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Augen weit auf. »Ich war einer Dame verpflichtet, ritterlich und ehrenhalber, und …«

      Wieder das tobende Gelächter.

      »Und du konntest dich nicht billiger revanchieren?«

      »Billiger? Meint ihr mit Geld, ihr gamins?« Er stieß auf den Sprecher zu wie ein wütender Vogel. »Das war eine Dame! Und mein Rivale …«

      »Dann hättest du dich natürlich duellieren müssen, Freund …«

      Jérôme sprang auf den anderen zu. »Hast du etwa schon ein Duell hinter dir?« Er packte ihn am Latz. Er war blaß geworden, griff ins Jabot und riß es auf. »Hier – hier im Brustbein steckt die Kugel, und wenn ich zum Ruhme Frankreichs falle, wird man sie finden – bei meiner Autopsie …« Er warf die Spitzen seines Seidenhemdes wieder übereinander, atmete laut hörbar, stand da, den Oberkörper anmutig gedreht und darauf bedacht, eine gute Figur zu machen.

      »Erzähl, erzähl!« schrien jetzt die jungen Leute. Einige von ihnen kannten das Histörchen schon, aber Jérômes Drang nach Bewunderung war so zwingend, daß man ihm gern den Gefallen tat, noch einmal zuzuhören. Er selber war froh, daß er von dem fatalen Brief ablenken konnte, von dem er in der Aufregung zuviel vorgelesen hatte …

      Man rückte näher heran, er im Mittelpunkt, hochaufgereckt vor den erhobenen neugierigen Gesichtern, hinter denen die Bedienten und die braunen Mädchen in der rauchigen Dämmerung sich drängten.

      Das war die Atmosphäre, die Jérôme brauchte.

      »Was ist das wieder für ein tolles Abenteuer?«

      »Ach, nichts weiter: es ging um eine Dame.«

      »Und der andere? Hast du ihn getötet? Sag schnell!«

      »Davout hat mich beleidigt, eine hinterhältige Intrige versucht – wir schlugen uns mit Pistolen bis zur Kampfunfähigkeit!«

      »Und da du umfielst …?«

      »Ja, gewiß, man hielt mich für tot, auch der Arzt sah kein Leben mehr in meinem Körper. Davout war tief erschüttert, aber dann, ich weiß nicht wie, muß ich mich bewegt haben, ihr kennt ja die Weissagung, daß kein Bonaparte durch eine Kugel fällt.« Er sah sich um. »Meinen Vater haben sie auf das Blutgerüst geschleppt …«

      Man schwieg und schaute ihn an, aber Jérôme vertrug keine bedrückende Stimmung. »Die Dame«, sagte er pathetisch, »fuhr danach an den Kampfplatz und ließ sich den Stein zeigen, der von meinem Blut gezeichnet war, im Wald von Vincenne.«

      »Warst du denn in Paris damals?« wollte einer wissen.

      »Ich gehörte zur Leibgarde, neben Eugène de Beauharnais übrigens, der brav seinen Dienst tat, braver als ich, wie ihr euch vielleicht denken könnt.«

      »Du bist ja auch der Bruder des Ersten Konsuls!« tönte es, und Jérôme war nicht ganz sicher, ob das nicht ironisch klang; aber er nahm solche Nuancen nicht ernst, wenn sie ihm nicht paßten. Freilich, der Name des großen Bruders trieb ihm jetzt das Blut in den Kopf, der Brief, die Schulden – und mit Napoleone war nicht so leicht fertig zu werden wie mit den gutwilligen und leicht bezauberten Kameraden.

      Im Wirtshaus von Port-au-Prince endete der Abend wie jedesmal mit einem ausgelassenen Gelage, Mestizinnen und Kreolenmädchen, die sich sonst stolz zurückhielten, wurden johlend herbeigeholt, man schäkerte und tanzte, torkelte und schlich in die dunkleren Ecken und hinaus in die dampfende Tropennacht.

      Jérôme Bonaparte, der Sohn der asketischen Madame Letizia, rasselte im Wagen eines Kameraden ins Quartier zurück, summend und pfeifend, zwei braune Mädchen im Arm. Den Mantel hatte er liegenlassen; anderntags verschlief er, wie ein paarmal schon, den Dienstantritt auf seinem Übungsschiff, aber da wurde die Meldung an den Admiral direkt weitergeleitet und dort »vergessen«.

      Den kostbaren Samtumhang brachte ein übereifriger Mulatte aus dem Wirtshaus zum Kommandeur, dem General Leclerc, von dem man wußte, daß er Jérômes Schwager war. Seine Frau, die hübsche, leichtfertige Pauline, war mit ihm in die Tropen gereist. Leclerc wohnte in einem palmenumstandenen weißen Gebäude, das man eigens als Präsidentenpalais aufgebaut und für ihn hergerichtet hatte. Unter dem Säulenportikus standen Wachen in farbigen Uniformen, im Eingang Palmen in großen Kübeln, als wäre es mit denen draußen nicht genug, und ein Springbrunnen schoß seinen dünnen Strahl in ein glitzerndes Becken. Das alles war nicht eigentlich nach Leclercs Geschmack, aber die zum Überschwang neigende Pauline liebte solche Zurschaustellung ihrer wichtigen Position.

