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noch jemanden, den ich benachrichtigen soll? Ilona?«

      »Die würde es den Eltern sagen.«

      »Eins von deinen Mädchen?«

      »Was soll ich jetzt mit einem Mädchen?«

      »So ’ne Krankheit weckt bei mancher den Mutterinstinkt!«

      »Bei denen, die ich kenne, nicht.«

      »Übrigens, das Mäuschen, mit dem du verabredest warst, hat nichts von sich hören lassen.« Als Torsten ihn mit großen Augen ansah, fügte er hinzu: »Du erinnerst dich noch, daß du verabredest warst? Du warst gerade dabei, dich frisch zu machen, als …«

      »Brandy!« rief Torsten laut, und er begriff nicht, wie es möglich war, daß er jetzt erst wieder an sie dachte.

      »Deine Gammelbraut?«

      »Ja, ich hatte sie zufällig wieder getroffen und … na, die wird sich was gedacht haben!«

      »Gib mir die Adresse, damit ich …«

      Torsten schüttelte den Kopf. »Nein. Ich glaube nicht, daß das gut ist. Nein, wirklich nicht.«

      »Ganz wie du meinst.« Knut zuckte die breiten Schultern. »Inzwischen wird sie sich ja auch schon mit dem Verlust abgefunden haben.« Er öffnete die Tür. »Ich schick’ dir dann was zu lesen …«

      »Lieb von dir«, sagte Torsten gedankenabwesend.

      Plötzlich war die Erinnerung an sie wieder da. War es möglich, daß er sie hatte vergessen wollen, um sich nicht nach ihr sehnen zu müssen? Er sah sie so deutlich vor sich wie an jenem Regentag, ihr helles Gesicht, die klaren grünen Augen und das leuchtende Haar. Er hätte sie gerne bei sich gehabt. Ihre Gegenwart hätte ihm Mut gegeben. Schon bedauerte er, daß er Knut nicht gebeten hatte, sie zu benachrichtigen.

      Gleichzeitig wußte er, daß sein Entschluß richtig gewesen war. Sie hatte einen Freund, und sie brauchte ihn nicht. Wenn er gesund geblieben wäre, hätte er um sie gekämpft – vielleicht. Jetzt aber konnte er ihr nichts geben, und auf Mitleid zu spekulieren kam nicht in Frage.

      Das Inserat stand im ›Oberbayerischen Volksblatt‹.

      Unter der fettgedruckten Überschrift: ›3000,– DM und mehr‹ hieß es weiter: ›können Sie monatlich verdienen, wenn Sie eigenen Pkw und Führerschein besitzen, jung und unternehmungslustig sind! Bewerber melden sich Sonntag, den 18. Juni, im ›Goldenen Löwen‹, Hinterzimmer, bei Herrn Engelbrecht.«

      Arnold Miller, der es am Freitag las, war sicher, daß es sich dabei um eine Vertretertätigkeit handelte, möglicherweise nur auf Provisionsbasis. Aber er wußte, daß er nicht wählerisch sein durfte. Wenn es ihm gelang, im Anschluß an seine Arbeit im Supermarkt, irgendwo – gleichgültig wo – unterzukommen, konnte er von Glück sagen.

      Etwas anderes störte ihn weit mehr: die Tatsache, daß er sich ausgerechnet im ›Goldenen Löwen‹, Sitz seines ehemaligen Stammtisches, hätte vorstellen müssen. Zwar war das Hinterzimmer geradewegs vom Hausflur aus, ohne daß man die eigentliche Wirtsstube durchqueren mußte, zu erreichen. Dennoch schreckte er bei dem Gedanken, einen seiner früheren Freunde dort zu treffen, innerlich zurück.

      Gleichzeitig ärgerte er sich über seine eigenen Hemmungen. Er konnte sich doch nicht bis an sein Lebensende vor allen alten Bekannten verstecken, nur weil er einmal eine Dummheit gemacht hatte. Schließlich hatte er seine Strafe abgesessen, und das, was er danach hatte durchstehen müssen, stand in keinem Verhältnis zu seiner Schuld.

      Tage kämpfte er mit sich. Schließlich, am Sonntagmorgen, faßte er den Entschluß, sich im ›Goldenen Löwen‹ zu melden. Er hatte sich, fand er, bisher viel zu sehr geduckt, nun war es Zeit, dem Schicksal die Stirn zu bieten.

      Um nur ja nicht altmodisch und somit alt zu wirken, zog er für die Vorstellung nicht seinen guten grauen Flanellanzug an und verzichtete auch auf die Krawatte, sondern wählte statt dessen eine hellbeige Gabardinehose, geflochtete Lederschuhe und ein blaues Hemd.

