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oder Theater sehen wollte, hielt das der Vater für allzu kostspielig. Er pflegte nur eine Art von Familienstolz, Standestradition, und sah mit Kummer, daß sie nicht eigentlich schön war – niedlich, lieblich, knospenhaft und kindlich, aber zu rund, zu kurz geraten, mit dicken Beinen und einem molligen Unterkinn …

      Sie ritt am liebsten im Herbst, allein, in den Schloßanlagen, zwischen dicken Ahornstämmen, die gefleckt, grau-weiß gesprenkelt unter dem bunten Laub standen; wenn sie Galopp anschlug, raschelten die Hufe rhythmisch im wiegenden Trab durch die dürren Blätter. Sie saß gern im Damensattel, die Beine um das »Horn« gewinkelt, und lenkte das gut trainierte Tier mit ihrer Gerte, sanft, als habe sie kein Temperament. Man hatte ihr gesagt, Reiten tue ihrer Figur gut, die schon füllig wurde, und gäbe ihrem Gesicht frische Farben, den rundlichen Backen unter dem gekräuselten Haaransatz.

      Aber eigentlich Spaß machte ihr nur das Einverständnis mit dem geduldigen Tier, das willig auf sie einging und ihr nichts vorschrieb und nichts befahl.

      Sobald sie dann wieder in den Schloßhof einbog, präsentierten die Wachen, sie setzte sich gerade auf, und wenn sie dann die Treppe hinaufstieg, schlug sie die Schleppe im gelernten Schwung über den Arm.

      Einmal hatte sie die Reitschute schnell abgeworfen und den Sessel damit verfehlt, und die Hofdame war zugelaufen, um das Hütchen aufzuheben, als ihr Vater hereintrat, unverhofft, wie er das manchmal tat, entgegen der strengen Etikette, die er von anderen verlangte.

      Er hatte sie später zu sich kommen lassen und zornig angeschrien: »Das tut eine Prinzessin nicht! Man bleibt gemessen vor den Bedienten! Form und Ordnung sind das, was wir beherrschen und wodurch wir herrschen müssen. Was ungeregelt ist, muß draußen bleiben …«

      Katharina hatte fast geweint, nur die Angst vor einem neuen Tadel hatte sie davor bewahrt. »Das Ungeregelte« – sie spürte, daß es ihre Mutter getötet und den Vater aus Rußland getrieben hatte, daß die Furcht davor wie ein Krampf und Zwang sein Menschliches niederhielt, vielleicht seine schwerblütige, cholerische Natur verbogen und verzerrt hatte. Und auch, daß die englische Frau mit aller geistlosen Form ihm nicht helfen konnte.

      Rückblende

      Gegen Ende des Jahres 1803 hatte Jérôme Bonaparte die bildhübsche junge Elisabeth Patterson in Baltimore geheiratet, mit kirchlichem Segen von der Hand eines hohen geistlichen Würdenträgers.

      In Württemberg wurde nicht mehr davon geredet, seit Mathilde die romantische Geschichte mit mißbilligenden Zusätzen an Katharina weitergegeben hatte.

      Um so mehr in den Pariser Salons, denn die Affäre des wildverliebten, tollköpfigen Jungen, dem dazuhin der Ruf des waghalsigen Seehelden anhing, bewegte alle empfindsamen Gemüter, zumal eine Tragödie wie eine düstere Wolke über seinem Lockenkopf drohte: Der Zorn des großen Bruders war zu erwarten. Napoleon hatte auf die Ankündigung seines Besuchs hin depeschiert, daß er zwar bereit sei, seinen Bruder zu empfangen, ihn sogar, wenn er reuig und folgsam heimkomme, trotz seiner Eskapaden anzunehmen, nicht aber diese junge Person, »jene Mademoiselle Patterson, mit der er lebt«.

      Jérôme faßte einen typischen Entschluß: Diplomatische Winkelzüge lagen ihm nicht; er war sicher, den Bruder überrumpeln zu können, denn Elisabeths Schönheit, ihr Takt, ihre Intelligenz, ihr Charme würden, so verkündete er, »das Herz des Ersten Konsuls im Sturm erobern«.

      Also sollte Elisabeth ohne Kenntnis der zahlreichen Agenten, die Napoleon in Baltimore verteilen ließ, nach Frankreich gebracht werden. Jérôme mietete eine Brigg, ging im Herbst 1804 in Baltimore an Bord und nahm seine Frau, ihre Tante und ein nicht eben dürftiges Gefolge mit, außerdem eine Summe von 3 000 Dollar samt reichlicher Bagage. Die Brigg segelte bei gutem Wind den Fluß abwärts, und alles ließ sich recht hoffnungsvoll an, doch als man das offene Meer erreichte, nahm der Seegang zu, die junge Frau fühlte sich übel, Jérôme ängstigte sich um sie und das vielleicht erwartete Kind und befahl dem Schiffsführer, vor Anker zu gehen.

