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ein kurzer Überblick über kognitivistische Ansätze der Zweitspracherwerbsforschung gegeben. Danach werden die Begrifflichkeiten des expliziten und impliziten Lernens bzw. des expliziten und impliziten Wissens voneinander abgegrenzt. In Kapitel 3.3 wird eine Beziehung zwischen diesen Lernprozessen und den deklarativ-prozeduralen Modellen von Ullman (2001) und Paradis (2009) hergestellt. Im Anschluss daran wird dargelegt, warum es wichtig ist, zwischen dem Erwerb einer L2 und jenem einer L3 zu unterscheiden. Die Argumentation beruht im Wesentlichen auf dem Faktorenmodell von Hufeisen (2000).

      3.1 Kognitivistische Ansätze der Zweitspracherwerbsforschung

      Unter dem allgemeinen Terminus der kognitiven Zweitspracherwerbsforschung werden in der vorliegenden Arbeit alle Ansätze zusammengefasst, die nicht davon ausgehen, dass Spracherwerb auf einem angeborenen genetischen Modul beruht. Dementsprechend ist der Erwerb von Sprache untrennbar mit allgemeinen kognitiven (Lern-)Prozessen verbunden (für einen Überblick über die unterschiedlichen Strömungen vgl. VanPatten/Williams 2015 oder Schmidt 2010). Diese Prozesse, die sowohl dem L1- sowie dem L2-/L3-Erwerb als auch sprachunabhängigen Lernvorgängen zugrunde liegen, können basierend auf neurobiologischen Erkenntnissen relativ gut nachgezeichnet werden. Ein Reiz trifft über die unterschiedlichen Sinne auf die entsprechenden Rezeptoren, welche die Informationen an die Neuronen weiterleiten. Dort wird er durch die Dendriten aufgenommen und über das Axon, an dessen Ende sich die Synapsen befinden, an das nächste Neuron weitergeleitet. Diese Informationsweiterleitung erfolgt dadurch, dass das Neuron durch den Reiz aktiviert wird, wodurch ein Ladungsunterschied entsteht, der im Anschluss in Form eines elektrischen Impulses mithilfe von Neurotransmittern an das nächste Neuron weitergegeben wird. Durch ein derartiges Eintreffen von Reizen werden die Synapsen aufgebaut. Dabei spricht gleicher Input die gleichen Neuronengruppen an, die dadurch eine stabile Verbindung eingehen und die Wissensbestände im Cortex als neuronale Netzwerke speichern. „Lernen heißt also […], dass zwischen bestimmten Neuronen – aufgrund von wiederholten Reizen – eine feste Verbindung mithilfe der Synapsen aufgebaut wird“ (Grein 2013: 14; für einen einführenden Überblick vgl. ebd.: 8–18).

      Im Hinblick auf das Sprachlernen bedeutet dies, dass wiederkehrende sprachliche Strukturen als solche registriert werden, was zu einer Stabilisierung und Automatisierung in der Verarbeitung führt (vgl. Behrens 2009: 433–435). Dieser von Vertretern gebrauchsbasierter Ansätze (en. usage-based approaches; für einen allgemeinen Überblick vgl. Behrens 2009; Cadierno/Hijazo-Gascón 2014; Ellis 2005, 2013, 2015; Ellis et al. 2015; Ellis/Wulff 2015) auch als entrenchment bezeichnete Prozess wird von der Frequenz einer sprachlichen Struktur beeinflusst (auch Form-Bedeutungs-Paar oder Konstruktion; vgl. Goldberg 1998; Goldberg/Suttle 2010): Je häufiger eine Konstruktion im Input auftritt, desto stärker bildet sich die neuronale Bahnung aus, was gleichzeitig bedeutet, dass die Konstruktion leichter gelernt und im Gedächtnis abgespeichert wird. Des Weiteren steigt die Wahrscheinlichkeit, dass sie als Prototyp fungiert und beim Lernen neuer Konstruktionen als Musterbeispiel herangezogen wird (vgl. Ellis et al. 2015: 166–169; Ellis/Wulff 2015: 418–421). Diese prototypischen Musterbeispiele (z. B. {-ed} in wanted für [+ vorzeitig]) dienen als Ausgangspunkt für das Lernen neuer Konstruktionen (z. B. worked, lived etc.), wobei letztere kontinuierlich mit den prototypischen Musterbeispielen abgeglichen werden: Die formalen und funktionalen Elemente, die sich nicht wiederholen, werden herausgefiltert, während die rekurrenten Elemente als Teil der Kategorie erkannt und als solche abgespeichert werden (vgl. Behrens 2009: 433–435). Durch diesen Vorgang kann die Funktionsweise abstrakter Regeln gelernt werden (z. B. {-ed} als Marker für Vorzeitigkeit).

      Für das Lernen einer sprachlichen Struktur spielen neben der Frequenz auch deren Salienz und Redundanz eine wesentliche Rolle. Beispielsweise werden saliente Konstruktionen schneller gelernt als nicht saliente. Häufig sind auch Erwerbsschwierigkeiten auf eine niedrige Salienz zurückzuführen (vgl. Ellis/Wulff 2015: 420). Dies ist dann der Fall, wenn beispielsweise ein grammatisches Phänomen mit einer anderen salienteren Form in Konflikt tritt und darauffolgend vom Lernenden als redundant wahrgenommen wird. Eine solche Kombination von niedriger Salienz und Redundanz kann sogar dazu führen, dass eine Konstruktion überhaupt nicht erworben wird (vgl. ebd.). Ein Beispiel für diesen Vorgang sind Erwerbsschwierigkeiten bezüglich der Flexionsmorphologie, die vor allem dann auftreten, wenn die Morpheme von sehr salienten Adverbien begleitet werden. Im Hinblick auf den Erwerb von Tempus und Aspekt könnte eine Fokussierung von temporalen Adverbien beispielsweise dazu führen, dass Lernende die entsprechende Morphologie nicht ausreichend beachten und sie dementsprechend langsamer oder im Extremfall gar nicht erwerben.

