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      Statt nach hinten zu gehen, nahm sie nunmehr den Weg nach dem Musiksalon, wobei sie den langen und breiten, ganz hell gehaltenen Korridor, der fast wie ein blendender Saal aussah, durchschritt. Überall sah man weiss lackierte Türen und dazwischen Spiegel in vergoldeten Rahmen, üder denen die Glasbirnen wie riesige Wassertropfen aus dem Metallgerank hervortraten. An grossen Gesellschaftsabenden wurden die Gäste hier von einem Meer des Lichts empfangen, das sich in dem lackierten Glanz wie Sonnenglitzer wiegte.

      „Aber Kind, was quälst du dich denn hier ab, du wirst dich erkälten“, sagte Frau Frobel zu ihrer Tochter, zwar vorwurfsvoll, aber doch mit der ganzen Zärtlichkeil einer liebenden Mutter. Und sie nahm Edda das Opernbuch vor der Nase fort und klappte den Flügel sanft zu.

      „Aber Ma’chen, ich erkälte mich doch nicht“, schmollte Edda mit ihrer dünnen Stimme, hing sich aber, durchaus nicht böse, sofort an den Hals der Mutter, soweit das bei ihrem zurückgebliebenen Wachstum möglich war, denn sie war klein und niedlich, fast wie eine Zehnjährige; und wenn nicht ihr ausgewachsener Kopf auf breiten, fast gar nicht hängenden Schultern gewesen wäre, so hätte man sie auch dafür halten können.

      „Doch, doch, es ist ja hier nicht geheizt“, fuhr Frau Frobel fort und drückte einen Kuss auf das seidenweiche Blondhaar ihres Schmerzenskindes. „Obendrein hast du nur eine dünne Bluse an. Übe doch hinten, da hast du doch dein Klavier.“

      „Sei nur nicht böse, Ma’chen, nein? Der Flügel klingt doch viel schöner, und da die Noten nun gerade hier lagen . . . Sieh mal, mir ist gar nicht kalt, fühl mal meine Hände.“

      Ein starker Liebreiz sprach aus ihrem Wesen, etwas sein Kindliches, das sofort gefangennahm. Dazu redete ihr grosses Auge, das mitzulächeln schien, wenn die Pupille unter der hellen Wimper beweglich hin und her ging. Überhaupt lachte das ganze Gesicht, sobald die roten Lippen des breiten Mundes sich verzogen und die etwas auseinanderstehenden Zähne weiss hervorblinkten. Sie lachte zu viel und fast immer, wenn man mit ihr sprach, — das war ihr Fehler, aber doch einer, der sie kleidete. Entschieden trug sie die Züge ihres Vaters, was besonders am Profil erkennbar war. Nur den Schädel hatte sie von der Mutter, diesen wohlgeformten Schädel, der sich so prächtig und rund am Hinterkopf ausbaute, wie eine schön gezeichnete Plastik.

      „Du irrst dich, deine Hände sind ganz kalt“, sagte Frau Frobel aufs neue zärtlich und rieb ihr die dünnen, weissen Finger. „Komm und wärme dich, du hast viel zu wenig Blut.“

      „Kann ich was dafür, Ma’chen? Das sagst du immer. Und Gerhard, der Ekel, nennt mich schon die Blutlose, wenn er mir eins auswischen will.“

      „Ja, ein Ekel ist er manchmal, aber nur, wenn er seine unliebenswürdige Laune hat“, beruhigte sie Frau Frobel.

      „Aber die habe ich doch nie, liebe Mama“, mischte sich unerwartet Gerhard hinein, der alles vom Nebensalon mit angehört hatte und nun mit seinen Albernheiten zu ihnen hereintrat. Er war länger als sein Vater, glich ihm aber sonst wie ein Ei dem anderen, nur dass bei seinem Entstehen die Schablone etwas verrückt worden war, wodurch der Trottel in ihm sich mehr nach der Richtung ins Übermoderne ausgebildet hatte.

      Die Kleine war so erschrocken, dass sie die Hand aufs Herz legte. Dann klagte sie ihn an: „Siehst du, Ma’chen, so schleicht er nun umher und erschreckt die Menschen. Schon vorhin hat er’s so mit mir gemacht.“

      Gerhard nahm das gar nicht übel und zeigte nach wie vor seine grossen Hauer, die sich unter dem nach englischer Art gestutzten Schnurrbart etwas sehr afrikanisch ausnahmen. Dazu das infolge des letzten Kopfschmisses durchsichtig geschorene Kopfhaar, der schlecht geheilte Durchzieher auf der linken blauroten Wange, der drei Zoll hohe Stehklappkragen, der seinen Beruf als Röllchen verfehlt hatte, und der degenerierte Korpsstudent war fertig. Natürlich ging er auch schlapp und krumm, weil die ewige Sorge, wie dieses bisschen Dasein wohl zu ertragen sei, ihn niederdrückte; und natürlich suchte er etwas darin, auch in der Kleidung, gleich seinem Alten, den kleinen Lord herauszubeissen, allerdings mit einem bedenklichen Stich ins Gigerlhafte: durch auffallend punktierte Modeweste, durch Stoffjackett, schildpattartig gemustert, und dito Beinkleider, selbstverständlich aufgekrempelt, so dass das schmale, schwarz bestrumpfte Fussgelenk über dem Lackschuh zu sehen war. Beinkleider natürlich mit Bügelfalte, Jackett auf Taille gearbeitet, Weste mit zweireihigen blanken Knöpfen stark in Bedientenmanier, — der ganze Kerl tipp-topp, herausgeschnitten aus dem neuesten Mode-Katalog seines teuersten aller Schneider.

