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      Das Pferd meines Lebens war Winnetou. Ich habe ihn niemals geritten, dazu war er zu klein, aber geliebt habe ich ihn wie sonst kein Pony. Und das will etwas heißen, denn ich habe inzwischen viele Ponys gehabt, und an jedem von ihnen hing ein Stück meines Herzens. Aber Winnetou war von Anfang an eine Ausnahme.

      Natürlich habe auch ich im entsprechenden Alter Karl May gelesen, obwohl ich „bloß“ ein Mädchen war, wie ich damals von meinem Bruder immer abschätzig zu hören bekam. Ein richtiger Karl-May-Fan war ich jedoch nicht. Trotzdem wußte ich sofort, als ich dieses Pony sah, daß es Winnetou heißen mußte. Eingetragen ist es als „Budo“, aber keiner hat es jemals so genannt.

      Vor dem Kauf warnten uns viele.

      „Einen Hengst wollt ihr euch halten?“ hieß es. „Na, da macht euch nur auf was gefaßt! Zertrümmerte Boxen, zerrissene Zäune, Fohlen, die ihr nicht gewollt habt — viel Vergnügen!“

      „Andere Leute halten doch auch Hengste!“ sagte ich bockig. „Warum denn wir nicht!“

      Freilich, was wir da in der Umgebung gesehen hatten, war nicht das, was wir wollten. Das waren keine Rassepferde, sondern einfach Hengste von Leuten, denen einmal ihre Stuten ein Hengstfohlen gebracht hatten, das so niedlich war, daß sich niemand davon trennen konnte. Von Hengstprämierung und dergleichen konnte in diesen Fällen natürlich keine Rede sein. Wir aber wollten ja richtig züchten!

      In Marburg an der Lahn sollte ein guter Hengst stehen, erzählte uns ein Bekannter. Ein Schimmel. Ob wir jemanden kennen würden, der ihn einmal besichtigte?

      Marburg an der Lahn? Natürlich, unser Ältester studierte doch in Marburg. Ich rief ihn an. Ob er —

      Seine Antwort war unmißverständlich ablehnend.

      „Ich finde, was uns am meisten fehlt, ist ein Hengst.“ Er meinte, natürlich ironisch, „am wenigsten“.

      „Ich bin weder Roßtäuscher noch Pferdehändler, kann also überhaupt nicht beurteilen, welcher Gemahl für Blacky und Appelschnut paßt.“ Peng, aufgelegt!

      Ich saß dumm da. Dann besann ich mich, daß er einmal einen Freund mitgebracht hatte, als er uns besuchte, Alladin hieß der, und „Alladin mit krummen Knien“ hatte ihn einer von uns respektlos getauft, obwohl er wirklich gerade Beine hatte. Ob der vielleicht ...

      Ich rief ihn an. Er erklärte sich tatsächlich bereit, das Wundertier anzusehen, „aber ich kann keine Verantwortung übernehmen“, betonte er gleich angstvoll, „wenn dann der Kerl nicht tut, was er tun soll.“

      Ich beteuerte, das brauchte er nicht, und bekam wenig später eine genaue Beschreibung. „Der Hengst ist hübsch, aber für Sie vielleicht etwas klein“, gab Alladin noch zu bedenken, und ich erklärte ihm, ich hätte bereits ein Reitpony, der Schimmel sei zur Zucht bestimmt. Und ich würde jetzt selbst kommen, ihn anzusehen.

      Ich fuhr also nach Marburg. Wir fuhren damals alle per Anhalter, weil wir an allen Ecken sparen mußten. Wegen der Ponys und auch aus Sparsamkeit waren wir in ein kleines Holzhaus zwischen Weiden und Wald gezogen, was wir allerdings nie bereuten. Ich wollte meinen Kindern keine Schulden hinterlassen, wenn ich eines Tages unvermutet ›in den Himmel ritte‹. So jedenfalls nannten wir das, die Redensart entstand, als ich einmal mit meinem Jüngsten ausritt und sagte, das beste wäre doch, wenn man im Sattel einen Herzschlag bekäme und sofort tot wäre. Ben, damals vielleicht acht Jahre alt, war empört.

      „Nein! Das wäre doch schlimm für das arme Pony!“

      Ich gab das sofort zu.

      „Weißt du, ich sterbe überhaupt nicht“, sagte ich rasch, „ich reite eines Tages in den Himmel.“ Sterben ist bei uns dasselbe wie „in den Himmel reiten“, und davor braucht sich niemand zu fürchten.

      Ich reiste also nach Marburg, suchte Alladin auf und fuhr mit ihm zu der Familie, die den schönen Hengst besaß. Ich hatte auf einem Ritt durch den Schwarzwald erstmals einen Shetlandschimmel gesehen, rein weiß und so schön, daß ich damals beschloß, einmal so ein Pony zu besitzen. Und jetzt sollte mein Wunsch also in Erfüllung gehen!

