Скачать книгу

ein wenig geschmeichelt, nickte; dann aber fasste er diese Dinge nicht so schlimm auf. Herr Günther sei eben kein Duckmäuser. Jedenfalls werde er seine Freunde haben, mit denen er sich des Abends amüsiere, wie es immer bei jungen Leuten der Fall sei. Im übrigen zeigte er sich durchaus nicht verändert. Er sei immer pünktlich zur Stelle, habe Liebe zur Arbeit und trage sein altes verbindliches Wesen zur Schau, das ihn in den Augen aller so angenehm mache.

      „Ja, ja, das weiss ich“, wandte Frau Frobel lebhaft ein. „Dass seine Umgangsformen darunter nicht leiden, das ist ja selbstverständlich. Dazu ist er viel zu gut erzogen, denn ich habe ihn erzogen, worauf ich mir etwas einbilde . . . Aber ich sehe doch anders als Sie, mein lieber Herr Herold, was vielleicht daher kommt, dass mir diese Dinge mehr im Kopfe liegen. Sie werden eben durch Ihre Bücher zu sehr abgelenkt; was auch ganz erklärlich ist. Sehen Sie, mein Bester, — die Pünktlichkeit allein macht es nicht, denn das kann Gewohnheit und Zwang sein; meinetwegen auch Klugheit, um zu täuschen. Aber sagen Sie offen: ist es Ihnen nicht aufgefallen, dass mein Sohn jetzt öfters des Morgens aus dem Gähnen nicht herauskommt, wie? Es gibt doch solche Vormittage.“

      Herold lachte nicht mehr, denn er sah die besorgte Miene seiner Gebieterin und konnte sich nicht verhehlen, dass ihm diese Vorgänge nicht entgangen seien. Und da ihm daran lag, dieser vortrefflichen Mutter jedes Bedenken zu nehmen, so wies er auf die anderen jungen Leute im Geschäft hin, die dasselbe täten, wogegen aber nichts zu machen sei, solange sie ihre Arbeit erledigten und man ihnen nicht den Vorwurf der Nachlässigkeit machen könne. Frau Frobel zeigte leichten Ärger. Was sie die anderen jungen Leute angingen! Hier handele es sich um ihren Sohn, der den Angestellten als Vorbild dienen und nicht Veranlassung geben sollte, ihnen gleichgestellt zu werden.

      „Ich verstehe wohl, weshalb Sie das alles entschuldigen“, fuhr sie fort. „Sie entschuldigen es eben mit der Jugend. Das ist hübsch, und das freut mich, weil ich zum Teil denselben Standpunkt vertrete. Ich habe diese Sorte von Eltern niemals leiden können, die mit Vorliebe die Einmauerung ihrer Kinder verlangen. Gewöhnlich ist es die Sorte, die früher am meisten gesündigt hat.“

      Und ihr Gesicht nahm unwillkürlich die Richtung nach der Wohnungstür, so dass Herold sie verstehen musste.

      „Nein, nein, ich klage niemals ungerechtfertigt an“, fuhr sie mit verlorenem Blick fort, wobei sie nach einem Bleistift griff und auf den Rand der Abendzeitung zu stricheln begann. „Ich war ja auch mal jung und vergnügte mich nach Herzenslust. Natürlich soweit es jungen Mädchen erlaubt ist — namentlich in unseren Kreisen. Und doch kann ich Ihnen sagen: — manchmal hatte ich einen Drang, alles Konventionelle über den Haufen zu werfen und mich einmal gründlich auszuleben, wie es sich unsere modernen Töchter so sehnlichst herbeiwünschen, zum Teil auch schon tun. Die Zeiten haben eben andere Anschauungen gebracht. Und mir wäre es nicht schwer geworden, denn ich hatte ganz das Blut von meinem Vater. Aber ich wurde verdammt streng gehalten, ich sage Ihnen! Bei jeder Gelegenheit bekam ich’s von der Mutter zu hören: das schickt sich nicht, das passt sich nicht, so was tut man nicht. Für die Frauen gibt’s ein eigenes Moralgesetz, das die Männer für sie zusammengebaut haben. Manchmal hätte ich gewünscht, ich wäre ein Junge und könnte auf und davon gehen.“

      Männliche Tatkraft haben Sie ja genug, hätte Herold am liebsten eingeworfen.

      Frau Frobel hatte gar nicht die Empfindung, das alles zu einem Angestellten zu sagen, der schliesslich nur stilles Erstaunen darüber zeigen musste. Es war ihr vielmehr nur darum zu tun, sich an ihren eigenen Worten zu berauschen, während ihre Gedanken ganz wo anders waren. Fortwährend dachte sie an Sänger Emmerich, an den Mann, der damals ihr junges Mädchenherz bestrickt und sie bezaubert und vernarrt gemacht hatte und dessen Frau sie geworden wäre, wenn sich die Mutter und alle Verwandten nicht so energisch dagegen gewehrt hätten. Und so bereitete es ihr eine gewisse Befriedigung, noch einmal an Dinge zu rühren, die sich gerade an diesem Tage mit dem einstmals Geliebten verbanden.

