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„So ist’s wohl wahr, daß die Russen nach Berlin kommen?“

      „Vielleicht, Vater Peetz. Nach der Schlacht von Kunersdorf ist der Weg offen.“

      „Schlimme Zeiten!“

      „Warum schlimm, Vater Peetz?“ Euler lächelt frei und überlegen. „Sind’s nicht Menschen wie wir? Haben die Russen drei Köpfe und Tigerklauen? Nehmet es, wie es ist, Vater Peetz! Bei den Russen wie bei den Österreichern sind es Menschen, gequälte, mißbrauchte Kreaturen, die froh sind, wenn die Kanonenkugeln nicht mehr ihre Glieder zerreißen. Ganz so, wie bei uns. Sein eigener Sohn …“

      „Je nun, der Fritz!“ Vater Peetz wiegt den Kopf. „Sie haben eine Pique auf ihn, gnädiger Herr, weil er zur Armee gegangen ist.“

      „Ich bemitleide ihn, Vater Peetz, wie alle, die töten müssen, ohne es zu wollen.“

      Es ist nicht angenehm, einem lieben und vornehmen Gast zu widersprechen, aber der alte Peetz ist kein Freund von Katzbuckeln. Er streicht sich etwas verlegen den Schoßrock glatt.

      „Gepreßt ist der Fritz nun nicht. Hat sich freiwillig dem Kantonnement gestellt. War allerdings auch die höchste Zeit, dieweilen der Junge nicht gut tat hier im Hause. Ein sträflicher Strick, der seiner Mutter und mir das Leben sauer machte. Je nun … der Korporalstock wird ihn mores gelehrt haben.“

      „Die mores konnt er auch anderswo lernen, Vater Peetz. Wie hub’s doch an, wie segensreich, damals als der König Tausende von jungen Leuten, Tunichtguts und brave Burschen, hinausschickte in das Oderbruch. Ackern! Graben! Der Öde fruchtbares Land abgewinnen! Wars’s nicht tausendmal besser und würdiger als der Soldatenrock? Nun liegt’s verödet da, das neue Land im Oderbruch. Und sonst? Hat Er nicht stolz aufgesehen, Vater Peetz, zu dem guten Hausvater, der im Schloß über uns wachte? Hat Er nicht sich gefreut, wenn der Stock des Königs die Faulenzer und Malefikanten zur Raison brachte?“

      „Hat aber der hochselige König auch seine Soldaten gehabt, gnädiger Herr.“

      „Die langen Kerls. Nun wohl! Eine Leibgarde, eine Spielerei, wie denn ja auch der Beste seine Marotten haben mag. Sei’s ihm gegönnt von Herzen. Er war ein König und Vater. Ein wohlgeordnet Hauswesen ließ er zurück, ein Kapital, das Segen schaffen sollte für Preußen. Wo ist’s geblieben, Vater Petz? Schulden, Steuern, Not und Elend! Die harten Thaler umgeschmolzen zu Kanonen und Bajonetten! Preußens Wohlstand vertan in grausamen Kriegen! War das wohl des hochseligen Königs Will und Meinung?“

      „Wollet nicht ungehalten werden, gnädiger Herr, aber …“ Der alte Peetz wirft einen ärgerlichen Seitenblick nach der Küchentür, „Mein Jüngster, der Johann, drückt sich da hinten herum. Würd’ nicht von Vorteil sein, so der Bengel solch Reden hörte.“

      „Möchten’s alle hören, Vater Peetz!“ Bernhard Euler wirft unmutig seinen Hut auf den Tisch. „Wo steckt denn Mamsell Dorothea?“

      „Kommt gleich, kommt gleich, gnädiger Herr!“ Vater Peetz atmet auf, von dem gefährlichen Thema wegzukommen. „Meine Frau hat ihr schon Eure Ankunft avisiert. Wird sich putzen drinnen in der Schlafstube. Sind ebent Frauenzimmer. Potz Wetter, gnädiger Herr, hab’ ich mich doch noch nicht mal bei Ihnen bedankt, daß Sie meinem Mädel Urlaub gegeben, um meiner Alten beim Waschen zu helfen!“

      „Schon gut, Vater Peetz.“ Bernhard Eulers Augen verlieren ihren fanatischen Glanz und wandern still und froh zu der Schlafzimmertür, die sich geöffnet hat und in deren Rahmen ein etwa zwanzigjähriges, sauberes Mädchen steht.

      Dorothea Peetz! Wie viel ist sie ihm geworden in diesen zwei Jahren, seitdem der Kollege Brenken sie ihm als Aufwärterin empfahl! Unendlich viel mehr als der gute Hausgeist, der sein Heim mit geschickten, fleißigen Frauenhänden in der Ordnung hält! Freundin! Vertraute! Zukunftshoffnung und Zukunftsgewißheit! Dorothea Peetz, das ist das Kommende, das Beglückende! Geist von seinem Geist, nein, mehr, viel mehr: Weltgeist, inkarniert in diesem einfachen Bürgerkind, das ohne Wissenschaft und Verstand gefühlsmäßig das Urbegreifen in sich trägt.

      Dorothea Peetz, das ist der Friede. Sie ist nicht übermäßig intelligent, sie hat nicht mehr gelernt als jedes andere Bürgerkind — aber was die anderen nur dumpf und unwillig empfinden unter der Not der Zeit, das lebt instinktiv in ihr wie in Bernhard Euler: die Sehnsucht nach dem Erdenglück.

