

      Sie huschte die Treppe hinunter und wollte in ihrem Schlafzimmer verschwinden. Aber Arnold hatte seine Tür offengelassen und hörte sie. »Sabine!« rief er.

      »Psst!« mahnte sie. »Die Kinder schlafen!«

      Er

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