      Das Haus lag außerhalb der Stadt, und ich mußte zugeben, es sah von außen etwas verkommen aus. Gut, daß Arndt nicht mitgekommen war. Überall lungerten Katzen und Hunde herum, und als ich einen alten zottigen Köter streicheln wollte, sprang mir ein Affe ins Gesicht, der an einer langen Kette festgebunden auf dem Dach gesessen und gelauert hatte. Ich konnte mich mit ein paar Kratzwunden gerade noch in Sicherheit bringen.

      „Väterchen ist da“, sagte eins der leicht zigeunerhaft anmutenden Kinder mit einem gewissen Stolz. Später verstand ich das. Väterchen pflegte manchmal abwesend zu sein, das heißt, er war im Gefängnis. Nach einer entsprechenden Zeit holte ihn dann die ganze Familie ab und brachte ihn im Triumphzug nach Hause. Heute also „saß“ er nicht.

      Er führte mich auf die Koppel hinter dem Haus und zeigte mir Winnetou. Es war bei mir Liebe auf den ersten Blick. Ich schob sämtliche Bedenken beiseite und bat, ihn mir sofort mit der Bahn zu schicken, Auto und Pferdeanhänger hatten wir damals noch nicht.

      Ich fuhr wieder heim, aber nicht ohne vorher Arndt besucht zu haben, er wohnte damals in einer Bude unterhalb des sehr hübschen Marktplatzes von Marburg. Als ich ihm gestand, daß ich den Hengst gekauft hatte, schalt er nicht, Gott sei Dank! Glücklich fuhr ich nach Hause.

      Und bald war Winnetou da. Zwei Kinder und ich stürzten sofort auf den Bahnhof, und da stand er in einem hölzernen Verschlag und konnte sich nicht rühren, mitten im Hochsommer! Vorsorglich hatten wir einen Eimer mitgebracht, den uns der freundliche Beamte gleich füllte, und Winnetou trank und trank.

      Damit müssen wir damals auf Anhieb seine Zuneigung errungen haben. Lebhaft und ohne irgendwelche Hengstmanieren trappelte er mit uns zum Ponyhof, wo er natürlich gleich seine zukünftigen Stuten witterte. Ein gegenseitiges Wiehern, und die Freundschaft war geschlossen. Winnetou beschnupperte Blacky und Schnute und benahm sich freundlich-wohlwollend. Wir blieben den ganzen Tag auf der Koppel, um die neu zusammengestellte Familie zu beobachten, aßen sogar auf der Heubodentreppe sitzend zu Mittag, aber es gab keine Auseinandersetzungen. Kein eingetretener Stall, kein eingedrückter Zaun. Vielleicht passierte nichts, weil unsere Ponys sommers und winters draußen auf der Hausweide stehen dürfen, die Stalltür ist immer offen, so daß die Ponys ein- und ausgehen können, wie sie wollen. Dadurch gibt es Ausweichmöglichkeiten, wenn sich einmal eine Schlägerei anbahnt.

      Am nächsten Morgen erschienen wir neugierig, aber bereits ganz zuversichtlich. Gefüttert wurde damals im Stall.

      Ich weiß noch, wie Ursula Bruns, die Ponyexpertin, uns einmal besuchte und sah, wie fünf Stuten — wir hatten inzwischen Isländer angeschafft — und ein Hengst gemeinsam im Stall fraßen, keins davon angebunden, keins abgetrennt von den andern. Sie hätte, wie sie sagte, erwartet, daß da die Hölle losbrechen müßte. Und wir waren offen gestanden auch erstaunt, denn wir hatten vorher schon einmal einen Hengst geborgt, und der hatte uns furchtbar zu schaffen gemacht!

      Er hieß Harro, war erst zwei Jahre alt und kam mit seinem Besitzer, einem vierzehnjährigen Jungen, aus einem Nachbarort.

      Dieser Hengst stürzte auf unser Koppeltor zu, sprang noch im Geschirr halb darüber, als er die Stuten sah, und riß uns um, als wir uns näherten. Unsere Stuten jagte er umher, daß sie vor ihm in wilder Panik flohen, und sein Wiehern klang wie Trompetenschall. Gut, daß wir keine Nachbarn haben. Eine Nacht behielten wir ihn im Stall, dann ließen wir ihn samt seinem Besitzer wieder ziehen.

      Winnetou war ganz anders.

      In der Größe paßte er gut zu Blacky und Schnute, er hatte kluge Augen, einen kräftigen Hals und ganz vorn an der Nase einen winzigen, silbernen Schnurrbart. Unzählige Male hab’ ich diesen Schnurrbart an meiner Wange entlangstreichen lassen, ich fühle dieses Streicheln noch heute. Ben hat Winnetou dann zugeritten, er war der einzige, der noch klein und leicht genug war für dieses Shettie. Erst flog er natürlich ein paarmal herunter, weil Winnetou sich offensichtlich nicht als Reitpferd fühlte, aber schließlich befreundeten sie sich. Als Ben nach fünf Jahren — gottlob wuchs er so

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