Скачать книгу

scheint Ihnen viel Zeit zu lassen? Sie haben, wie ich sehe, die Modejournale ausgiebig studiert?«

      Jérôme deutete eine Verbeugung an. »Es ist die vorgeschriebene Galauniform, mon beau-frère, für große Empfänge beim Gouverneur!«

      Leclerc sprang auf. »Das ist kein Galaempfang, Jérôme, das ist eine Vorladung, wenn Ihnen das noch nicht klargeworden ist! Ich erwarte Auskunft über Ihr unmögliches, disziplinloses Benehmen, Ihre Affereien, Ihre Maskeraden, mit denen Sie die französische Armee lächerlich machen! Ich erwarte Entschuldigungen wegen Ihrer allzuhäufigen Besuche in den übelsten Spelunken, über Ihre Schulden, Ihre Angebereien und Aufschneidereien und Ihren laschen Dienst!« Er winkte Pauline, die noch immer neben dem Sessel stand. »Setz dich doch, ma chère, ma fleur!«

      Sie lächelte halb belustigt, halb kokett und sank, die winzigen seidenen Schuhe gekreuzt, in einen Stuhl.

      Jérôme zögerte noch, er wußte nicht recht, welche Geste hier angebracht sei, die des hübschen Familienlieblings schien ihm nicht zu genügen. Immerhin war Leclerc sein Vorgesetzter, und er spürte, daß der über die Sippenzusammenhänge hinausdachte. Und er war auch kein Italiener wie die Bonapartes und Ramolinos, und das hieß, daß er nüchtern einstufte und sich kein alles überwindendes sentimento della famiglia erlaubte, wie gelegentlich sogar der ruhmreiche Napoleon.

      Jérômes Verstand war der eines großen Jungen, nicht mehr; aber sein Instinkt, die fast feminine Einfühlung in das Wesen seines Gegenübers, die ihn auch für Frauen oft so unwiderstehlich machte, gab ihm ein zu sagen: »Verzeihen Sie, mon général, ich habe die Seeschlacht von Saint Domingue mitgekämpft, und der Admiral gab mir den ehrenvollen Auftrag, die – nach zweimaligem Ansatz endlich geglückte – Unterwerfung der englischen Swiftburne …« Er stockte plötzlich, trotz aller Keckheit aus dem Konzept gebracht. »Nun, Sie werden wissen, ich habe die eroberte feindliche Prise bemannt und aus den Händen des unterlegenen Kapitäns seinen Degen empfangen.«

      Pauline hob die Hände. »Oh, Jérôme, das muß ein wundervoller Anblick gewesen sein! Du im Moment des Sieges, auf dem zerschossenen Schiff, in Gegenwart der gefangenen Mannschaft, noch im Pulverdampf …« Sie sprach auf einmal italienisch, und Jérôme antwortete hingerissen: »Si, travolgente, Paolina!« Überwältigend, das war es, und er selber war von seinem Ruhm überwältigt!

      Leclerc schwieg, da er kaum Italienisch verstand, aber den Sinn dieser Tirade hatte er erfaßt und auch die Motive des Admirals Gantheaume richtig eingeschätzt, der die erste, einzige Gelegenheit nutzte, den kleinen Bruder auszuzeichnen und dem großen Konsul gefällig zu sein, in dessen Diensten er stand.

      »Sehr gut, mein Schwager, und zweifellos hatten Sie eine solche persönliche Hervorhebung damals verdient – nach der Schlacht.« Er wies jetzt auf einen der herumstehenden Stühle. Pauline lächelte.

      »Im Januar 1800«, sagte Jérôme jetzt, »kam dem Admiral ein böses Unwetter zustatten. Wir kreuzten in wilden Regenböen, das Admiralsschiff drohte zu kentern, einige Segler verloren die Masten, die Flottille wurde auseinandergetrieben … und das mitten in der finstersten Nacht; man wartete besseres Wetter ab, bis schließlich doch die Engländer – der Admiral Warren – auftauchten und uns so zusetzten, daß wir nach Toulon auswichen.« Er atmete auf, wenigstens hatte ihn sein Gedächtnis nicht im Stich gelassen. »Drei Monate danach dasselbe – Sie wissen ja. Aber dann kam der Sieg über die Swiftburne, das schönste Schiff, das der englische König auf See zu schicken vermochte.«

      »Das haben Sie bereits erzählt, Degen abgefordert und Prise bemannt«, sagte Leclerc nüchtern. »Und dann?«

      »Es war meine erste Seeschlacht, und ich habe die Kugeln nicht gefürchtet.«

      »Gewiß, das hat Ihnen auch der Erste Konsul bestätigt, Gantheaume hat es mir berichtet.«

      Von Paris, das er als junger Held wieder betrat, erwähnte Jérôme nichts; er ließ lediglich beiläufig verlauten, er habe seinem Bruder den Admiral warm empfohlen. (Gantheaume hatte, da ihn Jérôme um eine größere Geldsumme angegangen hatte, als Gegengabe diese Hilfe erbeten …)

      Leclerc lag daran, diese sonderbare Audienz abzuschließen. Er beschied den Schwager kurz: »Das genügt; halten Sie sich in Zukunft auch in Ihrem Auftreten so, wie es einem Seeoffizier der grande nation zukommt, und erregen Sie kein Ärgernis mehr. Ihren Mantel habe ich reinigen lassen, er wird Ihnen beim ersten Sekretär übergeben werden. Ich lasse einen Wagen vorfahren. Pauline?«

      Pauline stand auf, anmutig mit dem Schleier hantierend, und trat zu Jérôme, der ihr die Hand küßte. Strammstehen, Aufstechen, ein freches Blitzen aus den kleinen schwarzen Augen – dann war er draußen.

