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grosse Kontor zu werfen, denn er bildete sich ein, selbst um diese Zeit noch einmal nach dem Rechten sehen zu müssen. Da er aber niemand mehr vorfand, mit dem er sich hätte unterhalten können, so nahm er den Hohenfriedberger wieder auf, der diesmal, getragen durch die Leere des Raumes, ungemein laut erklang und den er erst allmählich ersterben liess, als er zu seiner Frau zurückkehrte. Man hörte ihn immer schon kommen, denn seine Beine knackten beim Gehen, was wohl mit seiner Magerkeit zusammenhing. Alsdann wandelte er eine ganze Weile durch das grosse Zimmer und schritt den Takt zu seinem Marsch.

      Frau Frobel liess ihn ruhig gewähren, denn sie kannte diese Gedankenvertiefungen, die manchmal die langen Pausen zwischen ihnen ausfüllten. Das war immer so gewesen, schon zuzeiten, als Dietrich noch Herr im Geschäft war und von seinem Marsch noch nicht so verfolgt wurde wie heute. Denn sie hatten sich eigentlich nie viel zu sagen gehabt, wenigstens nicht, soweit zwischen Eheleuten die Sprache auch dazu dienen sollte, den innersten Gefühlen Ausdruck zu geben. Beide hatten sich geheiratet, wie sich ungefähr zwei Fabriken zusammentun, die eine stille Fusion bilden wollen, um die Kapitalmacht zu stärken und die Konkurrenzschlachten besser schlagen zu können. Die Industrie-Vetterschaft hatte es so gewollt.

      Frau Frobel beschäftigte sich still weiter. Sie legte einige wichtige Papiere in die Schublade ihres Schreibtisches, verschloss den Kasten wieder und machte sich einige Notizen auf dem Papierblock, damit sie am anderen Vormittage sogleich an diese Dinge erinnert würde. Dann ging sie an den Geldschrank, nahm aus dem Tresor, der die Handkasse enthielt, etwas bare Münze, notierte die Summe auf eine kleine Tafel und verschloss dann Tresor und Schrank mit peinlicher Sorgfalt. Und nachdem sie das Geld einstweilen auf den Schreibtisch gelegt hatte, nahm sie denselben Weg, den ihr Mann vorhin nach dem grossen Kontor genommen hatte. Herold hatte auf ihren Wunsch seine Flamme noch nicht abgedreht, und so konnte sie sich noch rasch davon überzeugen, dass hinten der Letzte gegangen war. Das tat sie an jedem Abend, sobald sie über die Zeit hinaus arbeitete. Als dann auch im Nebenkabinett alles dunkel war, schloss sie die gepolsterte Doppeltür und drehte den Schlüssel zweimal um. An jedem Morgen sorgte hier der herrschaftliche Diener für Ordnung, während in den Kontoren und den sonstigen Räumen das niedere Kontorpersonal diese Arbeit verrichtete.

      „Weisst du,“ begann Frobel endlich, „wenn man so sieht, mit welcher Gewissenhaftigkeit du mich hier in allen Dingen vertrittst, — ich könnte fast eifersüchtig auf dein Ansehen werden. Wirklich, das könnte ich.“

      Frau Frobel lachte leicht auf. „Vertrittst? Aber, lieber Dietrich! Ich vertrete dich doch nicht, sondern ersetze dich. Vollkommen. Wenn wir allein sind, kann ich’s dir doch sagen.“

      Sie sagte es heiter, aber hinter ihren Worten drohte das Grollen darüber, ihr ganzes verpfuschtes Leben an diesen Mann gehängt zu haben, der weder ihrer Seele noch ihrem Körper hatte Befriedigung geben können.

      Frobel, der diese kleinen Spitzen bereits kannte, verschluckte seinen Ärger, nahm aber um so lebhafter seinen Weg durch das Zimmer. „Nun ja, nun ja, liebes Tinchen, das weiss ich schon längst“, sagte er dann durchaus würdig. „Du mein Gott, darein habe ich mich schon allmählich gefügt. Muss ich wohl auch! Und je älter ich werde, um so mehr. Denn du bist die Stärkere, — in allen Dingen bist du es. Aber sei mir nicht böse, wenn ich immer wieder daran tippe. Etwas Komisches, wirklich Komisches liegt darin, dich hier als reiche Frau sich abplagen zu sehen, da du es eigentlich gar nicht nötig hast. Da wir es gar nicht nötig haben. Verzeihe, dass ich mich wieder zum Geschäft rechne, aber ich kann’s nun mal nicht lassen. Den Chef hast du mir genommen, aber den Ehrgeiz, siehst du, den Ehrgeiz der grossen Firma kannst du mir nicht nehmen. Und dann kommt die Liebe zu dir hinzu, wahrhaftig, die Liebe zu dir. Du wirst natürlich wieder lachen. Aber deshalb kann ich dieses Gefühl doch nicht unterdrücken, — auch wenn ich von dir beiseite geschoben worden bin.“

      „Ach, ich lache ja gar nicht“, warf Frau Frobel zerstreut ein. Sie hatte sich wieder gesetzt und sass nun, den Kopf in die Hand gestützt, wie sinnend da, ungefähr wie jemand, der nur aus Gefälligkeit zuhört, weil er gerade nichts zu versäumen hat.

