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Blume und Flamme. Geschichte einer Jugend. Emmy Ball-Hennings
Читать онлайн.Название Blume und Flamme. Geschichte einer Jugend
Год выпуска 0
isbn 9788726614862
Автор произведения Emmy Ball-Hennings
Жанр Документальная литература
Издательство Bookwire
Nirgends Rettung, nirgends Land
Vor des Sturmwinds Schlägen. . .
Wo denn sonst als bei dem Herrn
Sehet ihn, den Rettungsstern!
Christ, Kyrie! Erschein uns auf der See!
Man hätte meinen mögen, dieses herrliche Lied sei eigens für meinen Vater gedichtet worden.
O wieviel Unbegreifliches gab es bei den Schiffsnöten meines Vaters zu bedenken! Er hatte ihn vielleicht nicht gesehen, ihn, der über Wellen stand und über Wellen ging, da Petrus im Sinken begriffen war. Er war der Stern aller Meere, der jedes Fahrzeug und jedes Wrack zu lenken wußte. Einen armen, schiffbrüchigen Steuermann, der da nachts einsam auf einer Planke trieb bei haushohen Wellen, einen solchen zu retten, das war ihm eine Kleinigkeit. Fürchte dich nicht, glaube nur! Ach, das Fürchten paßte ja gar nicht zum Beruf meines Vaters. Die Furcht geziemte dem Seemann nicht. Es gab allerdings Fälle, über die schwer zu entscheiden war. Wo der Privatmut aussetzte, begann der Glaube, das unbesiegbare Vertrauen in die Allmacht Gottes. Ach, es war ein Privatmut, der noch nicht wußte, noch nicht gleich erkannte, daß er nicht aus sich selbst entstanden, sondern aus einer Güte geboren und geschenkt war. Doch ist dies etwas, was ich erst sehr spät einsehen lernte, daß nämlich alle Lust, alle Kühnheit, jeder Mut und jedes Gefallen am Abenteuer von Gott stammt und nicht das Verdienst des Menschen ist.
Mein Vater hieß mit Vornamen Matthias, ein Name, der zwar keineswegs selten in meiner Gegend ist, den ich aber für selten hielt, weil er mir zufällig nicht begegnet war. Der Evangelist hieß Matthäus, und sonderbar, wie Kinder sein können, faßte ich mir eines Tages ein Herz, um mich bei meinem Lehrer nach dem Privatleben des hl. Matthäus zu erkundigen. Der Lehrer, ziemlich erstaunt über mein Interesse, konnte mir erst am nächsten Tag Auskunft geben, die aber dann zu meiner höchsten Zufriedenheit ausfiel. An sich betrachtet, war es nicht viel, was ich in Erfahrung brachte; doch fand ich es wunderschön, daß der hl. Matthäus noch nach seinem Tode eine Reise übers Meer gemacht hatte und man seine heiligen Gebeine von Äthiopien nach Salerno überführte, wo ich ihn einmal nach vielen Jahren an seinem Festtag, am 21. September, besucht habe. Da ich meinem Lehrer sagte, daß mein Vater den Namen Matthias trage und ich mich nach der Bedeutung des Namens erkundigte, hörte ich, daß Matthias «Geschenk Gottes» heißt, und dies zu wissen, erfüllte mich mit besonderer Freude.
Meine Mutter, Anna Dorothea, stammte, wie mein Vater, aus einer Seemannsfamilie. Von der Mutter weiß ich, daß sie das Meer fürchtete; doch hatte sie hierfür einen triftigen Grund, da sie ihren Lieblingsbruder und vor allem ihren ersten Gatten schon früh an das Meer verloren hatte. Mutter stand in ihrem neunundzwanzigsten Lebensjahr, unmittelbar vor ihrer Hochzeit, als ihr Bruder mit seinem Schiff und der gesamten Mannschaft versank. Dies war für Mutter ein schwerer Verlust. Noch härter mag es für sie gewesen sein, daß kaum ein Jahr später ihr Mann «ausblieb», wie man unter Seeleuten sich ausdrückt, was besagen will, daß er nicht wiederkam.