      Dieser Zustand dauerte aber nur wenige Minuten, dann war sie wieder die kluge Frau, die sich von überflüssigen Gefühlen nicht mehr bewältigen liess. „Also hören Sie mal, mein lieber Herold,“ sagte sie mit offener Heiterkeit, „Sie müssen mir ein wenig helfen, aus meinem Jungen etwas herauszubekommen. Ich glaube, es steckt ein Mädel dahinter — na, und das wäre das Schlimmste, was ich mir denken könnte. In seinen Jahren schon, und bei diesem Temperament! Ich möchte es nicht wünschen, aber, aber! — Ich befürchte, ich werde recht behalten.“ Und sie enthüllte ihm, dass Günther in letzter Zeit niemals vor zwei Uhr morgens nach Hause gekommen, ja, dass es einmal schon gegen fünf gewesen sei, ohne dass eine besondere Festlichkeit vorgelegen habe, die als Entschuldigung hätte dienen können. Und das müsse sie mit ihm, dem bisher Soliden, erleben.

      „Mein lieber Herr Herold,“ fuhr sie erregt fort, „Sie wissen, was für ein unbegrenztes Vertrauen ich zu Ihnen habe, und Sie wissen auch, dass ich mit meinem Mann über solche Dinge nicht reden kann, für die er kaum Verständnis finden würde. Oder doch höchstens in seiner Auffassung, die, wie immer, minderwertig wäre. Steht es nicht ganz traurig um mich?“

      Ein bewegender Seufzer kam über ihre Lippen, ähnlich dem, der schon vordem bis zu Herold gedrungen war, und den er sich jetzt nur zu sehr erklären konnte. Überrascht hatte er kein Wort hervorgebracht, sondern sein stilles Bedauern nur durch leichtes, verständnisvolles Nicken ausgedrückt. Das waren allerdings Dinge, die er nicht erwartet hatte und die manche Zerstreuung des jungen Herrn Günther in letzter Zeit erklärlich machten. Also auch dieser ging aus dem Gleise, wenn auch auf seine eigene Art; und alle Welt hatte sich bisher darüber gefreut, in ihm den Brauchbaren und Tüchtigen zu sehen, den Menschen mit gesunden Gliedern und unverrücktem Verstande, der dereinst die Firma kräftig leiten sollte. Obwohl das alles in seinem Kopfe herumging, begann er doch, die Gebieterin nochmals zu trösten, und je mehr Worte er dazu fand, die schönen und aufrichtigen Worte eines treuen Ratgebers, je mehr gewann er selbst der Sache die leichte Seite ab, an der er schliesslich nur etwas Vorübergehendes erblickte, eine kleine Verführung durch leichtsinnige Freunde, der man durch vernünftige Vorstellungen bald werde Abhilfe schaffen können.

      Frau Frobel jedoch schüttelte mit dem Kopf, denn sie wusste bereits mehr, als sie angedeutet hatte. „Fangen Sie die Sache nur recht schlau an, dann wird’s schon gehen“, scherzte sie los. „Heucheln Sie ein wenig, schwindeln Sie meinetwegen auch, ich verzeihe es Ihnen. Alle Diplomaten haben ja zwei Gesichter . . . Nur darf er nicht wissen, dass ich dahinter stecke. Sagen Sie ihm doch, Sie seien ihm des Nachts in der Friedrichstrasse Arm in Arm mit einem hübschen Mädel begegnet und wären erstaunt über die Schönheit gewesen. So etwas schmeichelt und macht redelustig, wenn’s auch nicht wahr sein sollte. Und dann kommt ein Wort zum anderen.“

      Herold, der sich bereits erhoben hatte, sah sie mit einer Miene an, in der in diesem Augenblick durchaus nichts von einer zu erwartenden Schlauheit zu lesen war. Dann lachte er aus Anstand mit, aber es war das Lachen eines Gefolterten. Bei knifflichen Dingen pflegte er sich die Nase zu reiben, und das tat er jetzt auch in ausgiebiger Weise, so dass es fast unschön war. Er, der schon seit Jahren regelmässig spätestens um elf Uhr in sein schmales separiertes Bett stieg und selten aus seiner stillen Gegend herauskam, sollte sich des Nachts in der Friedrichstrasse umhertreiben! Und er, der sich rühmen durfte, stets wahr und aufrichtig gewesen zu sein, sollte diese Tugend plötzlich ablegen! Aber was tat man nicht alles einer besorgten Mutter wegen, der obendrein geschäftlich zu dienen man sich zur Ehre rechnen durfte.

      „Die Bummelei würde ich ihm schon verzeihen, wenn er sich nur an kein Frauenzimmer hängt“, sagte Frau Frobel nach seiner Zustimmung noch und benutzte die Gelegenheit, sich noch rasch nach dem Befinden seiner Familie zu erkundigen.

      Dadurch war Herold endgültig bezwungen.

      II

      Er wollte gerade gehen, als er durch Frobel senior zurückgehalten wurde, der aus der Wohnung hereintrat und sich gleich durch seine kleinen Liebenswürdigkeiten bemerkbar machte, die er für jedermann in derselben Form bereit hatte. Schon vorher hatte man durch die Tür sein helles Pfeifen vernommen: den Hohenfriedberger Marsch, in den er sich geradezu verliebt hatte und den er bis zum Überdruss pfiff, obendrein mit der Eintönigkeit eines musikalischen Analphabeten. Diese

Скачать книгу