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als Karla schon nach oben gegangen war, saß Renate allein am Küchentisch und dachte nach.

      Ja, es stimmte, was die Kleine gesagt hatte: Karl hatte sich verändert. Jetzt wurde ihr bewußt, daß sie es selber auch bemerkt hatte. Nur hatte sie es nicht wahrhaben wollen. Was war mit ihm geschehen?

      Ihr schoß der Verdacht durch den Kopf, daß er eine Geliebte haben könnte. Aber sie verwarf diesen Gedanken sogleich wieder. Sie kannte ihn zu gut. Nicht, daß sie ausschloß, daß er sich für eine andere Frau interessieren könnte. Er war ein Mann, der seine besten Jahre noch nicht erreicht hatte. Aber wenn er sie tatsächlich betröge, würde er ein schlechtes Gewissen dabei haben. Er würde doppelt herzlich zu ihr und den Kindern sein.

      Sie konnte sich nicht mehr entsinnen, wann ihr seine Veränderung zuerst aufgefallen war. Die Wandlung hatte sich unmerklich vollzogen. Lag es daran, daß er sie nicht mehr liebte? Renate war klug genug zu wissen, daß Gefühle nicht stabil sind. Aber es war doch mehr, was sie verband, als nur die Liebe. Es war ihre Ehe, die Kinder, das gemeinsame Leben. Selbst wenn er ihrer überdrüssig war, würde er versuchen, es vor ihr zu verbergen.

      Wahrscheinlich, dachte sie, lag es an ihr. Sie mußte etwas falsch gemacht haben. Aber was? Ihr Haushalt war nicht sehr ordentlich, das gab sie sich zu. Aber wie wäre das mit den wilden Zwillingen möglich gewesen? Sie gab sich doch jede Mühe, das Haus sauberzuhalten, Jockel und Hinkel zu bändigen und dazu noch ein gutes Essen auf den Tisch zu setzen. Wenn sie nur an die Stöße von Wäsche dachte, die unzähligen Hemden und Hemdchen und Blusen, die sie Woche für Woche waschen und bügeln mußte, empfand sie, daß sie mehr nicht schaffen konnte. Dazu kam noch der Garten hinter dem Haus, der zwar nicht groß war, aber dennoch Zeit und Arbeit kostete.

      Nein, sie tat, was sie konnte, und manchmal hatte sie sogar das Gefühl, daß es über ihre Kräfte ging. Dennoch hatte sie ihren Mann nicht mit Klagen geplagt, weil sie wußte, daß sich nichts ändern ließ. Es war ihr Leben, sie mußte da durch, und wenn die Zwillinge erst älter und vernünftiger wurden, würde alles von selber besser werden.

      Renate gestand sich, daß sie oft abends zu abgespannt war, um noch Lust auf Liebe zu haben. Aber bisher schien ihn das nie gestört zu haben. Die Leidenschaft der ersten Jahre war ja längst vorbei, unmerklich vergangen. Sie hatte sie nie vermißt. Das starke Gefühl zueinander zu gehören, war ihr wichtiger. Aber ein Mann empfand das womöglich anders, vielleicht als einen schmerzlichen Verlust.

      Doch wenn er so dachte, dann irrte er sich. Sie begehrte ihn ja immer noch, wenn sie nicht gerade allzu müde war.

      Plötzlich wurde ihr bewußt, daß nicht sie, sondern er es gewesen war, der sich mehr und mehr zurückgezogen hatte. Ihr Fehler war es, so dachte sie, daß sie das zugelassen hatte.

      Oder war es möglich, daß ihn nichts mehr zu ihr zog? Acht Jahre Ehe waren eine lange Zeit, wenn man darüber nachdachte. Tatsächlich waren sie ihr wie im Fluge vergangen. War es möglich, daß er ihrer überdrüssig war? Daß er sich nur noch als Packesel der Familie betrachtete?

      Aber das konnte nicht sein. Renate raffte sich auf. Sie war doch noch jung, zehn Jahre jünger al ser. Sie hatte sich nach den Geburten immer rasch erholt. Ihre Figur war straff, und die jungen Männer auf der Straße pfiffen ihr nach.

      Sie verließ die Küche und musterte sich im Garderobenspiegel. Ihr Gesicht hatte eine gesunde leichte Tönung von der Arbeit im Garten, ihre blauen Augen glänzten, wenn auch nicht mehr ganz so strahlend wie die ihrer Tochter, und es gab noch keine Fältchen. Wenn sie auch nicht mit den wenig bekleideten Mädchen in den Magazinen konkurrieren konnte, so war sie doch immerhin attraktiv genug, einen Mann für sich zu interessieren.

