ТОП просматриваемых книг сайта:
Der japanische Garten. Marie Louise Fischer
Читать онлайн.Название Der japanische Garten
Год выпуска 0
isbn 9788711718537
Автор произведения Marie Louise Fischer
Жанр Документальная литература
Издательство Bookwire
»Sie sollten die Gelegenheit wahrnehmen, sie auszufragen. Sie wird doch über Ihre Kindheit Bescheid wissen. Über Ereignisse, an die Sie selber sich nicht mehr erinnern.«
»Wozu?«
»Herzanfälle, wie Sie sie durchgemacht haben, sind fast immer auf etwas zurückzuführen, was man in frühester Kindheit erlebt hat«, sagte er behutsam.
»Es sind ganz echte körperliche Schmerzen!«
»Ja, ich weiß, aber ihre Ursache…«
»Was würde es nützen, in Kindheitserlebnissen herumzuwühlen? Davon werde ich nicht gesund. Im übrigen weiß ich, daß meine Mutter gestorben ist, als ich gerade erst ein Jahr alt war.«
»Aber Sie können sich nicht erinnern?«
»Nein. Und ich will es auch gar nicht.«
»Es könnte Ihnen helfen.«
»Nein. Nur Sie können mir helfen. Wenn Sie mich nicht im Stich lassen. Schicken Sie mich nie wieder in die Klinik zu diesen schrecklichen Ärzten, die einen behandeln wie…«
»Bitte, regen Sie sich nicht auf, Anja! Natürlich müssen Sie nicht noch einmal ins Krankenhaus.«
»Dann wird alles gut«, sagte sie mit einem tiefen Seufzer.
Er nahm sein Glas und trank einen Schluck. Aber es gelang ihm nicht wie sonst sich zu entspannen. Er dachte, daß sie sehr unvernünftig wäre. Natürlich konnte man sie mit Sedativen in gewissem Maß vor weiteren Herzanfällen bewahren. Aber alle Beruhigungsmittel brachten die Gefahr einer Gewöhnung mit sich. Es wäre sehr viel besser gewesen, auf den Grund ihrer Kindheit zurückzukehren. Aber er war kein Psychologe und schon gar kein Psychiater. Er hätte ihr dabei nicht helfen können, selbst wenn sie es gewollt hätte. Doch gegen ihren ausgesprochenen Widerstand war schon gar nichts zu machen.
Er blickte sie an, wie sie da saß, die Hände ganz locker im Schoß, die tiefdunklen Augen auf den japanischen Garten gerichtet, in dem die Bäume im warmen Schein der Nachmittagssonne geheimnisvolle Schatten warfen. Tiefes Mitleid erfaßte ihn. Sie war ja noch das kleine Mädchen, das von einem Tag zum anderen mutterlos geworden war. Wahrscheinlich saß der Schock so tief, daß sie sich verzweifelt wehrte, auch nur daran zu rühren.
»Haben Sie noch Medikamente?« fragte er, als er sich verabschiedete.
»Ich habe noch genug«, entgegnete sie lächelnd, »bis übermorgen!«
Es wurde alles wie früher zwischen ihnen. Einen über den anderen Tag suchte er sie auf, und sie hatten ihre › stille Stunde‹, wie er es bei sich nannte. Er hatte das Gefühl, ihr sehr viel näher gekommen zu sein.
Manchmal erfaßte ihn panische Angst, daß dies zu Ende gehen würde. Die Schwester machte keine Anstalten mehr abzureisen. Aber es war klar, daß sie nicht ewig würde bleiben können. Er überlegte schon, ob Anja sich eine Pflegerin würde leisten können oder leisten wollen. Aber er gab sich zu, daß sie kein wirklicher Pflegefall war. Wäre sie nicht so gewesen, wie sie war, und hätte er nicht diese seltsame und tiefe Beziehung zu ihr gehabt, hätte er ihr einen Aufenthalt in einem Sanatorium verordnet. Eine psychotherapeutische Behandlung hätte ihr bestimmt gutgetan. Aber er schlug es ihr gar nicht erst vor, denn er wußte, sie würde sich nicht von ihrem hellen Zimmer und dem japanischen Garten trennen können.
Der Tag seiner eigenen Abreise in die Ferien kam immer näher, und eines Tages sagte er es ihr. Es kostete ihn Überwindung, aber er mußte es tun.
Sie reagierte gelassen, nur ihre Augen schienen noch einen Ton dunkler zu werden. »Dann wünsche ich Ihnen gute Erholung«, sagte sie mit einem traurigen Lächeln.
