Скачать книгу

die Geldnot nicht so empfunden. Aber sie wird erdrückend werden, wenn der Hof wieder zu Dresden residiert. Erdrückend für den Kurfürsten, der sich seine Stellung nicht anders denken kann als von Glanz und Pracht umgeben. Erdrückend für den Staatsminister Brühl, dessen Verschwendungssucht und unsaubere Praktiken im Finanzgebahren nun ans Tageslicht kommen müssen. Kurfürst Friedrich August hat erst vor kurzem beiläufig zu seinem Vertrauten geäußert: „Schade, daß die Rezepte von Klettenberg verbrannt worden sind, als er selber hingerichtet wurde. Vielleicht hätte ein geschickter Mann die Versuche fortsetzen können. Ein Goldmacher täte uns not.“

      Bernhard Euler! Leonore von Dißkau versteht nicht viel von der höheren Mathematik, aber die Herren von der Akademie haben ihr die Bedeutung des Professor Bernhard Euler in mancher Assemblée gepriesen. Ein Mann, der keinen Neider, keinen Mißgünstigen sich gegenüber hat. Ein Mann, der im geheimen Studio den Lauf der Gestirne erforscht, die Geheimnisse zählt, die im ewigen Dunkel schweben!

      Bernhard Euler ist Leonore von Dißkaus großer Trumpf.

      Geht nicht im Volk die Sage von ihm, daß er mehr kann als Brot essen? Flüstert man nicht selbst bei Hofe davon, daß der Professor Euler in seinem Hause eine schwarze Küche hat und über Dinge brütet, die nichts mehr zu tun haben mit Mathematik und Physik? War er nicht einer, der am lautesten jubelte, als der junge König am dritten Tage seiner Regierung die Folter abschaffte und die Hexenprozesse für einen mittelalterlichen Unsinn erklärte? Hat er nicht selbst ihr, — ihr, der schönen Leonore von Dißkau, freundlich und bestimmt sein Laboratorium und sein Studio verschlossen, als sie, in eine Kapuze gehüllt, zur Abendzeit ihre Sänfte vor seinem Hause halten ließ?!

      Und wenn es wirklich wahr wäre, was Bernhard Euler ihr auf ihre dringenden Fragen lächelnd versichert hat: daß er zwar allerlei Geheimnissen der Natur auf der Spur sei, aber nicht daran denke, Gold zu machen — um so besser nur! Kein prahlender Alchimist, kein Scharlatan wird es sein, den sie dem königlich-kurfürstlichen Herrn zu Dresden bringt, sondern ein ernster Gelehrter, ein Mann, vor dem alles Mißtrauen schwinden muß und dessen stille, gütige Augen doch mit ihrem ruhigen Glanz jedermann geheimnisvoll zu sagen scheinen: ‚Ich weiß mehr als ihr.‘

      Gold und Glanz locken Bernhard Euler nicht. Aber er wird bereit sein, Berlin zu verlassen und nach Dresden überzusiedeln. Denn Bernhard Euler ist ein Mann des Friedens. Nie hat er die Enttäuschung verwinden können, daß der Philosoph von Rheinsberg, der Friedensfürst, der Freund des Wahren und Schönen, sich zu einem Kriegsmann entwickelt hat. Er haßt Friedrich von Preußen, weil er den Krieg haßt, blind, einseitig, aus tiefster Seele heraus. Er wird kommen, wenn man ihm in Dresden ein Wirkungsfeld bietet. Und sie, die Frau, in deren Salon er seit drei Jahren allwöchentlicher Gast ist, — die schöne Leonore Dißkau lächelt geheimnisvoll vor sich hin bei dem Gedanken, — sie wird ihn an sich fesseln und aus seinem Geiste für ihren Aufstieg Vorteil ziehen!

      3. Kapitel

      Bernhard Euler verschmäht die Dienste der rotbefrackten Sänftenträger, die vor dem Haus der Gräfin Dißkau am Mühlendamm stehen. Zu Fuß, den Chapeaubas etwas steif und gravitätisch unter dem Arm, geht er über den Molkenmarkt.

      Die Sonne scheint warm und freundlich, das Leben, das unüberwindliche, pulsiert in den Straßen wie immer, und doch ist es nicht mehr das Berlin von 1753, durch das der Professor Euler schreitet. Vier Kriegsjahre lasten auf der Stadt. Sie prägen sich stumm und eindringlich in den sorgenvollen Gesichtern der beiden Kaufleute, die dort auf der Fischerbrücke von der Manufaktur der Gebrüder Wegely kommen. Sie protzen in dem achtsäuligen Balkon, der reich verstuckten Fassade des neuen Palais, das sich die Gebrüder Ephraim haben bauen lassen. Sie stehen in den mürrischen Mienen der Hökerinnen auf dem Markt, die mißtrauisch jedes Geldstück betrachten, um die minderwertigen „Ephraimiten“ festzustellen. Sie klagen an in den resigniert schmerzvollen Zügen des Invaliden, der da auf seinem Stelzfuß humpelt. Sie reden aus den lauernden, ängstlich-dreisten Blicken der Drückeberger und Deserteure, der sächsischen Gepreßten und Überläufer, die sich mit zerrissenen Monturen in der Stadt herumtreiben.

