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Kamerad, schlimmer! Sag’s Ihm ja: Vernichtet sind wir! Die Armée ist auf der Flucht! Der König …“

      Draußen heult die Panik. Kanoniers peitschen wild die Pferde mitten in die fliehenden Massen. Geheul, Flüche, Wehgeschrei. Der Bevern-Grenadier beugt sich nieder und streckt dem blessierten Kameraden die Tatze hin. „Mach’s gut, Heinrich!“ Gläserne Augen in wachsgelbem Antlitz. Der Tod starrt verständnislos die ausgestreckte Hand an.

      „Bist besser dran als wir!“ Der Grenadier wendet sich ab und steigt über die Verwundeten am Boden zur Tür. „Können uns jetzt die Zunge aus dem Hals laufen!“

      *

      Ein Ächzen und ein lautes Schimpfwort lassen den alten Schäfer, der ruhig und bedachtsam seine blutigen Gäste verbindet, aufsehen. Der Grenadier Fritz Peetz hat sich von seinem Strohlager aufgerappelt und steht auf schwankenden Beinen mit bleichem Gesicht da.

      „Wo … wo ist mein Gewehr?“

      Fieber — denkt der Alte und faßt ihn an der Schulter, um ihn niederzudrücken. Aber, so elend und schlapp Fritz auch ist, er steht wie ein Baum gegen die Hände des alten Mannes. Ärgerlich gibt der Schäfer seinen Versuch auf.

      „Wohin will Er denn?“

      „Zum Regiment Rammin natürlich.“ Es liegt in Fritz Peetz’ Worten ein ganz ähnliches Erstaunen wie heute morgen in dem selbstverständlichen, verwunderten „Kunersdorf“ des Dorfjungen. Wohin? Kann ein Mensch jetzt danach fragen, jetzt, wo es auf jeden einzelnen ankommt?

      *

      Steigende Gäule, verwirrt durcheinander rennende Menschen auf der Dorfstraße. Keine Soldaten mehr, nur Menschen, kopflose, von der Panik ergriffene Menschen. Flammen zucken durch das Dunkel. Bis zum Letzten angespannte Disziplin und Tapferkeit zerbricht in Heulen und kopfloser Flucht durch die Nacht.

      „Steht! Fahnenflüchtiges Gesindel! Steht! Zu mir!“

      Eine Silberschärpe blinkt. Ein Major, barhäuptig, den Degen in der Faust, wirft sich mitten auf der Straße dem Schwall entgegen. Verzerrt sein Gesicht, aus dem Kopf hervorquellend seine Augen. Disziplin, eingefleischtes Gehorchen zwingt die Panik unter sich. Ein Häuflein von Grenadieren, Füsilieren, Musketieren hält inne in der wahnsinnigen Flucht, sammelt sich zähneklappernd, stumpfblickend um den Major.

      Neue Flutwelle, neue Massen branden in das Dorf, schwemmen den Major und sein Häuflein zurück gegen die Hauswände, reißen die kaum Gebändigten weiter mit sich durch die Nacht. Im Rollen und Brausen der Panik verhallt der Pistolenschuß, mit dem der verzweifelte Major von Greiner seinem Leben ein Ende setzt …

      *

      Fritz Peetz hat sein Gewehr zwischen die Schulter und den rechten Arm geklemmt. Mit der gesunden Linken kämpft er sich durch den Wirrwarr, quer über die Dorfstraße, bis er den Feldweg erreicht. Von hier ist er gekommen. Diesen Weg muß er zurückgehen, bis er die Stelle erreicht, wo das Regiment …

      Ins Nichts geschleudert jeder Gedanke daran, ob das Regiment noch dort sein kann, wo er es verlassen. Versunken Dorotheas Brief, Berlin, die Eltern. Nur eins noch da, ein Wissen und Wollen, aus Urinstinkten hervorgebrochen: Ich muß zu meinem Regiment!

      Da ist der Abhang, da der Hohlweg, durch den er gekommen. Die Panik wälzt sich drüben durch Kunersdorf. Hier ist nächtliche Stille. Nur der Geschützdonner grollt noch drüben von den Hügelketten her durch die Nacht. Fritz Peetz geht und geht, bis die Nacht noch schwärzer wird vor seinen Augen, die Knie zu zittern beginnen. Vornüber schwankt er, hat noch ein vages Bewußtsein: Nur nicht auf den blessierten Arm fallen! — dreht sich mit einer letzten Kraftanstrengung seitwärts und schlägt lang hin.

      *

      Die Pferde eines Proviantwagens scheuen jäh vor dem Körper, der da zuckend am Boden liegt. Der Fahrer reißt die Zügel zurück, der Schein der Blendlaterne fällt auf Fritz Peetz, der mühsam zum Schutz gegen die Pferdehufe die Linke vors Gesicht hebt.

