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von neurophysiologischen Faktoren wie beispielsweise der generellen Spracherwerbsfähigkeit und von bestimmten lernerexternen Faktoren wie der Lernumwelt oder dem Input abhängt. Gemäß Hufeisen (2010: 202–203) kommen beim Lernen einer L2 weitere Einflussfaktoren hinzu:

       Zusätzliche lernerexterne Faktoren wie Art und Umfgang des Inputs

       Emotionale Faktoren wie Motivation oder (Lern-)Angst

       Kognitive Faktoren wie das metasprachliche Bewusstsein oder diverse Lernstrategien

       Linguistische bzw. sprachliche Faktoren (die L1 als erste Transferbasis)

      Nun gibt es aber laut Hufeisen auch zwischen dem Lernen einer L3 und jenem einer L2 qualitative und quantitative Unterschiede. Zu der eben genannten Liste fügen sich beim L3-Lernen noch weitere Faktoren hinzu, zu denen unter anderem der Komplex der sogenannten ‚Fremdsprachenspezifischen Faktoren‘ zählt, den Hufeisen (2010: 201; Hervorhebung im Original) folgendermaßen beschreibt:

      Sprachlernerfahrungen sind vorhanden, eventuell ein expliziertes und anwendbares Wissen darüber, wie an den neuen Sprachlernprozess erfolgversprechend herangegangen werden kann, eine vermutlich größere Gelassenheit gegenüber dem (wieder einmal) Neuen und Fremden. […] Diese […] Fremdsprachenspezifischen Faktoren […], die sich erst ab einer L2 einstellen und entwickeln, aber mit dem Lernen einer L3 wirksam werden können[, machen] […] den wesentlichen Unterschied zwischen dem Lernen einer L2 und dem Lernen einer L3 aus […].

      Wie Abbildung 4 veranschaulicht, handelt es sich bei den fremsprachenspezifischen Faktoren beispielsweise um individuelle Fremdsprachenlernerfahrungen sowie um Fremdsprachenlernstrategien als auch um die Lernersprachen bzw. interlanguages (vgl. Selinker 1972) der bereits gelernten Sprachen, sei es die L2 im L3-Erwerb oder die L3, L4, Lx im L4-, L5-, Lx-Erwerb:

      Abb. 4:

      Lernen einer L3 im Faktorenmodell – fremdsprachenspezifische Faktoren (vgl. Hufeisen 2010: 204)

      Im Unterschied zum L2-Erwerb, in welchem nur auf eine Sprache, die L1, zurückgegriffen werden kann, haben die L3-Lernenden zusätzlich noch mindestens eine weitere Sprache, die sie als Transferbasis nutzen können. Wie in Kapitel 3.3 dargestellt, beruht das Lernen einer L2 stärker auf dem deklarativen Gedächtnissystem als das Lernen einer L1. Damit geht einher, dass in einer L2 im Normalfall ein sowohl quantitativ als auch qualitativ stärker ausgeprägtes explizites Wissen vorhanden ist. Obwohl sich das L2-/L3-Lernen im Hinblick auf den Rückgriff auf das deklarative Gedächtnissystem gleicht, unterscheidet es sich dadurch, dass auf ein zusätzliches Sprachsystem (jenes der L2) zugegriffen werden kann, welches naturgemäß viel explizites Wissen bereitstellt.

      Die eben dargelegten Unterschiede zwischen dem L1-, dem L2- und dem L3-Erwerb machen es notwendig, die Begrifflichkeiten der Erst-, Zweit- und Drittsprache voneinander abzugrenzen. Die häufige Praxis, alle Sprachen, die nach der L1 gelernt wurden, unter dem Terminus Zweitsprache zu subsumieren, greift zu kurz, da sie den im Faktorenmodell dargestellten Unterschieden nicht gerecht wird (vgl. Hammarberg 2010: 92–93). Oftmals wird für die Unterscheidung zwischen den gelernten Sprachen eine rein chronologische Darstellung herangezogen. Die erste gelernte Sprache wird als L1, die zweite als L2, die dritte als L3 usw. bezeichnet (vgl. Hammarberg 2010: 93). Diese Vorgehensweise ist insofern problematisch, als es häufig schwierig ist, eine chronologische Auflistung vorzunehmen, zumal Spracherwerb oftmals simultan stattfindet (vgl. Hammarberg 2010: 93–94, 2017: 7–9). Aus diesem Grund wird in der vorliegenden Arbeit eine andere Definition angewendet. Eine Drittsprache wird als jene Sprache definiert, die in der aktuellen Lebenssituation der Lernenden, die bereits über eine oder mehrere Erst- bzw. Zweitsprachen verfügen, erworben wird und der keine L1-Erwerbsprozesse zugrunde liegen:

      [T]he term third language (L3) refers to a non-native language which is currently being used or acquired in a situation where the person already has knowledge of one or more L2s in addition to one or more L1s (Hammarberg 2010: 97; Hervorhebung im Original).

