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will raus aus der Schule. Muß denn jeder das Abitur machen? Ich will ja gar nicht studieren. Zum Hundezüchten und zum Reitwart brauche ich doch kein Abitur, da ist die mittlere Reife dicke genug ...“

      „Wer die Möglichkeit hat, bis zum Abitur zu gehen, soll sie ausnutzen“, eiferte Pölze sehr erwachsen, aber in Wahrheit nicht ganz überzeugt. Ihr selbst war die Schule auch nicht unbedingt wichtig gewesen, ebenso wie ihr späteres, ziemlich kurzes Studium. „Sieh meine Schwester Svea an! Die hat, obwohl verlobt, ihr Abitur doch noch gemacht, dabei hat sie doch über ein Jahr aussetzen müssen, und nun will sie noch Buchhändlerin lernen, um nicht ohne Beruf zu sein. Es kann ja immer vorkommen, daß die Frau allein für die Kinder zu sorgen hat, wenn dem Mann etwas zustößt, und Conrad bringt schon zwei Kinder mit in die Ehe, Volker und Thomas, du kennst sie ja ...“

      „Svea wird Buchhändlerin?“ staunte Kornelia. „Da will sie mit der Heirat noch mal drei Jahre warten? Das finde ich blöd“, sagte sie ehrlich. Pölze mußte lachen. Es klang überaus apodiktisch – und gleichzeitig bemerkenswert kindisch.

      „Erstens ist so was nicht blöd, sondern genau das Gegenteil, nämlich klug, und zweitens wartet sie gar nicht. Sie heiratet, macht die Lehre aber trotzdem. Onkel Hipp, der ja immer wie ein Vater zu uns war, hat ihr einen kleinen Wagen gekauft, mit dem sie täglich in die Stadt fährt. Volker geht nun auch schon in die höhere Schule, und Thomas bleibt halt unter Tante Ulles Fuchtel, die ich wahrhaftig auch kennenlernte. Da ist man streng gehalten, aber gut behütet. Ja, die beiden Jungen wachsen heran ... übrigens sind wir zur Hochzeit eingeladen. Bertram und ich ... und du auch. Sie haben sie extra in die Herbstferien gelegt, damit du mitkommen kannst. Freust du dich?“

      „Und wie! Endlich mal eine Hochzeit! Als du heiratetest, war ich ja noch zu klein für so was“, lachte Kornelia. „Hurra! Übrigens, wohin wolltest du?“ Sie waren miteinander ein Stück dem Wald entgegengewandert.

      „Ach, nur so. Luft schnappen. Berti schlief, da dachte ich, ich bewege mich ein bißchen draußen.“ Und dann nach einem kurzen Seitenblick auf die Jüngere: „Doch dir kann ich’s ja sagen, du hältst den Schnabel: Ich sah neulich hier einen Dogcart fahren, einen Einspänner mit einem Shetlandpony davor. Es war schon schummerig, und ich konnte nicht erkennen, wer es war. Da dachte ich, vielleicht treff’ ich ihn heute wieder.“

      Alles, was mit Pferden und Hunden zusammenhing, war für sie beide wichtig. Kornelia wußte auch, wie man sogleich merkte, Bescheid.

      „Wer das ist? Das kann ich dir sagen, die Tochter von Dr. Grünwald, dem Tierarzt, der die vielen Kinder hat, weißt du, die Älteste. Sie geht ein paar Klassen unter mir in meine Schule und erzählte mir neulich, sie habe es satt, immer mit den kleinen Geschwistern spazierentrödeln zu müssen. Da habe ihr Vater ihr endlich einen Dogcart gekauft. In dem fährt sie jetzt die Kleinen aus, wenn Mutter mal Ruhe haben soll. Geht prima, sagt sie, alle, die sonst ekelhaft und bockig sind, werden sanft und lenksam, wenn es heißt: ‚Du darfst sonst nicht mitfahren.‘ Spazierengehen haben sie gehaßt. Wir übrigens auch. Wahrscheinlich tun das alle Kinder.“

      „Ach! Prima von dem Vater! Und ...“

      „Und da fährt sie jetzt jeden Tag. Meist hier, natürlich auf keinen Fall Autostraßen. Vielleicht treffen wir sie tatsächlich. Dr. Grünwald hat eine sehr schöne Dackelzucht, wußtest du das? Lauter V-Hunde, ich sah sie auf einer Ausstellung. Die werden gekauft wie wild. Du mußt mal mit hin und sie angucken.“

      „Gerne. – Du, Koko?“

      „Hm?“

      „Wenn Grünwalds jetzt ein eingefahrenes Shetlandpony haben, da könnten wir doch eigentlich mal ...“

      „Was denn?“

      „Vierspännig fahren. Sieh mal, ich kann jetzt nicht reiten, und fahren macht doch auch Spaß. Erle und Espe haben wir, und Unband – Blessy soll nicht gefahren werden, bis die Wunde abgeheilt ist. Da könnten wir statt dessen doch dieses Pony nehmen. Was ist es denn?“

      „Stute. Lottchen heißt sie. Unbändiges Temperament.“

      „Na, dann wird sie ja zu Unband passen. Wollen wir?“

      „Heute?“ Kornelias Augen funkelten.