      Prinzipiell sind diese allgemeinen Lernprozesse sowohl für den Erwerb einer L1 als auch für den einer L2 ähnlich. Ein wesentlicher Unterschied besteht allerdings darin, dass im L2-Erwerb das Sprachsystem der L1 schon vorhanden ist. Dieses wird während des Erwerbs der L1 auf die Bedürfnisse und die Systematizität der entsprechenden Sprache eingestellt. Beispielsweise fokussieren L1-Sprecher einer Aspektsprache eher die unterschiedlichen Phasen einer Handlung im Verlauf, wohingegen Sprecher einer Nicht-Aspektsprache primär die Endpunkte derselben betrachten (vgl. Bylund/Athanasopoulos 2015: 4; siehe Kapitel 5.2.1). Diese Aufmerksamkeitsprozesse werden im L1-Erwerb gelernt, weshalb Ellis (2015: 12) auch von gelernter Aufmerksamkeit spricht. Die Aufgabe des L2-Lerners ist es nun, die Aufmerksamkeitsstrukturen der L1 an das L2-System anzupassen (vgl. auch Slobins 1996 thinking-for-speaking-Hypothese in Kapitel 4.3.4):

      Learning a language, then, means learning these various attention-directing mechanisms, which requires L1 learners to develop an attentional system in the first place, and L2 learners to reconfigure the attentional biases of having acquired their first language (Ellis/Wulff 2015: 422).

      Explizites/bewusstes Wissen kann förderlich sein, Unterschiede zwischen dem L1- und dem L2-System ins Bewusstsein zu rufen, was beim Neu-Lernen der genannten Aufmerksamkeitsprozesse helfen kann. Laut Ellis (2005: 324) ist dies gerade für den Erwerb von nicht salienten und nicht prototypischen Konstruktionen hilfreich. Schmidt (2001: 23) geht sogar davon aus, dass eine derartige bewusste Wahrnehmung eine notwendige Voraussetzung für den erfolgreichen Erwerb einer L2 ist. In der Forschungsliteratur ist dies allerdings durchaus umstritten.

      Schmidt (1990: 131–133) unterscheidet diesbezüglich drei Grade von Bewusstheit (en. awareness): Wahrnehmen (en. perception), Bemerken (en. noticing) und Verstehen (en. understanding; vgl. auch Schmidt 2001: 5). Die Wahrnehmung eines Reizes kann durchaus unbewusst stattfinden, wohingegen das Bemerken mit einem gewissen Grad an Bewusstheit verbunden ist, auch wenn dies nicht zwangsläufig mit der Fähigkeit einhergeht, das Bemerkte zu verbalisieren (vgl. Schmidt 1990: 131–133). Diese Unterscheidung ist von großer Bedeutung, da im Laufe der vorliegenden Arbeit immer wieder von Wahrnehmung gesprochen wird. Es sei deshalb noch einmal betont, dass Wahrnehmung sowohl unbewusst als auch bewusst stattfinden kann. Der dritte von Schmidt genannte Bewusstheitsgrad bezieht sich auf das Verstehen im Sinne eines metasprachlichen Bewusstseins. Dieser Prozess baut auf jenem des Bemerkens auf und ist die Grundvoraussetzung für die Analyse, den Vergleich und die Reflexion über Sprache, was schlussendlich zu dem expliziten Verständnis einer abstrakten Regel und damit zu einem ausgeprägten metasprachlichen Bewusstsein führt. Laut Schmidt (2010: 721–726) kann der Prozess des Verstehens das Lernen eines sprachlichen Phänomens zwar erleichtern, ist aber im Unterschied zum Vorgang des Bemerkens nicht unbedingt erforderlich.

      Sollte das Bemerken tatsächlich eine notwendige Voraussetzung für Lernen sein, würde dies bedeuten, dass es kein rein implizites Lernen gibt und immer ein minimaler Grad an Bewusstheit vorausgesetzt werden muss (vgl. Ellis 2009: 7; Paciorek/Williams 2015 für eine kritische Auseinandersetzung mit dieser Fragestellung). Ob die bloße Wahrnehmung eines Reizes ausreicht oder ob ein bewusstes Bemerken notwendig ist, kann zum heutigen Stand der Forschung noch nicht zufriedenstellend beantwortet werden. Im nächsten Kapitel wird ein Überblick gegeben, inwiefern explizites/bewusstes Wissen tatsächlich für den erfolgreichen Erwerb einer L2 (oder einer L3) notwendig ist.

      3.2 Die Rolle von explizitem und implizitem Wissen

      Vor ungefähr vierzig Jahren hat Stephen Krashen (z. B. 1982: 10–11) die Unterscheidung zwischen explizitem Lernen und implizitem Erwerben in die Zweitspracherwerbsforschung eingeführt.1 Die damit

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