      Nein, Berlin ist nicht mehr das alte. Vier Jahre Krieg! Das Vivatgeschrei, wenn ein neuer Sieg des Königs gemeldet wird, ist keine Begeisterung mehr. Mit jedem Male mischt sich in das „Vivat hoch!“ lauter und dringlicher die Frage: Wird es nun zu Ende sein? Kommt der König nun zurück?

      Vier Jahre! Ausschreibungen und Aushebungen, Steuern und Kontributionen, Sorgen und Ängste. Auch die Lebensmittel werden teuer und knapp. Die Bauern, die aus der Mark hereinkommen, schimpfen auf den Krieg. Die besten Leute, die strammsten Kerle bei der Armée, die Pferde requiriert — wie soll man da sein Feld bestellen, liefern, was die große Stadt nötig hat! Schlesien? Was ist Schlesien? Nun ja, man hat gejubelt und Hurrah geschrieen als die siegreichen Truppen von Hohenfriedberg und Kesselsdorf heimkehrten und Schlesien gewonnen war. Aber ist dieses Schlesien denn wert, daß ganz Preußen sich seinetwegen zu Grunde richtet? Mag es die Kaiserin behalten! Der König soll Frieden machen und zurückkehren!

      „Der König soll Frieden machen!“ Mehr als einmal schlägt der Satz aus den lauten Gesprächen der Bürger an Bernhard Eulers Ohr, während er in die Spandauer Straße einbiegt. Er lächelt ein wenig verächtlich dazu. Spießer! Tagediebe, die nur Frieden wollen, um sich in Ruhe mästen zu können! Frieden um jeden Preis! Nein, das ist es nicht, was Bernhard Euler aufatmen ließ bei den Nachrichten von Kunersdorf und Dresden. Er hat keine Söhne und Freunde, die im Felde stehen oder in Böhmens und Schlesiens Sand modern. Sein Haus steht fest gefügt, seine Arbeit, die stille Arbeit des Gelehrten, leidet keinen Schaden durch den Krieg. Tiefer, heiliger sitzt der Haß in Bernhard Eulers Brust.

      Krieg! Schlachten! Schandfleck der Menschheit! Verrat am Gottähnlichen! Hier wie drüben! Jawohl, die Kaiserin Maria Theresia, die Russenherrscherin, der Kardinal Fleury, sie tragen alle die gleiche Schuld wie Friedrich von Preußen. Aber — war er nicht von Gott begnadet, der junge Fürst, der im Jahre 1740 das Staatsruder ergriff? Riefen seine ersten Edikte, seine Maßnahmen nicht jubelnd in alle Welt die Botschaft einer neuen Zeit? Schienen sie nicht glückselige Bestätigungen dessen, was Bernhard Euler geträumt: Einer kommt, der größer ist als all die anderen, die sich Herrscher, Staatsmänner, Philosophen nennen? Einer, der über Bajonette und Gewehre dahinschreitet und etwas Besseres, Höheres an ihre Stelle setzt? Und nun?!

      Verrat an dir selbst, König Friedrich! Verrat an deiner Jugend! Verrat an allen, die an dich glaubten! Seitdem du die Krone trägst, reißen die Kriege nicht ab! Und wenn du jetzt, jetzt deinem Land den Frieden geben mußt, es ist kein königliches Geschenk mehr, keine Gottesgabe, aus begnadeten Händen gespendet! Nur eine Notwendigkeit, ein bitteres Muß! Nach Kunersdorf, nach Maxen, Glatz und Dresden!

      In Bernhard Eulers Herz glüht der Haß enttäuschter Liebe.

      *

      „Guten Tach ooch, Herr Professor!“

      Vater Peetz, der Zuckerzieher, zieht sein Käpplein und nötigt den vornehmen Gast in die Stube. Die Peetzin tut einen erschreckten Aufschrei und flieht in das Schlafzimmer, um eine reine Schürze vorzubinden. Maulaufsperrend, gaffend, drücken sich die beiden Enkelkinder, der fünfjährige Max und das vierjährige Lottchen, gegen die Wand.

      „Ich dank’ Ihm, Vater Peetz.“ Mit einem leisen Seufzer des Behagens läßt Bernhard Euler sich in den beflissen herbeigeschobenen Ehrenstuhl sinken. Wie gut das tut, nach all dem Parlieren und Persuadieren, nach den Bonmots und Calembours, den französischen Esprits und histoires galantes im Salon der Gräfin! Hier ist Berlin, ist Preußen! Ein genügsames, behagliches Preußen, gleich weit entfernt vom erborgten Flitterschein des Prunks von Versailles wie vom gamaschenknöpfigen Spartanertum der Potsdamer Wachtparade. Nur daß diese Leute …

      Bernhard Euler bricht seine Gedankenkette ab und runzelt unwillkürlich die Stirn. „Hat Er die neuen Nachrichten schon gehört, Vater Peetz?“

      „Je nun, je nun.“ Der Zuckersieder kratzt sich den Kopf und schielt nach dem Blatt der Spenerschen Zeitung, die auf dem Tisch liegt. „Dorchen hat mir vorgelesen, was die Spenerin druckt. Ist’s wahr und wahrhaftig, daß jetzt Frieden wird?“

      „Dresden hat der König verloren, Vater Peetz!“

Скачать книгу