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Geschichten vom Pferdehof. Lise Gast
Читать онлайн.Название Geschichten vom Pferdehof
Год выпуска 0
isbn 9788711509425
Автор произведения Lise Gast
Издательство Bookwire
Damals hatte uns das Rennen viel mehr mitgenommen, weil die Schuld auf uns lag. Ich erinnerte mich genau an den trockenen Mund, den ich hatte, und an mein Herzklopfen, von dem ich immer dachte, es schlägt da drin etwas kaputt. Jetzt genossen wir das Ganze mehr wie ein Indianerspiel mit Umherspähen und Anschleichen.
Mittags waren alle Tiere wieder auf Nummer Sicher. Den dicken Schimmel hatte Laila gleich anfangs gefunden, er stand unterhalb der Schulwiese und weidete ab, was noch an Gras abzuweiden war. Sie nahm ihn zärtlich an der Mähne und führte ihn zurück. Man sah ihr an, wie froh sie war. Laila hat, so jung sie ist, etwas Mütterliches an sich. Sie schloß sich dann unserer Gruppe an, und wir fingen noch drei Ponys. Herr Körner lobte alle, die mitgesucht hatten, und gab uns dann schulfrei. Es war sowieso fast Mittag.
Erschöpft, aber vergnügt kamen wir heim, und dort wurde endlos erzählt. Tante Trullala bewunderte uns natürlich sehr, sie erzählte, es wäre sogar jemand von der Zeitung dagewesen, der einen Bericht schreiben wollte. „Höhlenbären auf dem Hohenstaufen“ sollte er heißen oder so ähnlich, und er wollte auch noch ein Bild machen von Penny und dem Bären.
Da aber sträubte sich Penny. Sie sagte, es käme überhaupt nicht in Frage, daß sie sich fotografieren ließe, und ich sah es gefährlich in ihren Augen funkeln. Da winkte ich Tante Trullala unauffällig zu, und sie verstand mich sofort.
„Gut, ich schick’ ihn fort, wenn er kommt“, verhieß sie und tat uns noch einmal Salat auf den Teller. So erschien der Bericht am nächsten Tag ohne Bild, und das war besser so, ich hatte das im Gefühl.
Am anderen Tag sah überhaupt alles anders aus. Die Zirkuskinder kamen nicht in die Schule, und ein Hohenstaufener erzählte, der Vater von ihnen sei sehr krank. Ob das stimmte, wußten wir nicht, aber ins Krankenhaus war er gebracht worden, das wußte auch Rupert. Wir waren betrübt und bedrückt, und es ließ uns keine Ruhe. Schließlich gingen wir mit Rupert zusammen zu der Scheune, in der die Tiere untergebracht waren.
Die Tür war verschlossen. Wir klopften, keine Antwort. Ein Weilchen standen wir herum und wußten nicht, was wir anfangen sollten. Mir lag es auch schwer auf dem Herzen, daß ich nun bald fortmußte. Auch acht geschenkte Tage, die die Herbstferien verlängern, gehen einmal zu Ende
Ich sprach davon. „Aber Weihnachten komm’ ich ja wieder“, setzte ich hinzu, als ich Pennys unglückliches Gesicht sah. Auf einmal war es, als gäbe sie sich einen Ruck, und dann sagte sie schnell, als müßte sie es so bald wie möglich hinter sich haben: „Musch, du bist meine beste Freundin. Auch wenn du nicht hier bist. Meine allerallerbeste. Aber ich glaube, wir müssen uns um Marfa kümmern. Ich will nicht Marfa als Freundin haben für die Zeit, in der du nicht da bist, verstehst du – aber ...“
„Aber?“
„Wir müssen versuchen, ihr zu helfen. Am besten, solange du noch hier bist. Ob wir ihr einfach sagen, wir möchten sie als Freundin haben? Sie ist doch ganz verscheucht, und wie es ist, allein in einer neuen Klasse zu sein, das weiß ich noch gut. Sie hat zwar zwei Brüder mit, aber die haben einander – wollen wir es versuchen? Kommst du mit, Rupert?“
„Recht hast du, Penny“, sagte Rupert, „ich wollte sowieso mit euch darüber sprechen. Wißt ihr, wo die Zirkusleute im Dorf wohnen? Kommt, los, wir gehen mal hin. Ich frage, wie es dem Direktor geht, das Weitere findet sich schon.“
Wir wanderten durchs Dorf, die Hunde liefen voraus und sprangen hin und her, aber wir rannten nicht wie sonst. In das Haus ging Rupert allein hinein. Es ist manchmal gut, wenn man einen Erwachsenen dabeihat; natürlich jemanden, der jüngere Menschen versteht, so einen wie Rupert eben. Die sind natürlich selten ... Er blieb lange. Als er aber herauskam, brachte er wahrhaftig Marfa mit, und auf dem Arm trug er den Kleinen, der mit dem Schnuller im Mund schon mit aufgetreten war. Auch jetzt hatte er ihn im Mäulchen, und Rupert, der lange Kerl mit dem Kind auf dem Arm, sah so komisch aus, daß wir laut lachen mußten. Und danach war uns schon sehr viel wohler.