      Oh, es gibt viele Menschen im Berlin von 1759, die dem Krieg fluchen. Aber die Handwerker und Bürger, die auf den Gassen und in den Kaffeegärten kannegießern und über Krieg, Soldaten und Regierung schimpfen, das sind dieselben, die früher vor Begeisterung Kopf standen, wenn ein Kurier mit einer Siegesbotschaft eintraf. Nur das harte Gesetzt des Krieges, das an ihre eigenen Beutel griff, hat sie zu seinen Gegnern gemacht. Wenn das Rad anders herum ginge, wenn statt der Hiobsposten von Kunersdorf und Dresden wieder Fanfaren geschmettert hätten, wie nach Roßbach und Leuthen — sie würden jeden Grenadier auf der Straße umarmen. — Und die Kavaliere und Damen im Salon der Gräfin Dißkau, die in geistreichen Sentenzen, mit feingestochenen Worten den rauhen Soldaten verspotten, die Gräfin Dißkau selbst — nein, auch sie verstehen Bernhard Euler nicht.

      Dorothea Peetz aber versteht ihn. Wenn sie, still auf ihre Stickerei niederblickend, versonnen seinen Vorträgen lauscht, wenn sich ab und zu dabei ihre Augen heben und den Mann glücklich anblicken, der so gütig, so begeistert von dem spricht, was seine Seele erfüllt, dann bricht Bernhard Euler oft mitten in seinen Ausführungen ab und hat das selige Gefühl: ‚Wozu erzähle ich ihr das alles? Sie ist selber ein Stück Zukunft, das die Himmelsbotschaft in sich trägt.‘

      Engelmild ist Dorothea Peetz. Nicht von jener mädchenhaften Sensibilität, die in Ohnmacht fällt, wenn ein Blutstropfen aus ihrem zarten Fingerchen quillt. Sie kann resolut zugreifen, wenn es gilt, eine Wunde zu verbinden, einen Schmerz zu stillen, und sie fragt nicht danach, ob der Leidende schön oder häßlich ist. Aber sie zuckt jedesmal zusammen, wenn die Welt laut wird und roh, und ihre Augen füllen sich mit Tränen, wenn man ihr von den Opfern berichtet, die diese oder jene Schlacht gefordert hat. Es ist unmöglich, sich mit Dorothea Peetz zu zanken. Selbst den Konrad, das brummige, ewig streitsüchtige Faktotum Eulers, hat ihre ruhige, heitere Liebenswürdigkeit so klein gekriegt, daß er nur noch nach der Pfeife der „Mamsell“ tanzt. Bernhard Euler selbst aber ist allerdings begeistert über Dorothea. Er hat sich beeilt, ihre Familie kennenzulernen, ist bei der ersten Gelegenheit selbst nach Berlin in die Spandauer Straße geeilt, hoffend, dort im Hause des Zuckersieders Peetz Menschen nach seinem Herzen zu finden, gläubige, zukunftsträchtige Menschen.

      Es wurde eine Enttäuschung, denn der Zuckersieder Peetz und seine Peetzin erwiesen sich als zwei gesunde Berliner, die mit ihren Füßen und Sinnen fest in der Alltagswirklichkeit wurzeln und nichts an sich hatten von jenem Ätherischen, Träumerischen, das Dorotheas Wesen beseelte. Wohl war Vater Peetz unzufrieden mit den Verhältnissen und gab Bernhard Euler recht darin, daß der ganze Krieg ein Unglück für das Land und insbesondere für Berlin sei. Und die Peetzin seufzte kummervoll beim Gedanken an ihren Ältesten, der mit dem König ins Feld gezogen war. Aber Bernhard Euler empfand doch bald, daß die Eltern Dorotheas stumpf in den Tag hineinlebten wie ihre meisten Zeitgenossen und nur aus Höflichkeit den menschenbeglückenden Ansichten nicht widersprachen, die er ihnen zu erklären bemüht war. Um so mehr ergriff ihn das Wunder Dorothea. Sie wurde ihm zu einer Botin aus einer anderen Welt, zu einer Verheißung künftiger Zeiten, stille Verkünderin einer Wandlung, die sich naturgemäß im Menschengeschlecht vollzog. Und im Staunen darüber vergaß Bernhard Euler ganz, daß Dorothea Peetz — schön war.

      Ja, Dorothea Peetz ist schön. Wie sie da vor Bernhard Euler an dem Tisch sitzt, die kleinen zierlichen Händchen im Schoß zusammengelegt, hat ihre ganze Gestalt von der hohen weißen Stirn bis hinab zu den Füßen, die unter dem Bauschrock hervorlugen, eine natürliche, adelige Anmut, die ihre grobe Tracht vergessen macht. Es fehlt das allzu Betonte, das bewußte Hervorheben der natürlichen Frauenreize, das allen Damen der Salons mehr oder weniger anhaftet, und grade das macht ihre Erscheinung so lieblich und liebenswert. Es sind nur drei arme Tage, in denen Bernhard Euler Dorothea nicht gesehen hat, und doch scheint ihm ihr Anblick so neu, so anziehend, daß er sich zwingen muß, höflichkeitshalber den Imbiß zu kosten, den die Peetzin unter zungenfertigem Wortschwall aufgetischt

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