      „Aber erlaube mal, Püppchen — umherschleichen!“ zerrte er die Worte hervor, „wie sich das anhört. Tu ich absolut nicht, du bist doch auch wirklich kein Objekt dazu . . . Ich trete mir nur diese neuen Parkettkähne aus, die mir dieser Idiot von Schuster natürlich wieder zu eng gemacht hat. Dieser ganz unheilbare Idiot! Hat so ein Individibum wohl eine Ahnung, was für einen Kulturmenschen die Hühneraugen bedeuten? Nee. Hat er nicht.“

      Danach gab er zunächst seiner Mutter zur Begrüssung den üblichen Handkuss, ganz im Galanteriegenre seines Vaters, natürlich auch mit demselben Achtungsbedürfnis, denn er hatte vor ihr denselben heillosen Respekt wie alle in der Familie. Und nun fuhr er in seinen Kehlkopftönen, die noch komischer wie die seines Vaters wirkten, fort, sich über den Schuhmacher zu beklagen, und zwar mit einer Wichtigkeit, als hinge das Wohl der ganzen Welt davon ab. Er gehörte eben zu den Leuten, die über die nichtigsten Dinge einen Vortrag halten können. Was war ihm sein ganzes Jus, was der innere Mensch, wenn der äussere nicht seine Befriedigung erweckte! Aber sein Ärger war liebenswürdiger Art, mehr das hilflose Jammern eines bedauernswerten Menschen, der seine eigenen Sparren nicht kennt.

      Frau Frobel, die sich längst an solche einfältigen Klagen gewöhnt hatte, hörte gleichgültig zu und nickte nur.

      Edda jedoch, die über das „Püppchen“ aufgebracht war, sah sie mit einem heimlichen Tipp auf die Stirn bezeichnend an. Sie hatte nur die körperlichen Mängel vom Vater, den scharfen Verstand aber von der Mutter. Fortwährend verdrehte sie wie entsetzt die Augen, schöpfte wiederholt Luft, um etwas zu sagen, und platzte endlich in seine Redepause hinein. „Nun musst du es auch noch mal hören, du Ärmste. Und schon zu Günther hat er denselben Salm daraus gemacht . . . Ja, ich sage Salm, weil du immer Püppchen zu mir sagst.“

      Wütend sah sie den Grinsenden an und stiess mit dem Fuss auf. „Denkst du denn, ich weiss nicht, was du damit sagen willst? Ich sei zurückgeblieben und ein unbedeutendes Ding! Ein Püppchen setzt man überall hin, wo man will, nicht wahr? Und da muss es warten, bis man sich wieder seiner erbarmt. Aber ich bin gelenkiger, als du glaubst. Obendrein vernünftiger. Pah!“ Verächtlich hob sie die Schultern. „Denk nur nicht, dass ich um ein Paar Schuhe so viel Theater mache.“

      Gerhard schüttelte sich vor Lachen. „Aber Püppchen, Püppchen! Du wächst ja ordentlich.“

      „Ma’chen, du musst es ihm verbieten“, wehrte sich die Kleine. „Weisst du, was er noch gesagt hat? Ich würde nie einen Mann bekommen.“

      „Aber Püppchen, das sagst du doch selbst immer.“

      „Dann brauchst du es doch nicht zu sagen.“ Sie war, eingedenk ihrer armseligen Figur, dem Weinen nahe. Aber, sich beherrschend, liess sie die Worte weiter sprudeln. „Ich beschäftige mich doch wenigstens mit etwas, ich erfülle doch schon meinen Zweck. Papa habe ich heute zwei Stunden bei seinen Münzen geholfen. Und wie hat er mich gelobt! Soll ich dir was sagen, Grosser? Lerne von Günther. Gegen den nimmst du dir so was nicht heraus, trotzdem er auch jünger ist als du. Vor dem hast du Respekt. Siehst du, da hast du auch etwas von mir bekommen.“

      Gerhard nahm das wiederum nicht übel, sondern lachte ins Leere, gerade wie sein Vater lachte, wenn er sich damit für den Mangel an Worten entschuldigen wollte. Die Hände in den Hosentaschen, stolzierte er durch das Zimmer. „Respekt, Respekt“, echote er dann. „Natürlich habe ich Respekt vor ihm, du Püppchen. Weil er dazu da ist, später das Vermögen zu vermehren. Einer muss es doch tun.“

      Frau Frobel hatte genug von diesem Streit, und so ging sie mit ihnen in das Speisezimmer, wo der Tisch bereits gedeckt war.

      Geschäftshaus und Wohnhaus stiessen zusammen und waren im ersten Stockwerk mit einem Durchbruch verbunden. In dieser ruhigen Gegend

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