      Diese Definition ermöglicht es, den L3-Begriff als eine Erweiterung der L2-Kategorie zu verstehen. So kann sich der Terminus L3 beispielsweise in einem Forschungskontext auf jene L2 der Probanden beziehen, die im Rahmen der Studie als Zielsprache im Fokus steht. Laut Hammarberg (2010: 97) hat die Verwendung dieser Terminologie den Vorteil, dass alle Sprachen, denen keine L1-Erwerbsprozesse zugrunde liegen, unter dem traditionellen Begriff der L2 subsumiert werden können und nur die im Fokus stehende Sprache als L3 bezeichnet wird. Termini wie L4, L5 etc. sind nicht nötig, was wiederum eine gewisse terminologische Klarheit schafft. Im Falle der vorliegenden Arbeit handelt es sich somit beim Spanischen um eine Dritt- oder Tertiärsprache (L3). Alle anderen nicht nativen Sprachen werden als Zweit- oder Sekundärsprachen (L2) bezeichnet; es handelt sich dabei um das Englische, das Französische und das Lateinische.

      3.5 Konklusion: L2- ≠ L3-Erwerb

      In den letzten Kapiteln wurde Lernen im Allgemeinen und Sprachlernen im Speziellen als ein auf allgemeinen kognitiven Prozessen beruhender, hochkomplexer und dynamischer Vorgang beschrieben, der von unterschiedlichen Faktoren wie beispielsweise Frequenz, Salienz oder Prototypikalität beeinflusst wird. In Anlehnung an die deklarativ-prozeduralen Modelle von Ullman und Paradis wird außerdem davon ausgegangen, dass das Langzeitgedächtnis in ein deklaratives und ein nichtdeklaratives (v.a. prozedurales) System unterteilt werden kann. Diese Modelle nehmen an, dass L2- und L3-Lernen im Unterschied zum L1-Erwerb vermehrt auf dem deklarativen System beruht, vor allem was die Aneignung von grammatikalischen Phänomenen betrifft. Durch den Erwerb einer L2 werden somit unter anderem explizite grammatikalische Wissensrepräsentationen im deklarativen Gedächtnis aufgebaut, die beim Erwerb einer L1 üblicherweise fehlen. Hufeisen betont im Faktorenmodell deshalb, dass sich das Lernen einer L3 von jenem einer L2 unterscheidet, da L3-Lerner neben den fremdsprachenspezifischen Faktoren unter anderem auch auf diese expliziten Wissensrepräsentationen der L2 zurückgreifen können bzw. von diesen beeinflusst werden. Dadurch ist das metasprachliche Bewusstsein von L3-Lernenden besser ausgeprägt, was einen der wesentlichen Unterschiede zwischen multi- und monolingualen Menschen ausmacht. Im Faktorenmodell wird unter anderem darauf eingegangen, dass der L3-Erwerb vom sprachlichen Vorwissen der Lernenden beeinflusst wird. Dieser Einfluss einer Sprache auf eine andere wird traditionellerweise als Transfer bezeichnet. Wie Transfer genau definiert wird, von welchen Faktoren er abhängt und wie er modelliert werden kann, wird im nächsten Kapitel näher beleuchtet.

      4 Transfereffekte im Zweit- und Drittspracherwerb

      Der Terminus Transfer stammt nicht wie häufig angenommen aus Lados (1957) Werk Linguistics Across Cultures, sondern ist bereits bei Wilhelm von Humboldt (‚hinübertragen‘, lat. TRANSFERRE) oder bei Hugo Schuchardt (‚übertragen‘) zu finden. Die erste englische Verwendung des Terminus transfer findet sich schließlich in einem Artikel von William Dwight Whitney aus dem Jahre 1881 (vgl. Odlin/Yu 2016: 5–6). Transfer1 wird in Anlehnung an Odlin (1989: 27) als „the influence resulting from the similarities and differences between the target language and any other language that has been previously (and perhaps imperfectly) acquired“ definiert. Sharwood-Smith (1994: 198; Hervorhebung im Original) beschreibt ihn als „the influence of the mother tongue on the learner’s performance in and / or development of a given target language; by extension, it also means the influence of any ‘other tongue’ known to the learner on that target language“. In Anlehnung an diese beiden Zitate kann Transfer demnach als der Einfluss einer Sprache auf eine andere Sprache definiert werden. Er kann prinzipiell auf allen sprachlichen Ebenen stattfinden und ist oft auf sprachstrukturelle Ähnlichkeiten oder Unterschiede zurückzuführen. Je nachdem, ob er sich positiv oder negativ auf die Zielsprache auswirkt, wird er als positiver oder negativer Transfer bezeichnet.

      Das Ziel der Transferforschung ist es, zu beschreiben und zu verstehen, wie sich sprachliches Wissen auf die Produktion, das Verständnis und den Erwerb einer Zielsprache auswirkt (vgl. De Angelis 2007: 19). Die nachfolgenden Darstellungen fokussieren primär, wie Transfer den Erwerb einer Zweit- bzw. einer Drittsprache beeinflussen kann. Nachdem der Begriff an sich definiert wurde, wird

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