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von dem Mann den Rockärmel auftrennen, duldet es auch mit zusammengebissenen Zähnen, daß der Alte mit einem höchst ungeigneten Messer in der Wunde herumwühlt, bis er richtig die Bleikugel herausgefischt hat. Die Prozedur schmerzt viel mehr, als es die geschickte Hand des Feldschers getan haben würde, aber was tut nicht alles der Glaube! Fritz Peetz läßt sich dankbar den Arm zu einem unförmigen Wulst verbinden und streckt sich auf die Strohschütte aus, die ihm der Schäfer anweist. Zehn Minuten später schnarcht er schon.

      Als ihn nach einigen Stunden die Schmerzen im Arm wieder wach machen, schnuppert seine Nase begierig durch die Stube. Auf dem Tisch steht eine Schüssel mit Leinöl. Der Schäfer schneidet eben dicke Brotscheiben ab.

      „Bleib Er liegen!“ brummt der Alte, als Fritz einen vergeblichen Versuch macht aufzustehen. „Ich bring Ihm die Schüssel.“

      Gemeinsam stippen sie die Brotstücke in das Öl. Fritz Peetz grunzt vor Behagen. Mit der Sattheit kommt auch das Interesse für die Außenwelt zurück. Das kleine Fenster hat der Schäfer mit einem dünnen Tuch verhangen, aber man hört deutlich das ferne Grollen der Schlacht und ab und zu ein näheres, heftigeres Stampfen, Knirschen und Rollen. Troßkolonnen scheinen draußen durch die Dorfstraße zu ziehen.

      „Wie stehet die Bataille?“

      „In Gottes Hand,“ sagt der alte Schäfer trocken. „Eß Er und ruh Er aus! Das Kriegführen ist nur für Gesunde.“

      *

      Wieder liegt Fritz lang ausgestreckt auf dem Stroh. Der Arm schmerzt ganz verteufelt. Man muß etwas finden, um die Gedanken abzulenken. Sein Blick wandert an dem Monturrock herab. Nicht nur der Ärmel ist aufgeschnitten, auch die ganze rechte Seite des Rockes ist entzwei. Das längst fadenscheinige Gewebe muß sich aufgetrennt haben bei den raschen Messerschnitten des Schäfers. Fritz faßt mit der gesunden Hand in die innere Rocktasche und zieht ihren Inhalt heraus. Ist alles noch da! Die silberne Tabatiere, die er in Gotha erbeutet hat unter dem zurückgelassenen Gepäck der Franzosen. Das Gesangbuch, das ihm die Mutter Peetzin beim Ausmarsch zugesteckt hat und in dem die österreichische Kugel von Leuthen stecken geblieben ist. Der Brief, den die Feldpost ihm ins Lager von Hochkirch gebracht hat. Ja, dieser Brief von Schwester Dorothea ist so recht geeignet, einen von den Schmerzen in dem infamen Arm abzulenken. Fritz Peetz faltet das Papier auseinander und beginnt es zu studieren, obwohl er längst weiß, was darinnen steht.

      „Liebwerter Bruder!

      Tue dir zu wissen, daß Vater und Mutter alleweile gesund und wohlauf seien und mir aufgetragen haben, dich schön zu grüßen und zu fragen, ob der Krieg bald aus ist. Es ist ein Kurier gekommen und hat die Nachricht gebracht von der großen Victoria von Leuthen. Ist auch Victoria geschossen worden und haben alle kräftig Hurrah und Vivat geschrieen, aber ganz wohl ist uns dabei nit gewesen, lieber Bruder, alldieweil das Leben immer teurer und schwerer wird hier in Berlin trotz eurer Gloire. Für Ein Thaler Preußisch bekommet man nur noch das, so man früher für vier Groschen kaufen konnte. Vater ist auch übel daran, denn die fremden Zuckersieder, so in die Fabrique des Herrn Wesely gekommen sind, schmälern ihm sein Verdienst. Es herrschet große Noth unter den Leuten und auch bitteres Weh. Denn es gibt kaum ein Haus hier in der Spandauerstraße, so nicht einen Sohn oder Bruder bei der Armée hat. Herr Euler meint, daß es hohe Zeit wäre, daß der König wieder nach Berlin käme und ich stimme ihm darin von ganzem Herzen bei. Das Victoriaschießen bessert nit viel an unserer Noth und machet die Toten auch nit lebendig. Nun bin ich mit meinem Briefe fertig und hoffe, daß er dich, herzlieber Bruder Fritz, bei guter Gesundheit antreffen wird und daß du recht bald nach Hause kommst.

      Deine dich herzlich liebende Schwester Dorothea.“

      *

      Ja, der Brief bringt einen auf andere Gedanken. Fritz Peetz kratzt sich unter heftigem Nachdenken die Bartstoppeln am Kinn. Ein Stolz auf die Schwester erfüllt ihn jedesmal, wenn er den Brief liest. Er ist vor Fibel und Bakel wahrhaftig auch nicht ausgerissen, und wenn er dem Schulmeister, dem ehrsamen Gottlieb Kühnebrecht, auch manchen infamen Streich gespielt, so hat er doch das Lesen und Schreiben gelernt. Aber einen so wohlgesetzten Brief wie Schwester Dorothea würde er kaum zustande bringen. Nun, das macht der Umgang, den das Schwesterchen hat. Seitdem sie in Charlottenburg im Hause des Herrn Professor Euler aufwartet, hat sie gelernt, wie eine Demoiselle zu sprechen und zu schreiben.

