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Transfer im schulischen Drittspracherwerb des Spanischen. Lukas Eibensteiner
Читать онлайн.Название Transfer im schulischen Drittspracherwerb des Spanischen
Год выпуска 0
isbn 9783823302506
Автор произведения Lukas Eibensteiner
Жанр Документальная литература
Серия Romanistische Fremdsprachenforschung und Unterrichtsentwicklung
Издательство Bookwire
Das lateinische Perfekt weist sowohl einen perfektiven als auch einen perfektischen Wert auf (vgl. Harris 1982: 46–49; Müller-Lancé 2006a: 171–172). Letzterer wird mithilfe des sogenannten resultativen oder präsentischen Perfekts ausgedrückt. Dieses „bezeichnet einen Zustand, der in der Vergangenheit begonnen hat und in der Gegenwart noch andauert“ (Menge 2000: 186; vgl. auch Kühner/Stegmann 1966: 124–126). Das perfektive Perfekt, das für die Belange der vorliegenden Arbeit von Relevanz ist, kann auch als aoristisches oder historisches Perfekt bezeichnet werden. Priscian (8, 52–53; zit. n. Pinkster 1988: 338)1 beschreibt die Unterscheidung zwischen perfektivem Perfekt und Imperfekt folgendermaßen:
si incipiam in praeterito versum scribere et imperfectum eum […] relinquam tunc utor praeterito imperfecto dicens ‚scribebam versum‘; […] continuo enim scripto ad finem versu dico ‚scripsi versum‘.2
Der perfektive Charakter des lateinischen Perfekts äußert sich dadurch, dass eine Handlung als geschehen, als in einem Moment zusammengedrängt bzw. als abgeschlossen dargestellt wird. Das Ereignis wird vom Sprecher gewissermaßen mit einem Blick überschaut. Das perfektive Perfekt eignet sich daher ideal dafür, den Handlungsstrang voranzutreiben. Daraus folgend wird argumentiert, dass es in narrativen Texten „die Hauptereignisse und Haupttatsachen an[führt], das Imperfekt hingegen […] die gleichzeitigen Nebenhandlungen und begleitenden Umstände veranschaulichend dar[stellt]“ (Kühner/Stegmann 1966: 127; vgl. auch Pinkster 1988: 360–363). Diese narrative Funktion der „Beschreibung und Schilderung von währenden Zuständen der Vergangenheit, [aber auch] […] der Darstellung von Sitten und Gewohnheiten“ (Kühner/Stegmann 1966: 122) ergibt sich aus der Semantik des Imperfekts, die Handlungen in ihrem Verlauf, ihrer Entwicklung beschreibt und als nicht abgeschlossen darstellt (vgl. Haßler 2016: 107–109; Menge 2000: 184–186).
Die eben dargestellte Unterscheidung zwischen perfektivem und imperfektivem Aspekt wird in den romanischen Sprachen beibehalten (vgl. Salvi 2011: 328). Es gibt aber auch eine für die vorliegende Arbeit besonders wichtige Innovation: Vermutlich durch die Doppelsemantik des lateinischen Perfekts angetrieben (vgl. Harris 1982: 46–49), entwickelt sich im Vulgärlatein der klassischen Periode eine Konstruktion (z. B. habeo litteras scriptas), welche sich in den romanischen Sprachen als zusammengesetztes Perfekt durchsetzt (vgl. Pulgram 1984; Müller-Lancé 2006a: 171–174). Ursprünglich übernimmt diese periphrastische Form den perfektischen Charakter des lateinischen Perfekts (vgl. Salvi 2011: 329). Allerdings ist auch zu erwähnen, dass in einigen romanischen Sprachen (beispielsweise dem Französischen oder dem Standarditalienischen) die zusammengesetzte Form immer weiter in die Domäne des synthetischen Perfektivums vordringt und dieses vor allem aus der mündlichen Domäne langsam verdrängt oder bereits verdrängt hat (vgl. Bertinetto/Bianchi 2003: 570; Lindschouw 2017: 398; Pulgram 1987: 387). Inwiefern sich das lateinische Vergangenheitssystem im Französischen und im Spanischen erhalten hat, wird in Kapitel 2.3.4 näher erörtert. Zuvor wird aber noch auf die panromanische Beschreibung des Verbalsystems der romanischen Sprachen von Coseriu (1976) eingegangen.
