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was Ursula mir aussuchte, Fuchs mit heller Mähne stimmte, trächtig war sie nicht. Sie hieß Gloa und war ein wunderbares Pferd, Alleingänger, autosicher, und dazu noch sehr gut gebaut, auch für das Auge eines Pferdekenners, der sich noch nicht auf Ponys eingestellt hat. Isländer sind einfach anders als Pferde, gedrungener, ohne Sattel stehen sie oft da wie alte Kühe, deshalb setzten sie sich hier auch nur langsam durch. Unterm Reiter geben sie ein ganz anderes Bild, anfangs aber wurden wir oft mitleidig belächelt. Gloa hingegen wurde sehr bald bewundert, sie war so etwas wie ein Reklamepferd.

      Sie kam nachts an, und ich radelte, mit dem Halfter an der Lenkstange und einem Sattel auf dem Gepäckträger, zum Bahnhof, die Kinder ritten. Wir hatten gedacht, im Pulk würde die „Neue“ vielleicht leichter zu dirigieren sein. Sie stand unangebunden allein im Waggon, ließ sich gutwillig aufhalftern und satteln, und ich bestieg sie mit dem Mut der Dummheit.

      Sie und ihre fünfzehn Genossen hatten nicht „am Kai geweidet“, sondern waren bei Pferdefreunden untergebracht worden, die sie voll besten Hafer gefüllt hatten. Das merkte ich. Sie ging los wie die Kugel aus dem Rohr, da half nur aufsitzen, komme was wolle.

      „Seht zu, wo ihr bleibt, ich kann sie nicht halten!“ japste ich den Kindern gerade noch zu und war schon in der Dunkelheit verschwunden. Eins der Kinder hatte mein Fahrrad genommen, die anderen ritten Blacky und Schecki. Einmal trafen wir uns innerhalb einer Bahnschranke. Von da an ging es im Pulk weiter, im vollen Galopp, denn Gloas Tempo steckte an. Nun ist schnell reiten noch nicht gleichbedeutend mit gefährlich, im Gegenteil, die schönste Gangart ist und bleibt der Galopp. Ich fühlte mich mit den Kindern zusammen sehr viel sicherer und genoß den rasenden Ritt. Es wurde hell. Im Hof angelangt, trafen wir sofort auf unseren Gutsherrn, der uns entgegenkam.

      „Wissen Sie, daß die Stute vorn rechts bügelt?“ fragte er mich als erstes. Das hatte ich vom Sattel aus gar nicht gemerkt. Später erfuhr ich, daß manche Isländer das tun, aber beim Reiten stört es nicht. Im Frühjahr darauf zogen wir um.

      Bis dahin hatte sich unser Gutsherr mit Gloa abgefunden. Ja, er lobte sie sogar, was mir sehr guttat. Denn einmal hatte ich ein Pferd gekauft, das ein Fehlgriff gewesen war. Ich hatte es natürlich probegeritten, aber immer in Richtung Heimat, und da gehen alle Pferde gern. Umgekehrt streikte Lojo, und ich mußte ihn zurückgeben. Man hat immer vierzehn Tage Zeit, das neugekaufte Pferd zu prüfen. Hat es Mängel, so muß es der Verkäufer zurücknehmen.

      In unserem neuen Zuhause konnten wir es uns endlich leisten, die Stuten decken zu lassen und Fohlen aufzuziehen. Ich habe, solange ich den Ponyhof bewirtschaftete — jetzt haben ihn meine Tochter und mein Schwiegersohn in Regie —, über vierzig Fohlen verkauft. Bei den Kindern gab es dann oft Tränen, wenn eins fortkam, mir ging es auch jedesmal ans Herz. Allmählich hatten wir durchschnittlich zwölf Pferde. Mehr sind nicht gut, wenn man allein für sie sorgt, man hat dann so viel zu tun, daß keine Zeit zum Reiten bleibt.

      Wir erlebten viele Pferdekäufe. Die Dorfjugend, vor allem die Mädchen, nahmen sich an uns ein Beispiel und fingen an zu reiten. Beim Bauern ein Pferd zu kaufen geht folgendermaßen vor sich: Käufer und Besitzer stehen miteinander im Stall und begutachten das Pferd, um das es sich handelt. Von Zeit zu Zeit nimmt der eine oder andere seinen Hut und rennt schweigend hinaus. Ehe endgültig „Ja“ oder „Nein“ gesagt wird, spricht keiner ein Wort. Schließlich beginnt der Käufer, den Preis zu drücken. Das dauert manchmal stundenlang. Bei mir riß oft der Geduldsfaden, die Kinder aber lernten es schnell.

      Einmal kam eine Mutter mit einem Zehnjährigen zu uns und wollte ein Pony kaufen. Der Junge ritt einen Esel, erzählte er uns. Wir fuhren mit zu ihm nach Hause, um Stall und Unterbringung anzusehen ... Da führte er uns den Esel vor, riß ihn aber derart im Maul, daß wir protestierten. Dem gaben wir keines unserer Pferde! Als man uns fragte, wo man denn sonst eins bekäme, nannten wir Bekannte in einem Nachbarstädtchen, die eins verkaufen wollten. Es handelte sich dabei um einen halbgroßen Schimmel. Wir fuhren hin, da wir nun sowieso einmal unterwegs waren, und ausgerechnet ich kaufte „Silber“ auf Anhieb, da er mir so gut gefiel! Wir nahmen ihn gleich mit, obwohl Sonntag war und ich nicht entsprechend viel Geld in der Hosentasche hatte. Aber diese Leute kannten wir gut. Silber ging auf viele Turniere, war bestechend hübsch und wurde später vom ältesten Sohn meiner Tochter geritten, manchmal mit zusätzlich zwei Handpferden rechts und links, ebenfalls Schimmeln. Dazu der kleine Reiter mit ernsthaftem Gesichtchen — da widerstand kein Preisrichter.

