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erwacht und begrüßten den Tag auf ihre Weise.

      »Du mußt dich um sie kümmern!« sagte er und hoffte, der Auseinandersetzung dadurch ein Ende zu machen.

      Aber diesmal ging sie nicht darauf ein. »Wenn es so ist«, erklärte sie, »fahren Karla und ich eben allein. Viel Spaß in der heißen, schmutzigen Stadt! Viel Spaß auch mit deinen Schwiegereltern, und hoffentlich findest du gelegentlich Zeit, dich um deine Söhne zu kümmern!«

      Ohne ihm Gelegenheit für einen Einspruch zu geben, ließ sie ihn stehen.

      Am Abend vor der Abreise von Mutter und Tochter gab es ein kleines Fest.

      Renates Eltern waren eingetroffen und hatten eine Schweinskopfsülze mitgebracht, eine Spezialität des alten Herrn, die er selber zuzubereiten pflegte. Renate hatte einen Topf Pellkartoffeln vorgekocht, so daß es Sülze und Bratkartoffeln gab, wozu reichlich kühles Bier getrunken wurde. Auch Dr. Liebknecht war eingeladen.

      Der junge Arzt nahm es hin, daß er Dr. Malthaus nun nicht vertreten, sondern nur entlasten sollte. Auch Renates Eltern zeigten sich nicht verwundert, daß Karl seine Frau und seine Tochter allein verreisen lassen wollte. Zwar sprachen sie, als sie allein waren, miteinander darüber und stellten sich Fragen. Aber sie gehörten zu den seltenen Menschen, die sich grundsätzlich nicht in die Angelegenheit ihrer Kinder mischen. So verlief der Abend ohne Mißklang.

      Karl hatte vermutet, daß Renate ihn noch einmal bitten würde, sie doch nach Sylt zu begleiten, und er hatte sich schon eine Reihe von Gegenargumenten zurechtgelegt. Aber sie berührte das Thema nicht wieder.

      Am nächsten Nachmittag nahm er sich dann die Zeit, sie zum Bahnhof zu bringen. Renate und Karla wollten mit dem Zug nach Düsseldorf, um von dort den Flug um 17 Uhr 50 nach Hamburg zu nehmen, um dort zu übernachten. Karla winkte lange mit einem weißen Taschentuch aus dem Fenster, und als der Zug dann aus seinem Blickfeld rollte, gab es ihm doch einen Stich. Er fühlte sich allein gelassen und hatte Mühe sich klarzumachen, daß er es ja selber so gewollt hatte. Er war endlich frei, redete er sich ein, wenigstens für die nächsten Wochen. Jetzt konnte er Anja aufsuchen, sooft er wollte, konnte die kurze Zeit, die ihnen noch blieb, ungetrübt genießen.

      Als er ihr dann in ihrem hellen Zimmer gegenüberstand, war der leichte Anflug von Reue schon vergessen. Ihm war, als hätte er die Insel der Seligen betreten.

      Während sie ihm zur Untersuchung nach nebenan voraus ging, klingelte es an der Wohnungstür. Das war in seiner Anwesenheit noch nie geschehen, und beide verhielten unwillkürlich den Schritt. Sie hörten einen kurzen Wortwechsel.

      Dann steckte die Schwester den Kopf herein. »Es ist nur der Kleine von Trölschs«, erklärte sie, »seine Mutter hat ihn vorbeigebracht, damit ich auf ihn aufpasse.«

      Auf Anjas Stirn bildete sich eine steile Falte. »Du weißt, ich vertrage keinen Lärm.«

      »Er ist ein so ruhiges Kind.«

      »Trotzdem…«

      »Seine Mutter muß auch mal zum Friseur!« Damit brach die Schwester die Diskussion ab und zog die Tür mit einem leichten Knall hinter sich ins Schloß.

      Eine ähnliche Szene hatte es noch nie gegeben.

      Anja wandte sich Karl zu, ihre Stirn hatte sich geglättet, und mit ihrem bezaubernd sanften Lächeln sagte sie: »Es tut mir so leid! Meine Schwester ist sehr gereizt in letzter Zeit. Ich wünschte nur, daß ich bald wieder ganz gesund wäre.«

      Während er sie untersuchte, das Herz und die Lungen abhörte und ihren Blutdruck maß – Dinge, die, wie er wußte, im Grunde ganz unnötig waren –, dachte er über den kleinen Trölsch nach. Seine Mutter war mit ihm in seiner Praxis gewesen. Der Junge war klein für sein Alter, aber ganz gesund und auch sehr verständig. Aber er sprach nicht. Dr. Malthaus hatte ihn an einen Facharzt für Hals-Nasen-Ohren überwiesen, der, genau wie er selber, keinen krankhaften Befund hatte feststellen können. Es war, als würde der Kleine die Sprache bewußt verweigern. Wahrscheinlich hatte er schon einmal einen Versuch gemacht zu sprechen und war ausgelacht worden. Jetzt wollte er den Mund nicht mehr aufmachen, um sich nicht zu blamieren.