      „Drüber weg!“ schreit der Musketier, der neben dem Fahrer sitzt, und will die Peitsche schwingen. Eine Maulschelle von rückwärts läßt ihn fast vom Sitz taumeln.

      „Ein Blessierter, der sein Gewehr im Arm hat!“ sagt eine ruhige Männerstimme aus dem Wagen. „Schmeiß’ Er den malhonetten Kerl da vom Bock, Fahrer, und nehm’ Er den Blessierten mit. Ist Platz für uns beide im Wagen!“

      Die Stimme schwankt. Mit bleichem Gesicht streckt sich der einzige Insasse des Wagens wieder aus auf den kargen Wolldecken, während der Fahrer und der plötzlich kleinlaut gewordene Musketier abspringen und den Verwundeten aufladen.

      Fritz Peetz merkt nichts mehr davon. Als sie ihn hochheben, verläßt ihn der letzte Rest von Bewußtsein. Er sieht nicht den im Mondlicht matt blinkenden Küraß des Mannes, der neben ihm im Wagen liegt und bei jedem Rumpler auf dem dunklen Weg krampfhaft die Zähne zusammenbeißt. Er merkt nichts von dem Dahinjagen über Stock und Stein, fort von dem vom Chaos durchtobten Kunersdorf, aus dessen Strohdächern plötzlich die grelle Lohe schießt.

      „Halt! Wer da!“ Eine Husarenvedette sperrt mit gezücktem Pistol die Landstraße. Grimmige, gepichte Schnauzbartgesichter, entschlossen, jeden Deserteur über den Haufen zu schießen. Der Fahrer, ein Kürassier vom Regiment Rochow, hält nur um ein Weniges seine Gäule an.

      „Platz da, Husaren! Wir haben einen Blessierten im Wagen! Den General Seydlitz!“

      2. Kapitel

      „J’ai gagné mon procès!“

      Aus Spitzen und schwerer Seide streckt sich die Alabasterhand der Gräfin Dißkau entzückt dem Hofrat zum Kuß entgegen. „Sind Sie sicher, daß die Fama nicht übertreibt, mein lieber Wackenitz?“

      „Kein Gerücht, verehrungswürdigste Gräfin, Gewißheit. Dresden ist über.“

      „Und der König von Preußen?“

      „Hat seit der Affaire von Kunersdorf den Mut verloren. Minister Finckenstein hat durch einen königlichen Kurier Instruktions empfangen, die von entscheidender Bedeutung sein müssen. Man sagt, daß der König die Regierung seinem Bruder Heinrich übertragen haben soll.“

      „Man sagt!“ Die schöne Gräfin Dißkau verzieht ein wenig den Mund. „Dresden ist also in den Händen der Österreicher?“

      Der Hofrat Wackenitz verbeugt sich. „Graf Schmettau, der preußische Kommandant von Dresden, hat die Stadt dem General der Kaiserin und Königin übergeben. Auf Befehl seines Königs, der das Nutzlose einer Verteidigung wohl einsehen mochte.“

      „So wird der entsetzliche Krieg nunmehro zu Ende sein,“ sagt von dem kleinen, mit rosafarbenem Damast bezogenen Sofa eine vollklingende, tiefe Männerstimme. Die Gräfin Dißkau nickt ihr zu. Ihre Augen leuchten.

      „Kunersdorf, Maxen, Dresden! Ja, mein Freund, das ist das Ende für Friedrich. Für mich aber der Anfang! Seine Majestät, der polnische König August III., wird wieder in seine sächsische Hauptstadt einziehen. Dresden wird wieder der Mittelpunkt des Glanzes werden. Und ich …“

      „Man sagt, daß Mademoiselle von Osterau sich in der unmittelbaren Umgebung des Königs von Sachsen befinde,“ wirft der Hofrat Wackenitz vorsichtig ein. Die schöne Dißkau lächelt verächtlich.

      „Mag sie, lieber Hofrat! Die Osterau kann August III. nicht mehr bedeuten als — andere. Ich aber werde zurückkehren mit einem Gewinn, den niemand sonst dem König zu bieten hat.“ Ihre ringgeschmückte Hand hebt leicht einen Band in die Höhe, der auf dem zierlichen Spieltischchen liegt. „Ich darf das Werk, das Sie mir gewidmet haben, liebster Euler, doch S. Majestät, dem König August vorlegen?“

      Der Astronom Bernhard Euler nickt bedächtig. „Es ist Ihnen zugeeignet, Gräfin. Verfügen Sie darüber nach Belieben.“

      „Dank, mein Freund!“ Tief tauchen die schönen Augen in den Blick des Gelehrten. „König August ist ein Freund der Wissenschaften. Er wird nicht zögern, Sie an seinen Hof zu berufen. Ein

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