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seine Landsleute, trieb sie zu Massakern in einsam gelegenen Gehöften an, drillte sie nach europäischem Muster und ließ sie glauben, ihre Seelen kehrten, nach dem Tod durch die verhaßten Weißen, in die afrikanische Heimat, zu ihren Geistern, Medizinmännern und Wodu-Heiligtümern zurück …

      Leclerc versuchte den Rebellen mit hinhaltenden Scharmützeln zu begegnen, setzte auf ihre Desorganisation und allmähliche Ermüdung, hoffte auf ein langsames Versickern des Widerstandes, als er von einer üblen Nachricht aufgeschreckt wurde: Jérôme hatte eine junge Negerin entführt, geschwängert und verschwinden lassen … Das war nicht mehr nur ein harmloser Streich, sondern lieferte der Hetze gegen Frankreich reichliche Nahrung. Aber noch viel brisanter wurde die Sache, als bekannt wurde, daß es sich bei dem Mädchen um eine Verwandte des Generals Toussaint Louverture handle. Daß sie mit einem Boot verschwunden war und die Ruderer schließlich, scharf verhört, zugaben, man habe sie nicht getötet, ließ vermuten, daß sie das Abenteuer weiterverbreitete und daß Toussaint inzwischen davon wußte.

      Leclerc wurde ungeachtet seiner trockenen, verbissenen Redeweise so heftig, daß Pauline aus dem Zimmer lief. Jérôme weinte fast; er jammerte, er habe bei seiner Jugend und seinem romantischen Feuer ja nicht anders handeln können – aber Leclerc schnitt ihm brutal das Wort ab, und gemahnt, das Mädchen zu suchen und abzufinden, stöhnte Jérôme, er habe doch kein Geld, nur große Schulden …

      Schließlich drehte sich dér Generalgouverneur angewidert weg. »Ich werde die Sache bereinigen«, sagte er, »und das arme Geschöpf bezahlen.« Nicht einmal Paulines Schwesternzärtlichkeit kam dem Leichtsinnigen mehr zu Hilfe: Solche Eskapaden, vollends wenn sie bekannt geworden waren, mochte sie nicht.

      Leclerc ließ sich trotz seines Ärgers herbei, Jérôme noch einmal über die Vorgeschichte und die politischen Schwierigkeiten und Ziele der Kolonialisierung Haitis aufzuklären. Müde, sichtlich von Jérômes Unverständnis überzeugt, zeigte er ihm auf der Karte die portugiesischen, englischen und spanischen Eroberungen und Verluste, Toussaints Unternehmungen, seine – Leclercs – Gegenzüge und die Erlasse und Dokumente, die zwischen Napoleon und dem Rebellenführer gewechselt worden waren. Jérôme bekam zum erstenmal Papiere in die Hand, die ihm das Maskenspiel, in dem er sich vergnüglich umzutreiben glaubte, als Aufgabe, als Verantwortung, als Arbeit, die einen reifen Mann verlangte, auswies.

      »Sie sehen, Bürger Jérôme«, sagte Leclerc, »welch großes Ansehen dieser Schwarze genießt, Sie verstehen, daß der Erste Konsul wünscht, ihn zu schonen und freundlich zu stimmen, und Sie ahnen wohl jetzt endlich« – seine Stimme wurde scharf –, »wie aufgebracht er sein wird, wenn er von Ihrem üblen Streich erfährt. Segeln Sie nach Paris und stiften Sie hier keine Unruhe mehr, das ist ein Befehl!«

      Es war nur die halbe Wahrheit, die Leclerc preisgegeben hatte, aber weder Pauline noch gar Jérôme durchschauten das.

      Nach den Kämpfen, die noch während des Briefwechsels der Anführer wieder ausbrachen, nach Toussaints bissigen Vorwürfen gegen Napoleon, dem er den eigenen ungesetzlichen Staatsstreich vorwarf, lag weder dem Generalgouverneur noch dem Ersten Konsul mehr allzuviel an Toussaints Schonung und Freundschaft. Schließlich erließ Leclerc einen Tagesbefehl, mit dem er die Aufständischen außerhalb des Gesetzes stellte.

      Obwohl der Partisanenkampf in dem mörderischen Klima, die Moskitos und der Durst die Franzosen furchtbar schwächten, hatte Leclerc die Festung Crête Pierrot erobert, sechshundert Schwarze gefangennehmen und erbarmungslos niedermachen lassen. Und eben jetzt, fast gleichzeitig mit der Verabschiedung des Schwagers, verlangte Leclerc die bedingungslose Unterwerfung Toussaints, seiner Unterführer und Vasallen und plante gleichzeitig die Überlistung und Gefangennahme des gefürchteten Feindes. Der harmlose »Kleine« sollte Leclercs freundliche Gesinnung bekannt machen und zugleich gemaßregelt und aus der bedrängten Kolonie entfernt werden.

