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sprang ich auf, rannte zum Apparat und meldete mich ausnahmsweise nicht mit Namen, sondern rief glücklich und zärtlich hinein: „Dekan, Dekan, Dekanchen, kommste doch noch?“ Die Antwort ließ mich die Luft anhalten. Eine mir völlig fremde Stimme sagte gemessen:

      „Ich bin noch nicht Dekan. Ich bin Ihr neuer Pfarrer und wollte fragen, wann ich bei Ihnen einen Besuch machen darf.“

      Ich habe schon manche schwierige Situation durchgestanden, aber hier fuhr mir der Schreck doch in die Glieder. Was sagt man in so einem Fall? Erklärt man? Das macht alles noch schlimmer und komplizierter. Ich war im Augenblick ratlos, bereute meine spontane Art, die mir schon oft Schwierigkeiten eingetragen hat, und flüsterte schließlich betreten:

      „Oh, Entschuldigung, ich erwartete — aber das ist nicht so wichtig. Das erzähle ich Ihnen später. Bitte kommen Sie doch gleich und bringen Sie Ihre Frau mit, und wir trinken auf den Schreck eine Flasche Wein zusammen. Ist Ihnen das recht? Nicht wahr, Sie kommen? Bitte!“

      Er kam, und es wurde sehr gemütlich. Ich erklärte nun doch mein merkwürdiges Verhalten am Telefon, und wir lachten viel. Seitdem sind wir befreundet, und ich fühle mich in guter geistlicher Hut. Mitunter bringt auch eine spontane Dummheit positive Folgen.

      Der Musenkuß

      Ich bin — leider auf keinem Ponyhof geboren, sondern in einer Großstadt, in Leipzig, in einer Etagenwohnung, wo weit und breit keine Pferde oder Ponys zu sehen waren, geschweige denn zu reiten. Erst viel später verfiel ich den Pferden. Die Liebe zu Pferden ist wohl die einzige Sucht, die man nicht verteufeln soll, sie prägte mein ganzes Leben. Zunächst aber mußte ich mir einen Beruf suchen und meinte, als landwirtschaftliche Lehrerin käme ich den Pferden näher. Großer Irrtum. Um ein Pferd zu sehen, mußten wir, meine Kollegin und ich, ins Kino gehen, was wir oft nicht durften, da unsere Tätigkeit an der Schule mitunter von früh um sieben bis nachts um elf dauerte. So war ich froh, nach den Probejahren entlassen zu werden, heiratete dann, bekam jedes Jahr ein Kind und träumte nur noch von Pferden, das aber weiterhin.

      Dann verlor ich meinen Mann und landete nach schlimmen Zwischenstationen mit den Kindern auf einem Gutshof in der Nähe von Paderborn, und genau diese Anschrift: „An Lise Gast, auf einem Gutshof in der Nähe von Paderborn“ stand auf einer Postkarte, die mich dort tatsächlich erreichte. Es lebe die Findigkeit der Post! Ein alter Freund aus Leipzig meldete sich, der „schlichte Dichter“, wie er sich nannte. Wir erneuerten unsere Freundschaft, trafen uns, machten gemeinsam Auslandsreisen, und wenn wir getrennt waren, schrieben wir uns, meist in Versen. Die „Fließband-Poetin“ nannte er mich meiner vielen Bücher wegen, und ich rief ihn „der schlichte Dichter“. Ich besitze noch viele lustige, geistreiche Gelegenheitsgedichte von ihm, sein Leben war leider kurz.

      Damals, als er noch lebte, fing es bei mir mit den Lesungen an, zu denen ich aufgefordert wurde, von Schulen, Seniorenklubs, Volkshochschulen und Ähnlichem. Ich sagte, wenn es irgend ging, immer zu, auch wenn es mir schlecht in meine Arbeit paßte. Nicht des Geldes wegen, das mir, spärlich genug, dabei zufloß, sondern um der guten Sache willen. Wieviel Kinder gibt es noch heute, die kein einziges Buch besitzen, und wie viele Erwachsene, die lieber vor dem Bildschirm hocken, statt ein Buch aufzuschlagen. Die muß man heranlocken ans Buch und es ihnen schmackhaft machen, und dazu eignen sich Autorenlesungen ganz besonders. Wer die Autorin hat lesen hören — ich nehme dann auch Dias vom Ponyhof und unseren kleinen Pferden mit und einen Film —, der vergißt das nicht. Meine Ponybücher sind in den Schulbüchereien meist die zerlesensten. In Hannover, wo ich eine Zeitlang jedes Jahr las, behaupteten die Schüler und Schülerinnen in den Aufsätzen, die sie hinterher schrieben, ich wäre in Reithosen und Stiefeln gekommen. Sie erinnerten sich an die Dias.

      Mitunter klappt es nicht, daß ein geeigneter Raum zur Verfügung steht, dann lade ich zu mir auf den Ponyhof ein, damit die nun einmal geplante Lesung nicht ins Wasser fällt. Unsere Räume sind nicht groß, aber abends kann man Dias auch im Freien zeigen, was wir manchmal bei Hochzeiten machen. Oft lade ich auch andere Autoren zum Lesen ein, das ist immer ein großes Fest.