      So war Karl denn auch, als sie den Jungen wenig später auf der Fensterbank mitten im japanischen Garten sitzend vorfanden, nicht von dem überrascht, was er tat, sondern daß er sang. Er sang zwar nur leise vor sich hin, aber gut artikuliert und deutlich: »Von den blauen Bergen kommen wir … von den Bergen gar nicht weit von hier … sinken jaja-jippi-jippi-jaja…« Dabei ließ er ein Stück Papier, das wohl ein Boot darstellen sollte, auf dem Bächlein schwimmen, an dessen Ufer er diesseits Indianer und jenseits Cowboys aus Plastik aufgestellt hatte.

      Karl wollte lachen, aber er kam nicht dazu.

      Wie eine Furie stürzte die sanfte Anja sich auf den Jungen und riß ihn von der Fensterbank. »Du garstiger Bengel!« fauchte sie. »Wie kannst du es wagen?« und – klatsch – gab sie ihm eine schallende Ohrfeige.

      Der Junge, zu überrascht, um zu weinen, starrte sie nur aus weit aufgerissenen Augen an und dann, ehe Karl eingreifen konnte, trat er Anja mit der ganzen Kraft seiner fünf Jahre gegen das Schienbein.

      Sie schrie auf. »Herr Doktor, haben Sie das gesehen? Haben Sie so etwas schon erlebt?«

      Er mußte lachen, ob er wollte oder nicht, er brach in ein mächtiges, befreiendes Gelächter aus und nahm den Kleinen, immer noch lachend, auf den Arm. »Genug gerauft! Wir sind ja nicht bei den Cowboys!«

      Der Junge, der sich getröstet und beschützt fühlte, wagte ein kleines Grinsen.

      »Irene«, schrie Anja in den Flur hinaus, »Irene, wie konntest du nur! Sieh mal an, was dieser Rotzbengel angestellt hat!«

      Die Schwester kam und murmelte Entschuldigungen.

      »Ich wußte ja gar nicht, daß du so wunderschön singen kannst!« sagte Karl zu dem Jungen.

      Dessen Grinsen wurde breiter.

      »Ich weiß, wer du bist«, fuhr Karl fort, »der kleine Trölsch. Du kennst mich doch auch. Wer bin ich?«

      »Der Doktor Malthaus!« sagte der Kleine mit fester Stimme.

      »Und wie heißt du?«

      »Hans-Georg.«

      »Am liebsten würde ich dich jetzt küssen! Aber dazu bist du wohl schon zu groß.« Er setzte den Jungen zu Boden. »So, jetzt entschuldigst du dich bei Frau Miller und nimmst deine Figuren aus dem japanischen Garten.«

      »Nein, danke«, sagte Anja, »das mache ich schon selber! Er rührt mir hier nichts mehr an.« Sie hatte damit begonnen aufzuräumen.

      Er schob den Jungen Anjas Schwester zu. »Bitte, passen Sie auf ihn auf! Am besten gehen Sie ein Stück mit ihm spazieren. Auf Wiedersehen!«

      Anja richtete sich auf. »Sie wollen doch nicht schon gehen?«

      »Ich muß«, log er mit freundlichem Lächeln, »leider.«

      Tatsächlich konnte er gar nicht eilig genug fortkommen.

      Zu Hause fand er seine Schwiegereltern im Garten. Renates Mutter beaufsichtigte Jockel und Hinkel im Sandkasten, die sich aber, als sie ihn kommen sahen, sofort mit Gebrüll auf ihn stürzten und sich mit ihren vom Sand verklebten Händchen an seine Hosenbeine klammerten.

      »Nicht so wild, ihr beiden!« Er nahm sie lächelnd einen nach dem anderen hoch und küßte sie beide. »Kannst du mir einen Gefallen tun, Vater? Bitte, bring mich mit dem Wagen zum Flughafen Lohausen.«

      Der alte Herr stützte sich auf den Stiel der Schaufel, mit der er hantiert hatte, und sagte gelassen: »Du hast’s dir also anders überlegt?«

      »Ja. Ich werde nur noch ein paar Klamotten in den Koffer packen und Dr. Liebknecht Bescheid geben, dann können wir los. Vielleicht schaffen wir es noch.«

      »Wenn du nur willst«, sagte der alte Herr, »schaffst du es bestimmt. Es geht fast jede Stunde eine Maschine nach Hamburg.«

      Конец

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