      Aber was sie schreibt — ja, da steckt der Haken! Fritz Peetz kratzt sich das Kinn immer heftiger und nachdrücklicher. Das meiste ist natürlich unsinniges Geschwätze. Was auch versteht das Weibervolk vom Krieg! Der König kann doch keinen Frieden machen, wenn die Kaiserin nicht will! Aber sonst — Schwester Dorothea ist nicht kleinmütig und wehleidig. Es muß wahrlich nicht zum Besten stehen in Berlin, wenn sie so schreibt. Wäre auch wirklich ganz gut, wenn man einmal wieder zu Hause nach dem Rechten sehen könnte.

      Und das ist der Punkt, an dem Fritz Peetz’ Gedanken hängen bleiben. Ist das so unmöglich? Er hat eine Blessur erhalten in der Schlacht. Vier Wochen wird’s mindestens dauern, bis der Arm wieder heil ist und er den Kuhfuß hantieren kann. Der Feldscher würde ihn für diese Zeit in ein Lazarett schicken. Nach Berlin wohl schwerlich, aber — kann man nicht Feldscher und Korporal einen langen Marsch pfeifen und selber nach Berlin gehen? Die Straßen sind voll von Deserteuren und Marodeuren, seitdem der König mit dem Kantonement nicht mehr auskommt, sondern Überläufer und allerlei Gesindel in die Armee einstellen muß, Leute, die bei der ersten Bataille davonlaufen und sich verdrücken, sobald sie dem Korporalstock entwetzen können. Da wird niemand einen ehrlich blessierten Grenadier aufhalten, wenn er seine Wunde in der Heimat auskurieren will.

      „Das Kriegführen ist nur für Gesunde,“ hat vorhin der kluge Schäfer gesagt, und das ist wirklich so. Mit einem zerschossenen Arm ist man zu nichts nütze, weder beim Exerzieren noch in der Bataille.

      „Au! Sapperlot!“ Fritz läßt den Brief aus der Hand fallen und greift wieder mit schmerzverzerrtem Gesicht nach seinem Arm. Es tut wieder scheußlich weh. Aber das Stechen geht schnell vorüber, und die Schmerzensgrimasse weicht einem listig zufriedenen Ausdruck. Der Grenadier Peetz ist entschlossen, in Anbetracht seiner Blessur, nach vier Kriegsjahren einmal wieder in die Heimat zurückzukehren.

      *

      Der Abend ist gekommen, aber die kleine Stube des Schäfers ist trotzdem hell. Nicht die Abendsonne ist es, die ihren glühenden Schein durch das kleine Fenster wirft. Dörfer und Bäume stehen da draußen in Flammen. Wie eine dunkle Woge wälzt sich der Krieg über Kunersdorf herein. Pferdegetrampel, Wagenrollen, scheltende, fluchende Stimmen, heisere Kommandorufe. Die Dorfstraße donnert es entlang, Kolonnen, Schwadronen, Bataillone.

      Fäuste hämmern gegen die Tür. Ein Schwall von Menschen quillt herein, erfüllt im Nu die Stube mit Schlachtfeldgeruch. Soldaten, blutüberströmt, auf müde Kameraden gestützt, todmüde, todwunde Männer ohne Waffen und Gewehr. Zerrissene, beschmutzte Uniformen, wutverzerrte Gesichter.

      „Hier ist Platz!“ Der Schäfer wird förmlich an die Wand gedrängt und übersehen. Der Krieg nimmt sich sein Recht. „Hierher, Heinrich! Sehet zu, daß ihr Stroh findet! Schnell! Schnell!“

      Neue Elendsgestalten drängen durch die Tür, sinken stöhnend auf den Fußboden, wo grade noch ein Plätzchen ist. Der alte Schäfer aber, der vorher, als die Schlacht tobte, seine Tür verschlossen und nicht einmal hinausgeguckt hatte, öffnet sie jetzt weit und nimmt die Wunden und Kranken auf, die hereindrängen wie seine Schafe in die bergende Hürde.

      „Heda, Kamerad!“ Fritz Peetz zupft einen baumlangen Grenadier vom Regiment Braunschweig — Bevern am Rockschoß. „Kann er mir sagen, wie die Bataille steht?“

      „Sie steht überhaupt nicht mehr, Gott sei’s geklagt!“ antwortet der Soldat, einen todwunden Kameraden behutsam auf den Boden bettend. „Die ganze Armée ist vernichtet! Der General Seydlitz gefallen, — —“

      „Der König auch!“ stöhnt einer der Blessierten. „Ich sah ihn mit seinem Gaul stürzen!“

      „Die verteufelte Schlucht!“ schreit ein Dritter, im Fieber die Fäuste ballend. „Fünf Regimenter sind darin verblutet!“

      Fritz Peetz macht ein dummes Gesicht.

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