      Ein gelblivrierter Soldat öffnete dem Kellner, der Jérômes Mantel offen auf dem Arm trug; er fragte, wie er die Wachen passiert habe, und erfuhr, man kenne ihn hierzuland. Als dann der Mulatte endlich vor Leclerc stand, machte der Kommandant ein düsteres Gesicht. Er war ein gutaussehender hagerer Mann; schwarze Bartkoteletten ließen sein gelbliches Gesicht noch schmaler erscheinen. Er trug die betreßte Uniform mit freier, natürlicher Würde und winkte dem Türsteher, dabeizusein, während er den Kellner ausfragte.

      Der Mann dienerte, während er das schwere dunkelrote Gewand vor sich hinhielt wie ein Tablett. Leclerc mußte lächeln – zum Lachen war ihm nicht zumut, denn er durchschaute schnell den Zusammenhang. Als er dann hörte, wo Jérôme sein prunkvolles Stück verloren und wie er darunter gekleidet gewesen war, sprang er verärgert auf. Das sei doch nicht die Uniform eines Marinefähnrichs, schrie er den Boten an, und ob er sich nicht täusche, daß dieses da der Fähnrich zur See Bonaparte getragen habe?

      Und schließlich ließ er sich, penibel wie er war, die farbigen Bilderlisten bringen, auf denen ein Malergeselle die vorgeschriebenen Uniformen »bis auf den Knopf genau«, wie die Vorschrift hieß, abgeschildert hatte, rote mit blauen Tressen und weißen Hosen, und grüne und schwarze, verschnürte und geschlitzte, und ausgeschnittene Stiefel und Schuhe. Er erhitzte sich bei dem Anblick; denn der Erste Konsul selber hatte diese und jene Uniform für die Kolonien genehmigt, da es wichtig sei, la grande nation dort würdig zu vertreten.

      Er ließ Pauline rufen, und sie kam nach einer Weile, mit wehendem Seidenschal, die dunklen Locken ins Gesicht gekämmt, und hörte sich die Reden ihres empörten Gemahls an. »Aber, mon cher! Wieviel Firlefanz trägt man zur Schau! Und wenn der Kleine sich in seinem kindischen Spiel gefällt, als Berchinyhusar, was schadet das? Er hat vermutlich bezaubernd darin ausgesehen, denn er ist der hübscheste von meinen Brüdern, Lucien ist zu düster, Louis zu fade, und Giuseppe ist ein Kahlkopf.«

      Leclerc hörte gar nicht zu. »Es ist Vorschrift, und er hat ein Muster zu sein als Offizier. Wenn ich ihm eine Nachlässigkeit erlaube, kommt bald jeder als Zieraffe daher, als Indianer, als Mulatte …«

      Pauline sagte nichts mehr, sie nahm den Fächer vors Gesicht und kicherte heimlich.

      Leclerc nahm Bagatellen ernst, er hielt sich beharrlich an die Formen, die den Dienst hier ausmachten, da der große Atem fehlte, die echte Gefahr, jetzt, wo das Land unterworfen war. Sein starres spitzes Gesicht verkrampfte sich, während er die Uniformbilder eins ums andere beiseite tat.

      Jérôme wurde zitiert, er nannte es freilich vor den Kameraden eine Einladung, und Pauline hatte Likör und Gebäck auftragen lassen.

      Leclerc saß, vertieft in irgendein Schriftstück, an seinem Schreibtisch. Pauline lächelte gequält, erhob sich, was sie sonst nie tat, wenn ein Mann gemeldet wurde, und schwebte mit wogenden Gazeschleiern dem »Kleinen« entgegen. Jérôme stand etwas verlegen, mit trotzigem Gesicht, auf dem Rand des riesigen roten Perserteppichs, der die Tür vom Schreibtisch trennte. Pauline erwartete jeden Augenblick einen Ausbruch, einen frechen, taktlosen, nie wieder zu glättenden Ausbruch, und sah ihn flehend an. Schließlich trat sie von hinten an Leclerc heran und legte die Hand auf seine Schulter. Er zuckte zusammen und sah sich um, so schnell, daß die Goldschnüre an seinen Epauletten wirbelten. »Ma chérie!« Aber er drehte dann doch endlich den Sessel in Jérômes Richtung, der zuerst rot und dann bleich geworden war und sich sichtlich kaum mehr beherrschen konnte.

      »Sie haben mich rufen lassen, monsieur mon beau-frère«, sagte er halblaut mit schwankender Stimme und tat einen Schritt vorwärts: er war im Gesellschaftsanzug,

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