      Anderntags, als man wieder »in See stechen« wollte, wie Jérôme das fachmännisch nannte, hatte der Wind umgeschlagen, und die Flut ging bedenklich hoch. Der Kapitän murrte: In einer halben Stunde hätte man Cap Henlopen erreichen können, wenn man gleich weitergesegelt wäre, aber durch den Aufenthalt sei man jetzt in das wüsteste Unwetter geraten, das in dieser Gegend möglich sei …

      Die Nacht wurde dann auch fürchterlich, das Schiff schlug gegen ein Riff, das in der Dunkelheit nicht zu erkennen gewesen war, der Sturm brüllte, tobte, als wären alle Höllenmächte losgelassen, Jérôme hielt sich tapfer, aber das Elend der seekranken Frau, das Gewimmer der Tante, die ihm Vorwürfe machte, das Fluchen der Matrosen und die Erbitterung des gemaßregelten Kapitäns, der sich dem jungen »Milchbart« überlegen fühlte, machten auch Jérôme schließlich heiß. Im tiefsten Herzensgrund war er bei aller Forschheit unselbständig und froh, wenn ein übermächtiger Wille ihm seinen Weg aufzwang.

      Endlich versuchte der Kapitän zu wenden, von dem gefährlichen Klippenufer wegzukommen. Er wollte wenigstens ankern, damit seine Brigg dem rasenden Seegang nicht ganz wehrlos ausgeliefert wäre, aber es schmetterte so wütend, daß jeder Versuch fehlschlug.

      Schließlich mußte man das Schiff auf Strand setzen, peitschende Brecher fegten über das leergespülte Deck, die Matrosen klammerten sich an Rahen und Segelfetzen fest, Jérôme verlor nun doch den Mut, und sah die einzige Rettung im Flüchten aus dem angeschlagenen Wrack. – Man legte Planken aus, der Steven lag festgerammt über einer Felsnase, Elisabeth wurde halb ohnmächtig hinübergetragen, Jérôme, die Tante, die Dienerschaft kletterten und krochen, kaum bekleidet, ans Ufer, klatschnaß, schlotternd vor Kälte und Aufregung.

      Anderntags versuchte man die Fracht zu retten, aber das meiste war über Bord geschwemmt worden. Jérôme forschte verzweifelt nach seiner Barschaft, die ihm den Anfang in der Heimat ermöglichen sollte, aber seine Dollars waren verschwunden, weggespült – eher gestohlen …

      Ein paar von den frisch angeheuerten Matrosen fehlten, zu allem Unstern verlangte der Schiffseigner noch den vollen Preis seiner ruinierten Brigg, da Jérôme, um die heimliche Flucht nicht zu verraten, keine Versicherung abgeschlossen hatte.

      Man kam deprimiert nach Baltimore zurück; wenig später machte Jérôme einen zweiten Versuch, immer in der Hoffnung, daß die Agenten Fouchés, die Napoleon auf ihn angesetzt hatte, nichts davon ahnten. Aber diesmal erschienen englische Kreuzer unheildrohend nah, und da der Vertrag von Amiens bereits gebrochen und nichtig war, zwangen sie den Kapitän zur Rückkehr; auch ein dritter Versuch scheiterte, und Elisabeth bewunderte die »treue Ausdauer ihres liebenden Gemahls«.

      Napoleon, ohne die »Person« auch nur anzusehen, die ihn vielleicht bezaubert hätte, ohne den »Kleinen« mit seiner vertrauten jungenhaften Keßheit anzuhören, verdammte und verwarf Jérôme, anscheinend in alle Ewigkeit.

      Nicht bloß der naive und seiner Wirkung sonst so sichere Jérôme, auch andere, die den Herrscher kannten, verstanden diese Unerbittlichkeit nicht: Er hatte doch auch die nichtadeligen Gatten seiner Schwestern erhoben; er verteilte Fürstentümer und Würden an alle, die ihm irgendwie verbunden waren …

      Nur von Jérôme verlangte er den Verzicht auf seine Frau und die Bereitschaft zu einer hochfürstlichen, seinem, Napoleons, Aufstieg förderlichen Verbindung.

      Vielleicht hatten die übrigen Geschwister, die sich ihm oft genug widersetzten, seine Geduld erschöpft; vielleicht hatte er gerade auf die Weichheit und Bildsamkeit dieses – zärtlich verwöhnten – Jüngsten gerechnet, vielleicht fühlte er auch, daß dieser Bruder im Grunde genommen nicht so ungern nachgeben und sich mit Märtyrergeste dem von fern winkenden fürstlichen Glanz zuneigen würde? Trotzdem blieb seine drakonische Härte seltsam; es war etwas darin wie der Zorn des enttäuschten Vaters, die Erbitterung des gescheiterten Erziehers: Hatte sich Jérôme nicht eine unverkennbare, nicht zu vertuschende Desertion geleistet, als er sein Schiff bei Guadeloupe verließ und gegen den Befehl des Admirals in Amerika herumschwirrte, allen Warnungen zum Trotz? Hatte er nicht ungeachtet aller Verweise Napoleons immense Schulden gemacht und mit dem Namen, der ein großer werden sollte, Schindluder getrieben und ihn zu allen möglichen Gaunereien benutzt?

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