      Und Herr Frobel fuhr eifrig fort: „Und dann der Dank, mein liebes Tinchen, und die Bewunderung, die grosse Bewunderung! Was für eine Zähigkeit hast du, was für eine Ausdauer. Gar nicht zu reden von deiner Intelligenz, von deinem gesunden Weitblick. Wenn ich bedenke, wie schnell du dich in alle Dinge gefunden hast. Die grössten Kaufleute könnten vor dir den Hut ziehen. Und das tun sie ja auch. Kunststück! Du imponierst ja aller Welt. Soll ich mich mal sozial ausdrücken, so muss ich sagen: Du bist die verkörperte Lösung der Frauenfrage, in die höheren Schichten übertragen . . . Manchmal habe ich doch noch gute Gedanken, wie?“ Er lachte kindisch. „Wenn ich auch so halb und halb als Idiot gelte, oder doch als Trottel, meinetwegen auch als lädierter Nachtschmetterling. Lädierter Nachtschmetterling ist gut, wie? Das nebenbei gesagt . . . Aber hör mal, liebes Tinchen, — was wollte ich doch . . . gleich sagen?“

      Manchmal verlor Herr Frobel den Faden; dann wurde er gewöhnlich rot, weil er befürchtete, man könnte ihm seine „Minderwertigkeit“ ansehen. Sein Erschrecken dauerte aber nur wenige Augenblicke; dann stolzierte er wieder vor seiner Frau auf und ab, wobei er ausrief: „Richtig, richtig! Das wollte ich sagen: Bist du eine gelernte Buchhalterin? Etwa eine, die aus der Geschäftsdamenwelt hervorgegangen ist? He? Hast du ganz vergessen, dass du eine Brüning bist, eine geborene Brüning? Die nun hier sitzt und sechs Stunden am Tage den Sessel drückt? Mindestens sechs Stunden, liebes Tinchen! Unerhört, unerhört! Und die sich mir dadurch entzieht. Mir, mir!“

      Frau Frobel lachte diesmal mit Vergnügen. „Sei doch nicht komisch, lieber Dietrich.“

      Herr Frobel liess sich nicht stören. „Ich weiss, ich weiss, es ist das alte Thema, immer das alte Thema. Mir aber bleibt es immer neu . . . Erlaubst du übrigens?“ und als er ihr Nicken gewahrte, holte er seine Zigarrentasche hervor und steckte sich eine von den schweren, torffarbigen an, die ihm eigentlich verboten waren, die er aber den ganzen Tag über und auch noch in den Nachtstunden rauchte, obgleich ihm das Gehirn davon platzen musste, wie seine Frau meinte.

      Und als er die ersten Züge tat, kam um so grössere Munterkeit über ihn, wie immer, wenn er den vergnügenwinkenden Abendstunden entgegenging. „Mach doch endlich Schluss mit dieser Geschäftssimpelei. Setz dir einen Vertrauten hin, einen energischen Kerl. Räum Ahlmann deinen Platz ein. Er kennt die Dinge aus dem ff. Schon lange habe ich dich darauf gebracht. Wenn du nur Gründe dagegen hättest, mein liebes Tinchen, Gründe!“

      Frau Frobel blieb diesmal ernst. „Gründe? Die habe ich allerdings, mein guter Dietrich. Ich will nicht.“

      Sie sagte es so bestimmt, dass ihr Mann ganz verlegen wurde. „So, so, du willst nicht“, sagte er dann wahrhaft betrübt. „Das ist was anderes. Dann allerdings . . .“

      Eingeschüchtert stand er da, schwenkte die grosse Zigarre vor seiner Nase und labte sich mit geschlossenen Augen an ihrem scharfen Duft.

      „Nein, ich will nicht“, sagte Frau Frobel nochmals mit Nachdruck. „Solange ich gesund und arbeitsfähig bin, werde ich hier das sein, was du hier hättest sein müssen. Werde ich also auch den Sessel des Chefs einnehmen. Das sind meine Gründe. Lass uns also darüber nicht mehr streiten.“

      „Nein, nein, es ist wohl auch schon besser“, sagte Herr Frobel nach einer gedankenschweren Pause. „Immerhin, weisst du, sind es eigentlich gar keine Gründe.“

      „Aber du hörst es ja, — die Gründe liegen in meinem Willen.“

      „Gut, gut, liebes Tinchen. Also Schluss darüber. Ganz und gar. Tout a fait.“

      Beide schwiegen eine Weile, bis sich Frobel wieder meldete. „Was sagst du übrigens dazu, dass Emmerich wieder auf der Bildfläche erschienen ist, he? Hat er sich noch nicht bemerkbar gemacht?“

      Ernestine, bereits darauf gefasst, erwiderte gleichgültig: „Da liegen sie im Papierkorb — die Logenbilletts.“

      Herr Frobel blieb vor dem schön bemalten Kasten aus imitiertem Leder stehen, bückte sich etwas und warf einen gewichtigen Blick hinein. Und um noch sicherer zu gehen, führte er sein Monoele, das er immer lose in der Westentasche trug, dem rechten Auge zu, das nicht die Sehkraft des linken besass, weil es mit der

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