      Ein Stück aus meinem Leben

      Als ich ungefähr siebzehn war, wohnten wir in der Stadt, und ich bekam so gut wie kein Pferd zu sehen, geschweige denn zu reiten. Als Beruf wählte ich zwar Landwirtschaftslehrerin, mußte aber dem Direktor die Kasse führen und junge Mädchen im Kochen unterrichten. Ich blieb nicht lange dabei. Heute kann man in den Sattel gelangen, wenn man Taschengeld spart oder jobbt, insofern ist die heutige Jugend zu beneiden.

      Nun aber gab es in unserer weitläufigen Verwandtschaft einen Onkel Hagemann, der ein Weingut am Rhein und zwei Kinder besaß, die etwa in meinem Alter waren: Markus und Brigitte. Seine Frau lebte nicht mehr, und unsere Großmutter führte ihm die Wirtschaft. Ich sage „unsere“, weil sie für viele Enkel zuständig war, an die dreißig Stück. Alles, was zwischen zehn und dreißig Jahren alt war, besuchte diesen Onkel in allen Ferien. Er hatte sich selbst viele Kinder gewünscht — „von jeder Sorte eins, das ist so gut wie keins“, pflegte er zu sagen und freute sich an dem bunten Gewimmel.

      Wir durften den ganzen Tag über tun, was wir wollten, wenn wir nur pünktlich zu Tisch kamen. Nachgeliefert wurde nichts, wer nicht zur Zeit da war, mußte bis zur nächsten Mahlzeit warten. Unsere Betten und Zimmer machten wir selbst, sonst aber war alles erlaubt, was gefiel. Herrliche Ferien! Bei Tisch konnte es passieren, daß Onkel Hagemann plötzlich auf einen von uns deutete, egal ob Mädchen oder Junge, und ermunternd rief: „Heute haben zwei von euch Hochzeit! Nun halt mal die Damenrede!“ Dann mußte derjenige aufspringen und aus dem Stegreif loslegen. Was haben wir da oft gelacht! Aber frei sprechen lernten wir auch.

      Ich verstand mich am besten mit Brigitte, die ein Jahr jünger war als ich, und schwärmte insgeheim für Markus, meinen schönen, etwas älteren Vetter mit den dunklen Augen und dem frechen Mundwerk. Er war, wie ich, ein großer Pferdeliebhaber, das gefiel mir doppelt. Ein Wunder war das nicht, denn Onkel Hagemann hatte, abgesehen von der Leidenschaft, junge Menschen um sich zu versammeln, noch eine: Er züchtete Shetlandponys und besaß eine ganze Anzahl jener kleinen, drolligen Pferdchen, die Kinder so lieben. Einen Meter hoch, im Winter zottig, im Sommer spiegelblank. Als wir klein waren, ritten wir auf ihnen, später durften wir sie einspannen und mit ihnen fahren. Nur den Hengst sollten wir nicht nehmen, er war stark und unberechenbar. Wir liebten ihn alle. Er war ein drahtiger Rappe und schöner als die andern, sehr edel, während Stuten und Fohlen drollig und lieb wirkten. Er hieß Tango.

      Eines Tages schlug Onkel Hagemann selbst ans Glas. Alles horchte auf. Er wollte aber keine Rede halten, sondern fragte nur: „Wer von euch ißt denn leidenschaftlich gern Haferflocken?“

      Wir waren verblüfft. Zu einem Gutsfrühstück gehörten damals keine, eher Schlackwurst, Schinken, Eier oder sogar Sahnequark. Er erklärte uns seine Frage. Seit einiger Zeit verminderte sich der Hafer in der auf dem Vorwerk stehenden Haferkiste auf eine merkwürdig schnelle Art. Er verdunstete geradezu. Dabei war die Haferkiste verschlossen, das wußten wir alle.

      „Hat vielleicht jemand von euch den Schlüssel gefunden und ernährt sich jetzt von gequetschtem Hafer, weil er hier nicht satt wird?“ Er wies lachend auf die reichlichen Vorräte des Sonntagsfrühstücks.

      Der Schlüssel zu dieser Kiste fehlte seit einiger Zeit, wir wußten es. Wenn gefüttert werden sollte, mußten wir den Ersatzschlüssel holen, den Onkel Hagemann dann herausgab und den wir ihm wiederzubringen hatten. Sonntags fütterten wir öfter, wenn wir Ponywagen fahren wollten, das war so ausgemacht.

      Nein, keiner hatte sich von Hafer ernährt. Wir frühstückten fertig und verstreuten uns dann. Brigitte und ich schlenderten zum Vorwerk hinaus. Dort gab es eine schöne, windgeschützte Ecke, wo wir uns in die Sonne legten. Nach einer Weile erschien Markus, sah uns liegen, schubste Brigitte ein wenig an und sagte: „Na, ihr Flaschen?“ „Flasche“ war damals das gängige, halb verächtliche Schimpfwort

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