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Sie sich das Gemälde des Schick ins Atelier bringen, ich erwarte etwas wie das Wesen des Grafen, und es soll ihn freuen, wenn er’s sieht.« Friedrich riß an seiner Hemdspitze herum. »Können Sie das?«

      Dannecker sagte bescheiden, der Herzog kenne ja seine Arbeit an der Schillerbüste, die er schon 1796 begonnen habe, den Gipsguß, den er gern, so der Herr es wünsche, noch einmal aus der Werkstatt herschaffen lasse.

      »Der Schiller ist anders«, knurrte Friedrich, »der ist knochiger, männlich und heldenhaft, ein Volksheros. Diesen da will ich für mich, einen hellstirnigen Menschen, ein geistiges Bild.«

      Dannecker sah erstaunt auf. Der Gigant da vor ihm hatte die kleinen Augen fast ganz geschlossen, um den Mund zogen sich die Schrammen bis zum Kinn hinunter, keine Falten mehr, tiefe Risse, trotz des unschönen Fetts, das die Wangen blähte und den Hals fast verschwinden ließ.

      »Schau Er mich nicht so abschätzig an!« schrie Friedrich und brauchte absichtlich das altmodische »Er«.

      Dannecker entschuldigte sich, er sei Künstler und sehe jedes Gesicht als Vorwurf für eine Plastik. Das sei ehrfürchtig gemeint, sagte er noch.

      Friedrich schwieg darauf und stemmte sich aus dem Stuhl in die Höhe.

      »Lassen Sie das Gemälde ins Atelier tragen! Ich weise das an.« Friedrich schellte, während der Meister sich unter Bücklingen zur Tür tastete. Draußen wurde ihm versichert, das Werk werde pünktlich in seinem Hause sein. Dannecker ging.

      »Hofbildhauer …«, murmelte er ärgerlich, »Hofknecht!« Im Weitergehen wurde er gelassener. Aber doch, dachte er, der alte Carl Eugen hat’s ganz gut gemacht, daß er mich meinem Vater abgeluchst hat … Sonst wäre ich dem sein Roßbub geblieben, und wie hätt’ ich je zum Le Jeune kommen sollen ohne ihn? Gerecht muß man schon sein, auch gegen die Fürsten, sogar wenn’s arg menschliche Menschen sind! Und der da drin ist scheint’s bös geplagt worden in Rußland, und Genaues weiß keiner von uns. Da denkt er halt nicht viel Gutes von den Leuten, und seine englische Mathilde gilt ihm auch wenig. Der Zeppelin ist der einzige, dem er traut – und jetzt will er ihn festhalten im Stein, wo er bald Kurfürst wird, und ihn selber soll ich auch machen.

      Man klatschte viel am Stuttgarter Hof über die englische Heirat, es war klar, daß dies eine rein politische Angelegenheit war. Aber für die Princess Royal, Charlotte Augusta Mathilde, war die Heirat doch wohl mit ein paar fraulichen Hoffnungen verknüpft gewesen. Seiner Tochter Katharina hatte Friedrich geschrieben:

      »Mein liebes Kind! Seit dem achtzehnten Juli hast Du eine neue Mutter, die das Glück Deines Vaters bedeutet und bedeuten wird, und die Du infolgedessen lieben und achten wirst, davon bin ich überzeugt …«

      Als das junge Mädchen den Umschlag öffnete, weinte es, schon bei den ersten Sätzen. Was der Vater tat, war immer unberechenbar und eigentlich zum Fürchten. Und er erklärte nichts, er verfügte bloß. Er hatte sie mit den beiden Brüdern aus Rußland nach Württemberg gebracht, das sie kaum kannte, nur aus Berichten und von Bildern her, und sie wußte nicht, was aus ihrer Mutter, der Braunschweigerin, geworden war. Man sagte ihr, sie sei tot, aber die russische Kinderfrau hatte ihr erzählt, die Prinzessin-Mutter sei mit einem kleinen Engel im Arm weit fortgeflogen.

      »Und das war mein Schwesterchen oder mein Bruder?« fragte Katharina einmal, aber niemand gab Antwort darauf. Daß der Vater seit damals anders geworden war, noch verschlossener, selbstherrlicher, härter, spürte sie bald. Sie gewöhnte sich daran, ihn zu meiden, und merkte doch, daß er für sie offener und zugänglicher war als für die Brüder. Er erzählte sogar manchmal von Rußland, von seinem Gouvernement in Cherson, zu dem ihn die große Katharina, ihre Patin, berufen hatte. Mit ihr hatte er manchmal deutsch gesprochen, sie war eine deutsche Prinzessin aus Anhalt-Zerbst, vom großen Friedrich, dem Preußen, für den russischen Paul ausgesucht … Von Cherson, an das sie eine unklare und meist verdrängte Erinnerung hatte, war die Kleine nach Mömpelgard gebracht worden; sie dachte oft an die Zeit in dem großen Stadtschloß und an das weiter draußen gelegene Staint Étupe, an den Weg neben dem Flußufer, unter hängenden Buchenzweigen, zwischen denen immer wieder Stadt und Schloß sichtbar wurden, an die vielen Kanäle, die alles Gemauerte einschlossen.