      Entschlossen fuhr sie mit dem Kamm durch ihr kurzgeschnittenes blondes Haar, klopfte dann leise an die Tür des Arbeitszimmers und trat ein. »Hallo, Liebling!« sagte sie. »Melde gehorsamst: Tagesarbeit erledigt, alle Kinder in der Klappe!«

      Er saß an seinem Schreibtisch, einen Stapel Fachzeitschriften vor sich, und sah nicht auf. »Wie schön für dich.«

      »Für dich nicht?«

      Er gab keine Antwort.

      Zum erstenmal seit langer Zeit betrachtete sie ihn nicht wie den Menschen, der zu ihr gehörte, sondern wie einen Unbekannten. Sie stellte fest, daß sein Haar schütter, die Linien zwischen Hals und Kinn schlaff zu werden begannen und die Ringe unter den Augen sich vertieft hatten.

      Sie ging zu ihm hin, legte ihm den Arm um die Schultern und küßte ihn auf das Ohr. »Du mußt doch müde sein, Liebling!«

      Er machte eine fahrige Bewegung, als gelte es eine Fliege zu verscheuchen. »Stimmt auffallend.«

      »Warum ruhst du dich dann nicht aus?«

      »Weil ich noch zu arbeiten habe. Das siehst du doch.«

      »Muß das denn ausgerechnet heute abend sein? Kannst du es nicht verschieben?«

      Für sie völlig unerwartet brauste er auf. »Verschieben, verschieben! Ist das alles, was du mir vorschlagen kannst? Was glaubst du, wie oft ich diese Lektüre schon hinausgeschoben habe? Wenn es so weiter geht, werde ich nicht einmal mehr als popliger kleiner Arzt etwas taugen!«

      »Entschuldige«, sagte sie, nicht erschrocken, aber doch befremdet, »ich wollte dich nicht aufregen!«

      »Aber genau das tust du!«

      »Ich wollte nur vorschlagen, daß wir ein Glas Wein zusammen trinken, miteinander plaudern oder auch einfach mal früh zu Bett gehen.«

      »Was für infantile Vorstellungen!«

      »Früher haben wir das oft getan.«

      »Inzwischen sind wir erwachsen geworden. Ich jedenfalls bin es. Du bist anscheinend das törichte kleine Mädchen geblieben.«

      »Das du einmal geliebt hast!«

      »Auch das noch! Begreif doch endlich, daß ich kein Romeo mehr bin!«

      »Das warst du wohl nie«, sagte sie, sehr ruhig, wenn auch mit einiger Schärfe.

      Sie ging zur Tür, wandte sich aber sogleich um, als er ihren Namen rief.

      »Renate«, sagte er in versöhnlichem Ton, »es tut mir leid. Ich wollte nicht ausfallend sein.«

      »Das weiß ich.«

      »Kluges Kind!« Sein Lächeln wirkte verkrampft. »Sei brav und laß mich jetzt allein! Du kannst dich ja vor den Fernseher setzen, wenn du sonst keine Beschäftigung weißt.«

      »An Beschäftigungen«, sagte sie, »hat es mir in unserer Ehe nie gefehlt!« Sie ging aus dem Zimmer, und diesmal rief er sie nicht zurück.

      ›Er muß überarbeitet sein‹, dachte sie, ›eine andere Erklärung gibt es nicht. Da kann man nichts machen. Irgendwann wird er schon wieder zu sich selber finden. ‹ Sie ging nach oben.

      Die Zwillinge lagen in ihren Bettchen und pusteten im Schlaf. Der Anblick ihrer jungen, runden, lebendigen Gesichter tröstete Renate. Am liebsten hätte sie sie hochgenommen, geküßt und geherzt. Aber sie wußte, daß es besser war, sie ihre Anwesenheit nicht spüren zu lassen. So räumt sie denn das Spielzeug fort und sammelte die Papierfetzen ein.

      Dann ging sie in das kleine Zimmer ihrer Tochter hinüber. Karla schlief noch nicht, sondern schmollte. Renate nahm die Gelegenheit wahr, mit ihr zu reden, wenigstens auf ihre geliebten Kraftausdrücke in Anwesenheit des Vaters zu verzichten.

      Dr. Karl Malthaus richtete es so ein, daß er mindestens dreimal in der Woche nach seiner Lieblingspatientin schaute, und jedesmal kam er nach der Arbeit und blieb jetzt schon ganz selbstverständlich auf ein halbes Stündchen bei ihr. Anja Millers Stille, ihre Sanftheit, ihr bloßes Dasein, das keine Forderungen an ihn stellte, war für ihn von überwältigendem Reiz. Allein die Art, wie sie ihre Hände hielt, ganz locker, untätig und gelöst, bezauberte ihn genauso stark wie der japanische Garten, den er mit ihren Augen zu sehen lernte.

      Bei ihr zu sein bedeutete für ihn Erholung und Entspannung. Wenn er sie verließ, fühlte er sich erfrischt und

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