»Natürlich werde ich Sie meinem Vertreter ans Herz legen. Er ist ein sehr liebenswürdiger und gewissenhaftem junger Mann. Er wird Ihnen gefallen.«
Sie schüttelte nur den Kopf, sagte aber nichts dazu.
Als er sie verließ, war es ihm, als wäre ihm eine Last von den Schultern genommen. Er hatte es hinter sich gebracht. Das war das Ende.
Aber in der Nacht wachte er auf. Er hatte einen Alptraum gehabt, an den er sich nicht mehr erinnern konnte. Aber er hatte etwas mit Anja zu tun gehabt. Es war ihm, als wäre sie in dunklen Wasserwirbeln vor ihm versunken, die bleichen Arme hilfesuchend nach ihm ausgestreckt, ohne daß er sie hätte erreichen können.
Schweißgebadet mußte er gegen den Impuls ankämpfen, in ihrer Wohnung anzurufen. Aber um vier Uhr morgens war das nicht gut möglich. Er fand keinen Schlaf mehr und erhob sich noch vor Morgengrauen. Um sieben Uhr telefonierte er.
Die Schwester bestätigte ihm, daß Anja einen Anfall gehabt hatte. »Nicht so schwer wie der letzte«, sagte sie, »sie hat mir verboten, Sie zu benachrichtigen. Jetzt schläft sie.«
»Ich komme heute nachmittag vorbei.«
Er stand noch, mit dem Hörer in der Hand, als Renate in sein Arbeitszimmer kam. Sie trug ein blau-weiß kariertes Baumwollkleid und sah so blühend gesund aus, daß es ihn anwiderte.
»Nanu«, sagte sie vergnügt, »schon auf? Dann kannst du mir helfen, die Koffer zu holen.«
»Renate«, erklärte er mit plötzlichem Entschluß, »wir können nicht verreisen.«
Für eine Sekunde verschlug es ihr die Sprache. »Das ist nicht dein Ernst!« rief sie dann.
»Doch, Renate.«
»Aber es ist doch schon alles geregelt! Die Eltern sind so gut wie unterwegs, dein Stellvertreter hat zugesagt…« Ihr kam ein Gedanke. »Oder hat Doktor Liebknecht etwa abgesagt?«
»Nein. Aber ich habe … gerade in letzter Zeit, das war nicht vorauszusehen … einige schwere Fälle, die ich dem jungen Mann nicht anvertrauen kann.«
»Ich bitte dich, Karl! Er ist fix und fertiger Arzt! Er hat einige Jahre Klinikerfahrung!«
»Das ist etwas anderes«, sagte er stur.
»Du kannst also deine Patienten nicht im Stich lassen?« In ihren Augen funkelte es. »Obwohl du weißt, daß sie ärztlich bestens versorgt sind? Und obwohl Doktor Liebknecht durchaus fähig ist, sie notfalls an Fachärzte oder in eine Klinik zu überweisen?«
»So ist es. Du erreichst nichts damit, wenn du mir eine Szene machst.«
»Mich aber kannst du ohne weiteres im Stich lassen? Mich zu enttäuschen macht dir nichts aus!«
»Du bist ja gesund. Und wie ich deine Eltern kenne, werden sie dir gern im Haus und im Garten helfen. Das wird eine Entlastung für dich sein.«
Sie lachte böse. »So hast du dir das also vorgestellt? Zur Abwechslung soll ich mal für sieben statt für fünf Personen sorgen? Vergiß nicht, daß ich hier die Hausfrau bin und mir auf alle Fälle das größte Stück Arbeit zufallen würde!«
»Ich habe mir gedacht, es wäre nett für dich, wieder einmal mit deinen Eltern zusammen zu sein.«
»Mein lieber Karl, als ich dich heiratete, habe ich meine Eltern bewußt verlassen. Ich habe sie lieb, ja, und ich verstehe mich mit ihnen. Aber sie gehören nur noch ganz am Rande zu meinem Leben. Wir leben in verschiedenen Welten.«
»Dann wäre es ein natürlicher Wunsch ihnen wieder näherzukommen.«
»Karl, ich will mich nicht in meine Jugendzeit zurückflüchten! Ich bin eine erwachsene Frau, und ich will eine Ehe führen … meine Ehe mit dir! Und mit der hat es in letzter Zeit verdammt noch mal gar nicht gut gestanden.«
»Du hast einen Arzt geheiratet.«
»Einen Arzt, dem seine Patienten wichtiger sind als seine Ehe? Muß ich also erst krank werden, damit du dich um mich kümmerst?«
»Bitte, Renate, versuch doch zu verstehen. Es tut mir ja selber leid. Aber ich weiß, daß ich mich nicht erholen könnte, solange mich diese Sorgen plagen. Ich