2.3.4 Die romanischen Sprachen
Das folgende Kapitel stellt zuerst kurz das romanische System der Verbalkategorien von Coseriu (1976) vor. Im Anschluss werden diesbezüglich die für die vorliegende Arbeit relevanten romanischen Sprachen, das Französische und das Spanische, näher beschrieben und es wird darauf eingegangen, wie die Opposition perfektiv/imperfektiv ausgedrückt wird.
Die romanischen Sprachen weisen im Hinblick auf den perfektiven Part der aspektuellen Opposition eine relativ hohe innerromanische Variation auf. In den konservativeren Sprachen (z. B. Spanisch oder Katalanisch) existiert weiterhin ein perfektisches Perfekt (perfecto compuesto oder perfet compost); in den innovativeren hingegen (Italienisch oder Französisch) hat die analytische Form (passato prossimo oder passé composé) die synthetische (passato remoto oder passé simple) weitgehend aus der Alltagssprache bzw. aus der mündlichen Domäne verdrängt (vgl. Lindschouw 2017: 398). Aufgrund der Entwicklung der modernen romanischen Sprachen aus dem Lateinischen kann man aber auch panromanische Tendenzen feststellen (vgl. Oesterreicher 1996). Beispielsweise kann das romanische Imperfekt, wenn man einige wenige Ausnahmen außer Acht lässt, als panromanische Form beschrieben werden (vgl. Haßler 2016: 107).
Coseriu (1976: 91) schlägt ein System vor, das er selbst als „romanisch“ bezeichnet und das auf alle romanischen Sprachen anwendbar ist, was allerdings nicht bedeutet, dass man
in allen romanischen Sprachen genau dieselben Oppositionen feststellen [kann], noch daß in jedem Fall zwischen den romanischen Verbalformen eine völlige Übereinstimmung, eine Korrespondenz eins zu eins besteht. Aber die Grundlage der Organisation des Verbs ist in allen romanischen Sprachen ziemlich dieselbe und das berechtigt uns, von einem romanischen ‚Verbalsystem‘ nicht nur historisch, sondern auch synchronisch zu sprechen.
Laut Coseriu (1976: 92) weist das romanische Verb eine doppelte zeitliche Struktur auf. Er unterscheidet eine aktuelle und eine inaktuelle Zeitebene. Erstere kommt dem „Vordergrund [gleich], der der Zeitlinie entspricht, die durch das Präsens geht […].“ Die inaktuelle Ebene hingegen wird durch Handlungen dargestellt, die einen parallelen Hintergrund bilden. Ihr Zentrum ist das Imperfekt.
Neben diesen beiden Zeitebenen führt Coseriu (1976: 93) die sogenannte Perspektive ein, welche „der Stellung des Sprechers im Verhältnis zur Verbalhandlung“ entspricht. Sie stimmt demnach in etwa mit der Relation von Topik- und Situationszeit im Kleinschen System überein. Daraus ergeben sich für jede Zeitebene drei Zeiträume (parallel, retro- und prospektiv). Der Sprecher kann eine parallele Perspektive einnehmen, wodurch die Handlung in ihrem Verlauf betrachtet wird. Dies entspricht im weitesten Sinne der Kleinschen Relation von TT incl TSit (graphische Darstellung: – – – [ – – – ] – – –) und wird von Coseriu (1976: 94) als kursiv bezeichnet. Der Sprecher kann die Handlung aber auch aus einer nicht parallelen Perspektive betrachten (retro- oder prospektiv), bei welcher die Handlung „außerhalb ihres Ablaufs als Ganzes betrachtet“ wird. Dies kommt der Kleinschen Relation von TT at TSit gleich und wird von Coseriu (1976: 94) als komplexiv bezeichnet. Jeder in der primären Perspektive abgegrenzte Zeitraum kann in der sekundären Perspektive nach denselben Prinzipien noch einmal aufgeteilt werden. Prinzipiell wäre auch eine tertiäre Perspektive möglich (z. B. die formes surcomposées im Französischen wie j’ai eu fait; vgl. ebd.: 96). Diese wird allerdings nur selten realisiert und wird in der folgenden Darstellung aufgrund der besseren Anschaulichkeit weggelassen:
Zeitebene | Perspektive | Vergangenheit retrospektiv | Gegenwart parallel | Zukunft prospektiv |
aktuell | primär | sp. hice fr. je fis | sp. hago fr. je fais | sp. haré fr. je ferai |
sekundär | sp. he hecho fr. j’ai fait | sp. voy a hacer fr. je vais faire | ||
inaktuell | primär | - |
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