      Toussaint, militärisch durch den Verrat seiner Verbündeten fast wehrlos, baute auf einen bösen Helfer: Er verzögerte durch Guerillakämpfe die Übergabe, versteckte sich und ließ hier und dort einen unübersichtlichen grausamen Buschkrieg auflodern; denn er hoffte auf die Regenzeit, die alljährlich das Gelbfieber brachte, die Seuchen, gegen die seine Schwarzen nahezu immun, die Franzosen aber kaum widerstandsfähig waren – es würde sie, schrieb er, »niederwalzen wie Gras«, vielleicht, wie schon einmal bei der ersten Eroberung vor Jahrhunderten die Spanier, zu Aufgabe und Verzicht zwingen …

      Jérôme schiffte sich auf der Cisalpin ein und landete am 11. April in Brest.

      Pauline hatte ihn – trotz allem – gerührt fortgewinkt, Leclerc war erleichtert, den unberechenbaren und letztlich unbrauchbaren Burschen loszusein, den er nicht maßregeln durfte.

      In Saint Domingue nahm die Hitze zu, in der brütenden Glut brachen fast täglich Tropengewitter und Regengüsse los, die wie Urweltkatastrophen niederstürzten, alles überschwemmten und wegrissen, was nicht fest verankert war, Felsen kahlfegten und Hütten mitspülten. Die Keller liefen voll, die Pferde standen bis an den Bauch im Wasser. Danach wurde es dann schnell kühler, aber nur für Viertelstunden. Die Hitze drückte bald wieder auf die Dächer, und auch im Gouverneursbau halfen die Springbrunnen nicht viel; Pauline lag den Tag über auf einem Diwan und ließ sich Luft zufächeln, man trug Wassersprenger mit duftenden Essenzen durch die Zimmer, die schwarzen Mädchen standen um Pauline herum und schwitzten; sie verlangte mehr und anderes Parfum und plagte Leclerc mit immer neuen Wünschen, die sie ihm melden ließ.

      Schließlich unterbrach er seine Arbeit und ging zu ihr hinüber. »Liebe, du mußt dich zufriedengeben«, sagte er matt, »wir haben gewußt, daß uns das Tropenklima drücken würde, mich quält es auch. Aber schau, es regnet ja schon. Und wenn ich das Fenster öffne, wie kühl es hereinweht – spürst du den Schauder, Pauline?«

      Sie sah ihn erstaunt an. »Ich spüre keinen Schauder, mein Freund!« Sie stöhnte weinerlich. »Ich spüre bloß die trockene Glut. Komm, setz dich zu mir und tröste mich!«

      Leclerc ließ sich auf den Rand des Lagers sinken. Er nahm ihre Hand, und sie zuckte zurück.

      »Du bist heiß – fast zu heiß!« murmelte sie und legte ihre Fingerspitzen auf seine Stirn, wo das dunkle Haar klebte. Er warf die Hände vor die Augen und ächzte: »Mir ist schlecht, Pauline, ich fürchte …«

      »Du hast Fieber, mon cher!« schrie sie ekstatisch und sprang auf. »Ein Arzt soll kommen, schnell!«

      Eines der schwarzen Mädchen lief kreischend hinaus, Leclerc fiel auf das Lager und krümmte sich wimmernd. Es war das Gelbfieber, das schon seit Tagen unter den Soldaten grassierte und das die Fliegen, die Moskitos eingeschleppt hatten. Man brachte ihn zu Bett.

      Der Kranke phantasierte, er schüttelte sich in Frost und Glut, sein helles Gesicht wurde fast braun. Der Arzt verbot Pauline, ihn zu besuchen, spülte und wusch, gab Fiebermittel und legte, nach indianischem Rezept, Blätter auf gegen das »schwarze Erbrechen«. Nach vier Tagen kam die gefürchtete Krise, der abgemagerte Körper bäumte sich in Krämpfen, der General ächzte, den Mund weit offen, zerrte am Laken und verlangte zu trinken, und endlich, in der fünften Nacht, starb er.

      Pauline war nicht bei ihm, sie lag weinend, aufgeregt wartend in einem bequemen Landhaus, das ihr Leclerc im Gebirge hatte bauen lassen, in der Mitte der Insel, dort, wo sich die Hügel, wie die Geographen schrieben, »wie Papier falteten«.

      Nach dem Tod des fähigen Mannes, nach den tausendfachen Toden seiner Soldaten, erwogen die französischen Führer, wie sie schnell, rücksichtslos, ohne sich noch mehr zu schwächen, den angeschlagenen Schwarzen und ihrem fähigsten Strategen ein Ende machen könnten. Am 7. Juni 1802 schrieb der General Brunet, Leclercs Nachfolger, an Toussaint Louverture:

      »Der Augenblick ist gekommen, Bürger General, wo Sie dem Oberkommandierenden unwiderleglich beweisen müssen, daß diejenigen, die ihm Zweifel an Ihrer Glaubwürdigkeit einzuflüstern versuchen, böswillige Verleumder sind. Wir haben … einige Fragen zu klären, die unmöglich brieflich zu regeln sind, für die jedoch eine kürzere Unterredung von einer Stunde ausreicht. Wenn ich nicht mit Arbeit und Geschäften überlastet wäre, käme ich zu Ihnen … Kommen Sie zu mir … Sie werden in meiner ländlichen Wohnung nicht alle Bequemlichkeiten

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