      So las bei mir einmal Eckardt von Naso, ein Schriftsteller, den ich von früher kannte und sehr schätze. Er war eine Zeitlang Intendant am Stuttgarter Theater, und von Stuttgart bis zu uns sind es nur fünfzig Minuten im Eilzug. Wir holten ihn vom Bahnhof mit dem Zweispänner ab, das waren wir uns als Ponyhöfler schuldig, und begrüßten ihn froh und dankbar, daß er mutig genug war, unsere Baracke zu betreten.

      Wir waren alle glücklich, ihn da zu haben, und baten nicht umsonst um eine Lesung, die er uns auch sofort zusagte. Es wurde ein großes Fest auf dem Ponyhof! Wir hatten nur die engsten Freunde eingeladen, zu meinem Bedauern sagte der „schlichte Dichter“ ab, er hatte eine wichtige Verabredung. Aber sonst kamen alle, Petrus hatte ein Einsehen, und wir konnten draußen sitzen. Ein Lesepult wurde aufgebaut, eine Leselampe anmontiert, wozu haben wir so viele Söhne und Beinahsöhne, die technisch versiert sind, und er las. Er las nicht nur, er sprach dann auch, ließ uns fragen, erklärte und erzählte — es war ein Genuß. Als Thema hatte er den „Musenkuß“ gewählt. Es war sehr lustig: Er schilderte, wie viele seiner Leser sich das Leben eines Schriftstellers vorstellten. Man sitzt am Schreibtisch und wartet auf die Muse. Sie kommt und küßt einen, die eilige Feder läuft über das Papier, man schickt ab, was die Muse einem freundlich diktierte, und schon rauschen die goldenen Bäche der Honorare auf den Dichter zu. Beneidenswert. Oft hatte man auch mir so etwas erzählt, und ich wundere mich immer, warum all diese Leute nicht auch Schriftsteller geworden sind.

      „Warum machen Sie es nicht auch so?“ fragte ich sie dann manchmal ironisch. Da wurde ich belehrt: „Wissen Sie, ich könnte das auch. Ich habe nur nicht so viel Zeit wie Sie. Sie haben es ja gut, im Grünen sitzen und dichten — herrlich! Aber ich habe einen Beruf und eine Familie!“

      Als ob ich das nicht hätte, meine Familie ist dazu noch viel größer! Keiner, der mir das so sehnsüchtig sagt, würde nämlich auf Komfort und Auto verzichten, und schon gar nicht so wohnen wie wir, pionierhaft, bei Hochwasser und Schnee auf uns selbst angewiesen, ohne hilfreiche Nachbarn. Sie sahen alle nicht, was eigentlich dahintersteckt. „Du siehst die Weste, nicht das Herz“, sagt Busch. Und wie oft kommt die Muse eben nicht!

      Darauf kam Eckardt von Naso zu sprechen, und wir verstanden uns großartig. Hinterher saßen wir noch lange am Lagerfeuer, das bei uns die gute Stube ersetzt, tranken Rotwein und fachsimpelten. Es war sicherlich schon neun, als ein Auto kam, wir sahen die Scheinwerfer. Es hielt am Ponyhof an, wollte also wohl zu uns. Eins meiner Kinder lief hinauf und kam mit einem Brief in der Hand zurück. Es war ein Eilbrief, der also auch nachts ausgetragen wird. Ich wunderte mich und schickte dem Boten einen Schnaps hinauf, um mich zu bedanken. Ich öffnete den Brief — er war vom ›schlichten Dichter‹:

      Der schlichte Dichter kaut am Federhalter

      und wartet auf die Muse, die ihn küßt.

      In seinem tugendhaften Greisenalter

      ist da ein Nichts als geistiges Gelüst.

      Jedoch die Muse kommt nicht, Gottverdammt.

      Ein Meisterwerk bleibt demnach ungeboren.

      Man jage diese Dame aus dem Amt

      und schlag ihr kräftig hinter beide Ohren.

      Der schlichte Dichter greift zum Federhalter —

      war da nicht eine Stimme, die ihn rief?

      Zum Teufel mit der Tugend und dem Alter!

      Er schreibt an Lise Gast ’nen Liebesbrief.

      Solche Zufälle gibt es. Ich lachte. Und reichte den Brief Eckardt von Naso. Der lachte auch, und nun wollten alle anderen natürlich auch lachen und verlangten stürmisch, den Brief vorgelesen zu bekommen.

      Dies ist die Geschichte vom Musenkuß. Sie ist nicht nur historisch, sondern auch wahr. So was kann man sich nicht ausdenken. Der ›schlichte Dichter‹ konnte unmöglich wissen, worüber Ekkardt von Naso gesprochen hatte. Das Leben denkt sich die hübschesten Pointen aus, auf die unsereins nie käme.

      Besuch auf dem Ponyhof

      Als

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