      »Nanu«, sagte Sabine, die ihm im Flur begegnete, »du siehst ja so unternehmungslustig aus! Hast du was vor?«

      »Will mal ein bißchen in die Stadt fahren.«

      Sie verbarg ihre Besorgnis, die Besorgnis einer mütterlichen Frau, die befürchtete, daß einem ihrer Schützlinge eine Kränkung zugefügt werden könnte. »Das ist eine gute Idee, Arnold. Du hast in letzter Zeit auch wirklich viel zuviel zu Hause herumgehockt.«

      Er setzte seinen Hut auf, betrachtet sich damit im Spiegel, fand, daß er nicht zu dem angestrebten Image paßte, und legte ihn wieder ab. Ihm kam der Einfall, ob er nicht seine weißen Schläfenhaare hätte färben sollen, tat den Gedanken aber sofort wieder als lächerlich ab.

      Sabine beobachtete ihn. »Kommst du zum Essen nach Hause?«

      »Aller Wahrscheinlichkeit nach.« Er hätte sie gern geküßt, aber es erschien ihm unpassend. »Halt mir Däumchen, ja?« bat er und ging zur Tür.

      »Wofür?« rief sie ihm nach.

      Er antwortete ihr nicht, sondern schritt rasch zur Garage, um seinen Kadett herauszuholen.

      Sie winkte ihm nach. »Viel Glück!«

      Das Baby begann zu schreien, und sie eilte ins Haus.

      Als er die Garagentür geöffnet hatte und sich noch einmal nach ihr umsah, war sie im Inneren verschwunden.

      Länger als ein Jahr war Arnold jetzt nicht mehr im »Goldenen Löwen« gewesen, doch während er sicher war, sich in der Zwischenzeit gewandelt zu haben, hatte sich hier nichts geändert. Die schwere Wirtshaustür wurde immer noch durch den abgewetzten Lederbalg am Zuschlagen gehindert, der rote Fliesenboden im Hausflur war immer noch so wellig, daß sich die Feuchtigkeit des Putzwassers an den tiefen Stellen sammelte, und die Schwelle zum Schankraum war genauso ausgetreten wie früher. Es roch nach Schweinebraten, Rauch und schalen Bierresten.

      Das sogenannte Hinterzimmer, ein kleiner Raum neben der Küche, war Arnold ebenfalls wohlvertraut, denn hier hatten die Herren vom Stammtisch gefeiert, wenn sie aus gegebenem Anlaß einmal ganz unter sich sein wollten. Es gab hier einen langgestreckten Tisch aus dunklem Holz, an der Wand eine lange und eine kurze Bank übers Eck gestellt, davor ein paar alte Stühle.

      An diesem Sonntagmorgen wirkte das Zimmer geradezu trostlos. Da die Fenster nach Norden hinausgingen, drang kein Schimmer des frühsommerlichen Glanzes herein. Arnold schauderte es in seinem leichten Hemd.

      Am Kopfende des Tisches saß ein kleiner, rundlicher, sehr adrett angezogener Herr, der erwartungsvoll aufblickte, als Arnold hereinkam. Er schüttelte die gestärkte Manschette hinunter, um auf das eckige Zifferblatt seiner goldenen Armbanduhr zu sehen, sprang dann mit der Elastizität eines Gummiballs auf und kam Arnold entgegen.

      »Engelbrecht mein Name«, erklärte er mit einer zweifachen Verbeugung, bei der sich Arnold Einblick auf eine schüttere Stelle mitten auf dem Hinterhaupt bot.

      »Miller … Arnold Miller …« Er überlegte, ob er die Hand reichen sollte oder nicht, und unterließ es dann; aus den Augenwinkeln nahm er wahr, daß sich außer ihm und Herrn Engelbrecht noch drei junge Burschen im Raum befanden, die sich unsicher am anderen Ende des Tisches lümmelten.

      »Herr Miller, Sie sind von der Konkurrenz!« knallte ihm Herr Engelbrecht entgegen.

      »Aber nein … wieso denn?« Arnold war verwirrt. »Ich weiß ja nicht mal, um was es bei Ihrem Unternehmen geht!«

      »Ja, eben das wollen Sie erfahren!«

      »Ich suche Arbeit, das ist alles. Eine möglichst lukrative Beschäftigung.«

      »Hm. Ja. So. Naja.« Wieder schüttelte Herr Engelbrecht seine Manschette zurück, um festzustellen, wie spät es war. »Wir haben noch ein paar Minuten … ich werde Ihnen erklären …« Er begab sich zum Kopfende des Tisches zurück.

      Arnold folgte ihm. »Nur keine Angst. Ich habe nicht vor, in Ihre Geheimnisse zu dringen«, erklärte er mit einem Anflug

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