      Leclerc ließ sich seufzend in seinen Sessel zurückfallen, streckte die Hand nach Pauline aus und zog sie zu sich herüber; sie schmiegte sich auf seine Knie und streichelte sein Haar. Dann ging sie langsam zur Tür.

      Gelegentlich gab es Jérômes wegen einen gereizten ehelichen Disput zwischen Leclerc und Pauline; daß er nun schon das zweite Mal in den Kolonien sei, meinte sie, zeige doch, daß Napoleon ihn für bewährt und fähig halte, und immerhin habe er sich ja bei der Einnahme von Port-au-Prince recht gut bewährt, sonst hätte ihn doch der Admiral nicht gleich zum Fähnrich zur See gemacht. Und Latouche-Tréville sei keiner von den unkritischen Admiralen.

      Persönliche Tapferkeit und Wagemut – die habe er, sagte der Gouverneur, aber das genüge eben nicht; er hätte den Schwager gern verantwortungsvoller gesehen und auch »politischer« in seinen Auftritten. Er hätte sehnlich gewünscht, diese schwierige, kaum mehr übersehbare Lage mit ihm zu bereden und den »Kleinen« nicht bloß als Dekorations- und Zierstück einzusetzen.

      Pauline widersprach, da ihr jedes Gespür für Leclercs Sorgen abging. Sie hatte in den Jahren ihrer Kolonialzeit gerade gelernt, die Kreolen von den Mulatten und diese von den Negern zu unterscheiden, die vielerlei Nuancen der Mischungen ersten und zweiten Grades, die in diesem Schmelztiegel wirbelten und agierten, so weit zu trennen, daß sie keine Taktlosigkeiten beging und ihm schadete. Kreolen hießen ursprünglich die seit Generationen in Haiti ansäßigen Weißen. Es gab die »großen Weißen«, Aristokraten und Großgrundbesitzer, und die »kleinen Weißen«, die ein Handwerk trieben, keine Pflanzungen hatten und nur »Haussklaven«, keine Plantagenarbeiter hielten. Mulatten nannte man die Mischlinge aus der Verbindung Weißer und Schwarzer, später auch alle freien Farbigen, gleich welcher Abstammung sie waren. Und endlich gab es »neue Freie«, ehemalige Sklaven, die das Dekret des Nationalkonvents vom 4. Februar 1792 losgesprochen hatte, als Folge der großen Kolonialdebatte vom Mai 91, in der Robespierre für die Abschaffung des Menschenhandels und der Sklaverei plädiert hatte.

      Verständlicher als diese politischen und juristischen Begriffe waren Pauline die Bitten der Joséphine Beauharnais um die Befriedung Haitis. Sie war ja selbst Kreolin und stammte aus Mozambique.

      Befriedung – das war freilich ein fernes Ziel. Leclerc wußte das. Die Kolonisten, durch billige Sklavenarbeit reich geworden, zögerten mit vielerlei Vorwänden die Durchführung der Beschlüsse aus dem fernen Paris hinaus, die Schwarzen, die Bescheid wußten, empörten sich und lieferten damit das Argument, das Dekret zu widerrufen: neue Aufstände, Widerspruch der weißen Grundbesitzer, die einsahen, daß sie mit den freien Farbigen besser arbeiten konnten als mit unzuverlässigen und aufsässigen Sklaven. Es gab ein erbittertes Hin und Her, und Paris erwog militärische Eingriffe gegen die unbotmäßigen Landsleute in der Kolonie.

      Leclerc – eingezwängt zwischen Auftrag und Einsicht – machte dringend auf die Agenten Englands aufmerksam, die den Zwiespalt ausnutzten und den Kolonisten Hilfe anboten … Spannungen, Emotionen, zwischen denen der Kommandeur sich wand, ohne Rückhalt und auch nur Verständnis bei seinen Nächsten. Pauline erfuhr durch Briefe aus der Heimat von der Enthauptung Ludwigs XVI., redete sprudelnd und naiv über den armen, dummen König, machte sich gegen Leclercs Wunsch wichtig damit und verstand erst zu spät, daß die Spanier, noch immer begierig auf den Besitz der Kolonie, aus diesem Königsmord eine Legende machten, um die Schwarzen aufzuhetzen, denen der König noch immer ein magisches Symbol und ein halbgöttlicher Heros war, auch bei einem fremden Volk. Übrigens nutzten gerade die spanischen

Скачать книгу