      „Bist du närrisch? Heute! Dazu brauchen wir einen ganzen Nachmittag, damit wir auch was davon haben! Aber wie wär’ es morgen? Am frühen Nachmittag? Natürlich erst, nachdem du Schularbeiten gemacht hast“, fügte Pölze bieder hinzu. Kornelia sah sie aus den Augenwinkeln an.

      „Natürlich. Aber ich hab’ das Gefühl, daß ich morgen – morgen ist Mittwoch, nicht wahr? –, ja also, daß ich da gar, gar nichts aufhaben werde ...“

      Kornelia mußte Hjela noch auf die Isländerkoppel zurückbringen. So saß sie auf, winkte Pölze zu und trabte davon, während Pölze sich heimwärts wandte. Kornelia ritt in Gedanken und bemerkte erst etwas spät einen Menschentrupp von etwa sechzehn Mann, der ihr entgegenkam. Es waren die Strafgefangenen, die in Niederwerth arbeiteten. Sie gingen im Gleichschritt, zwei Wachmänner mit ihnen, einer an der Seite, der andere hinten. Kornelia bog ein wenig hastig ab, um nicht nahe an ihnen vorbeizureiten. Sie konnte sich vorstellen, daß es auf die Männer aufreizend wirken mußte, wenn sie sie zu Pferd sahen. Sicher meinten sie, sie wäre ein Luxusgeschöpf und täte nichts anderes als reiten.

      Bertram Werth arbeitete seit Jahren mit Strafgefangenen, Tagelöhner gab es hier kaum mehr. Kornelia wußte, daß Pölze sich daran nur schwer gewöhnt hatte. Daheim auf dem Rosenhof arbeitete Onkel Hipp noch mit Leuten, die seit Generationen zum Gut gehörten, einer richtigen Gutsgemeinschaft. Hier waren es Insassen der Strafanstalt aus der etwas entfernten Großstadt, die jeden Tag mit dem Spezialbus herausgefahren wurden. Kornelia wußte, daß Pölze am Anfang ihrer Ehe mit Bertram gesprochen hatte, ob dies nicht zu ändern sei. Es sei ihr unheimlich, hatte sie gemeint.

      „Du mußt das anders ansehen“, hatte er damals geantwortet, „nicht daß dies Männer sind, die Böses im Schilde führen. Es sind Gestrauchelte, solche, die mit dem Gesetz in Konflikt gekommen sind und schwer an ihrer Unfreiheit leiden. Wenn sie hier im Freien arbeiten dürfen – Feldarbeit ist keine Schinderei, ich habe sie selbst jahrelang getan –, so ist das eine Vergünstigung, die man ihnen gönnen sollte.“

      Pölze hatte Kornelia davon erzählt, und Kornelia mußte jetzt daran denken, als sie, einen Bogen schlagend, um den Trupp Männer herumritt. Auch auf weitere Entfernung und bei der nun einfallenden Dämmerung glaubte sie erkennen zu können, wie finster die Männer aussahen. Sie selbst kannte es nicht anders, als daß dieser Bus kam und abfuhr und daß man den Männern, wenn man zu Pferde saß, aus dem Weg ritt. Daß sich Pölze fürchtete, fand sie übertrieben, es waren schließlich immer zwei Wachmänner dabei. Und Pölze war sonst wahrhaftig nicht ängstlich; sie hatte auf dem Rosenhof junge Pferde angeritten, Turniere mitgemacht und sich an Geländeritten beteiligt, bei denen sich manchen männlichen Teilnehmern die Haare gesträubt hatten. Wer reitet, darf kein ängstliches Herz haben. Reitersleute, die sich fürchten, taugen nichts.

      „Wo warst du denn heute nachmittag?“ fragte Frau Kayser, als Kornelia heimkam.

      „Bei Pölze. Wir sind ein Stück spazierengegangen“, erzählte Kornelia harmlos, während sie in ihrer Schulmappe kramte. „Morgen gehen wir wieder. Pölze braucht jetzt ein wenig Bewegung und Ablenkung.“

      Frau Kayser schwieg. Aber sie hätte keine Mutter sein müssen, wenn sie nicht gemerkt hätte, daß das „Spazierengehen“ morgen etwas anderes war als das übliche. Trotzdem sagte oder fragte sie nichts. Kornelia war zur Zeit schwer zu ertragen, ungeheuer eigenwillig, sie konnte beim geringsten Anlaß aufbrausen oder sich verbocken. Wie das werden sollte, wenn es einmal einen ernstlichen Konflikt geben würde – und wo blieben ernstliche Konflikte schon aus? –, wagte die Mutter nicht abzusehen.

      Kornelia ahnte nichts von den Gedanken ihrer Mutter, auch am andern Tage nicht. Sie setzte sich gleich nach Tisch an ihre Schularbeiten und brachte sie so schnell wie möglich hinter sich. Dann pfiff sie nach Tina, die bisher, die Schnauze auf die Vorderfüße gebettet, in der Ecke des Zimmers gelegen und zu ihr hingeguckt hatte. Sie

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