Meine Mutter hatte ein schwarzes, fein gebundenes Buch, in das sie mit ihrer zarten, sorglichen Handschrift eine Anzahl Gedichte eingetragen hatte, die sie ihrem Manne Johannes bei seiner Rückkehr für die nächste Reise zum Geschenk mitgeben wollte. Es waren einige geistliche Lieder und Gedichte von volkstümlicher Frömmigkeit. Da stand zu lesen:
An einem Sommermorgen ward ich jung.
Da fühlt’ ich meines Lebens Puls
Zum erstenmal, — und wie die Liebe sich
In tiefere Entzückungen verlor,
Erwacht’ ich immer mehr. . .
Ach, noch so viele unbeschriebene Blätter hat das Buch, das schon ein wenig vergilbt ist. Es wurde aber nicht weitergeschrieben, weil Johannes, für den das Buch bestimmt war, auf den Korallengrund sank. Und die letzte Eintragung meiner Mutter klang so traurig, sogar die Schrift, die Buchstaben schienen zu weinen:
Ach, die Welle hat verschlungen
Junges, schönes, erstes Glück.
Lenz und Liebe sind verklungen.
Nur Erinn’rung blieb zurück.
Und doch heilte dieses erste, junge Leid, da Mutter meinen Vater kennenlernte.
Jede Ehe ist ein Heiligtum und ein Geheimnis, das niemand zu berühren wagt, und doch habe ich schon als Kind darüber nachgedacht, in welch seelischer Verfassung meine Eltern wohl einander begegnet sein mögen. Mutter selbst hat mir erzählt, wie Vater sich um ihre Hand bewarb, und ich konnte mir leicht vorstellen, wie schön das gewesen sein mußte. Es war einige Jahre nach dem Tode des ersten Mannes, um den Mutter noch immer trauerte, wenn sie auch nicht mehr das schwarze Kleid trug. Es war kein Blumenstrauß, den Vater bei seiner Werbung mitbrachte, und wie es sich vielleicht sonst gut gemacht hätte.
Nein, er brachte etwas anderes mit, das seinen Antrag so gut unterstützte, daß meine Mutter dem Vater gleich ihr Jawort gab. Ein Kind, ein winzig kleines Mädchen, das noch kaum gehen konnte. Es war das Töchterchen meines Vaters aus seiner ersten Ehe, Rebekka, meine spätere Schwester. Mutter sah das süße Kind auf den Armen meines Vaters, und es kann sein, daß ihr zärtliches Herz zunächst Mitleid für beide empfand, und daß dieses schöne Mitleid sich nach und nach in eine frohe Liebe verwandelte. Jedenfalls war es wirklich eine gute und glückliche Ehe, die meine Eltern miteinander führten. Ich kann mich nicht entsinnen, daß sie sich auch nur einmal ernstlich miteinander gezankt hätten.
Mein Vater war eine stille und nachgiebige Natur, während meine Mutter in ihrer Art energischer war. Indessen war mein Vater keineswegs ein schwächlicher Mensch, nur andern gegenüber zeigte er sich von einer Gutmütigkeit, die meiner Mutter manchmal zu weit ging. Von einem gütigen Menschen sagt man: Er gibt sein letztes Hemd weg, und diese Redensart traf beinahe buchstäblich auf meinen Vater zu. Heimlich, wie ein Kind, das nicht ertappt werden will, holte er ein Hemd nach dem andern aus dem Schrank, um es irgendeinem armen Kollegen zu geben. Bemerkte meine Mutter dann: «Es ist ja kaum mehr ein Hemd von dir im Schrank», stellte mein Vater sich fremd, murmelte etwas vor sich: «Irgendwo werden die Hemden wohl sein.» Dann konnte es aber passieren, daß meine Mutter einem Nachbarn begegnete, der das Hemd meines Vaters trug, was leicht zu erkennen war, da es aus Flanell oder Baumwolle war und gemustert. Stellte Mutter dann meinen Vater zur Rede, sagte er: «Warum sollte Jensen nicht zufällig dasselbe Hemd haben wie ich? Du hast ihm doch hoffentlich nichts gesagt?» Nein, das hatte Mutter nicht gemacht, aber sie wußte Bescheid. Wenn sie für Vater eine Winterjacke gestrickt hatte, war sie genötigt, ihm zu sagen, daß er sie nur nicht gleich verschenken solle; denn Vater pflegte nicht das wegzugeben,