      Man hatte ihr gesagt, Mömpelgard gehöre seit dreihundert Jahren zu Württemberg, von jener Henriette als Heiratsgut eingebracht, die den Friedrich von Zollern in der Schlacht besiegt hatte, den Ahnen des Preußenkönigs. Inzwischen war das Gebiet oft von Truppen durchzogen, geplündert und verwüstet worden. Sie kannte nur das alte Bild aus der Kinderzeit, ihr hafteten kleine Blitzlichter, helle Funken ohne Zusammenhang, ein rosenumwachsener Balkon, ein schmaler Dachfirst, im Gedächtnis.

      Katharina war mit achtzehn Jahren noch immer ein halbes Kind, wie es die blonden, hellhäutigen Typen oft sind; und sie war in ihrem Umkreis gefangen, in ihrer Kaste, ihrer Tradition, wie unter einer Glasglocke, die ihr keinen Ausgriff in die »gewöhnliche Menschenwelt« ließ. Sie war naiv, aber klug genug, um wenigstens im eigenen Wesen, in der eigenen Sippschaft, in der Geschichte der Familie zu forschen, da sie wissen wollte, »mit welchen Pferden sie fahren sollte«. Sie verglich Züge im Charakter des Vaters mit ihren eigenen Antrieben, fragte nach seiner Jugend und nach der Mutter, die noch immer, kaum gekannt, wie ein Traumwesen in einem Nebelflor vorüberschwang, wenn sie das Thema beim Kurfürsten anschlagen wollte.

      Dann tauchte auch, sichtlich vorsichtig berührt, nur mit undeutlichen Floskeln erwähnt, die berühmte Großtante auf, ihre Patin, die große Zarin Katharina. Sie merkte bald, daß die Herrscherin wie ein Tabu, ein bedrückendes, quälendes Phantom über dem Vater hing, das einzige Bild, vor dem der Mächtige sich duckte, das er mied und fürchtete. Das erschreckte sie, denn sie glaubte zu wissen, daß der Name ein Zeichen, ein Stempel und ein Signum sei, das eine Richtung weise, und man hatte ihr den Namen dieser Frau mitgegeben.

      Die Herzogin Mathilde, die seit 1797 Katharinas zweite Mutter war, lebte sehr zurückgezogen. Wenn Katharina sich bei ihr melden ließ, tat sie das aus gutmütiger Höflichkeit und kaum aus Freundschaft. Mathilde nutzte dann gern die Gelegenheit, aus ihrem sonst so förmlich-distanzierten Benehmen etwas herauszutreten. Sie erzählte der begierig zuhörenden Prinzessin von geheimen Hofberichten, die sie sich aus englischen Quellen verschaffte, sprach von makabren Schauermären, die über den russischen Hof umgingen, und von dem wilden, grausamen, genialischen Wesen der »bösen Zarin«. Katharina hörte erstaunt, dann erschrocken zu. Aber obwohl sie Mathildes Eifer und Abscheu befremdete, ließ sie sich doch von den weitschweifigen Schilderungen gefangennehmen.

      Vor fünf Jahren war die große Katharina gestorben, sie hatte, so hörte man, ihren Sohn Paul, den Gatten der württembergischen Sophie, die Katharinas Tante war, ehrlich gehaßt, genau wie ihren Mann, den groben, dümmlichen Paul I., von dem sie nur Brutalitäten und Beleidigungen erfahren hatte.

      Den Enkel aus der deutsch-russischen Ehe ihres Sohnes, den Alexander, hatte sie geliebt und für den Thron bestimmt …

      Aber die Zarin war – verbraucht – früher und rascher gestorben, als sie selber gedacht. (Mathilde sagte trübsinnig: »Wer denkt bald genug an den Tod?«) Und der immer unterdrückte Sohn, der sich nun endlich mächtig genug zur Rache fühlte, hatte sich jetzt erst eigentlich als der Psychopath entpuppt, der er war: Geschützt durch die unbeschränkte Macht seiner Zarenkrone, ließ er den Leichnam seines Vaters ausgraben und das gekrönte Skelett durch die Straßen führen, voraus die kerzentragenden Günstlinge der toten Mutter, die er für die Mörder hielt, und beide Gatten – zum Hohn – nebeneinander beisetzen …

      Katharina saß blaß, mit zitternden Händen, vor der schwatzenden Dame, die sich wichtig damit tat, dem Mädchen die Barbarei der Russen einzureden, und in ihrer Befangenheit nicht sah, daß sie eine völlig Verstörte, Erschütterte vor sich hatte, die sich kaum mehr aufrecht halten konnte. Erst als Katharina fragte: »Die Tante? Hat sie das nicht hindern können?« wurde sie wacher. »Es gab doch Dokumente, ein Testament der Zarin, denke ich …«

      Mathilde lachte leise: »Das hat der neue Zar verbrannt.«

      »Arme Tante, arme Frau!« Die beiden schwiegen eine Weile. »Sie hat doch bloß Angst vor ihrem Gatten gehabt.«

      Mathilde

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