„Das ist Iwo, er will euch gern kennenlernen, euch und eure Hunde“, erklärte er. „Ich habe Marfa erzählt, daß ihr sie gern abholen wolltet, aber weil Iwo dabei ist, können wir nicht sehr weit laufen. Ich breche sonst unter seinem Gewicht zusammen. Dabeisein wollte er auf jeden Fall ...“
Wir lachten, Iwo konnte sicherlich noch keinen Satz reden.
„Und da dachte ich –“, fuhr Rupert fort, „wir gehen mal zu Irene und fragen, ob wir den Manderl haben können und mit ihm spazierenfahren, wie damals, mit dem Gig ...“
„Aber nicht nach Maitis zum Krokodil, das bitte ich mir aus!“ rief ich sofort, und dann erzählten wir Marfa, während wir durchs Dorf gingen, die Krokodilgeschichte. Marfa sagte nicht viel, aber manchmal antwortete sie doch, und das empfanden wir schon als großen Fortschritt. Irene war zum Glück zu Hause, sagte sofort ja, als Rupert mit seiner Bitte kam, und half uns, den Manderl einzuspannen. Rupert und sie sahen einander nur manchmal ganz kurz an und waren beide verlegen. Warum, weiß ich wirklich nicht, man kann doch mal um etwas bitten, ohne rot und verlegen zu werden. Schließlich waren wir fertig und stiegen ein.
„Kommt gesund wieder!“ rief Irene noch und lief ins Haus. Wir saßen etwas eng, Rupert in der Mitte, Penny und ich links von ihm, rechts Marfa.
Rupert war mit dem kleinen Iwo auf dem Arm eingestiegen. Er wollte ihn, um die Zügel aufzunehmen, an Marfa weitergeben, aber Iwo klammerte sich an ihn und fing an, trotz des Schnullers im Mund, zu schreien.
„Ach, du kleines Scheusal.“ Rupert sah ziemlich hilflos aus, dann aber sagte er: „Ach, Marfa, sei so gut und kutschiere du! Der junge Mann hier hat anscheinend seinen eigenen Kopf, und du kannst ja mit Pferden umgehen.“
Eine Sekunde lang war ich beleidigt: Hatten nicht Penny oder ich das erste Recht darauf, den Manderl zu kutschieren? Dann aber ging mir auf, was Rupert im Sinn hatte ...
„Ja, der Manderl geht manchmal durch, neulich erst, vor der Bretterkutsche“, sagte ich also und tat, als wäre ich sehr froh, die Zügel nicht nehmen zu müssen. Penny saß außen an der Bremse. Sie hatte auch sofort verstanden.
„Und das Micken übernehme ich“, sagte sie wichtig. „Micken“ sagt man hier für Bremsen. So fuhren wir los.
Es wurde eine sehr lustige Fahrt. Der Manderl war übermütig und ging los wie das Donnerwetter, und Marfa hatte alle Hände voll zu tun. Rupert riet ihr, erst mal ein Stück bergauf zu fahren. Dadurch kam der Manderl in eine gemäßigtere Gangart, und wir erzählten, daß wir auf ihm ritten und an ihm voltigierten und winters mit ihm Klingelschlitten fuhren.
Allmählich taute Marfa auf. Sie erzählte Begebnisse, die sie mit Pferden erlebt hatte, und langsam wurde es beinahe wirklich so, als führen drei Freundinnen mit einem jungen Mann spazieren – mit zweien, Iwo zählte natürlich auch! Boss und Bella sprangen voran oder nebenher, mit heraushängenden Zungen.
„Nur den Schnuller müßtest du Iwo abgewöhnen“, sagte Penny einmal, „ich kann keine Schnuller leiden. Meine Kinder kriegen mal keine.“
Da lachte Marfa das erstemal.
„Könnt ihr euch nicht denken, daß wir ihn ihm sogar angewöhnt haben? Er sieht dann babyhafter aus, und seine Kunststücke auf dem Esel wirken viel besser. Habt ihr nicht gemerkt, wie alle lachten, als er hereinritt?“
Ja so! Das verstanden wir. Und nun wurde Marfa richtig lebendig und erzählte weiter: vom Zirkus, von ihren Geschwistern, von ihrem Leben, das heute da und morgen dort ist, eigentlich heimatlos. Die einzige Heimat ist ihr Zirkuszelt. Und was sollte werden, wenn ihr Vater nicht wieder gesund würde!
„Der wird! Eine Bronchitis übersteht jeder, der rechtzeitig in gute Pflege kommt“, sagte Rupert, felsenfest überzeugt davon, „und er hat doch einen ganzen langen Winter vor sich, um sich in Ruhe auszukurieren. Hier in Hohenstaufen herrscht Höhenluft, die ist sehr gut für kranke Bronchien. Im Frühjahr ist er gesund.