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Anne wrote a letter. (Ereignis, begrenzt) [PAST [Anne write a letter]]

      Aspekt-Operatoren kommen dann zum Einsatz, wenn die in der Aspektklasse kodierte aspektuelle Information neu interpretiert werden muss. Wenn der Sprecher die Information in Satz 15 beispielsweise in einer progressiven Lesart darstellen möchte, muss der inhärente Endpunkt der Situation aufgehoben werden. Die dafür notwendige Änderung der Aspektklasse wird durch den Aspekt-Operator PROG durchgeführt. Er erzeugt einen Wechsel von einem Ereignis zu einem Prozess:

(16) Anne was writing a letter.
[PAST [PROG [Anne write a letter]]]

      Solche aspectual shifts können entweder durch explizite Aspekt-Operatoren oder durch einen kontextuell erzwungenen Re-Interpretationsprozess vonstattengehen. Letzteres nennt De Swart coercion:

      The view of coercion as an eventuality description modifier implies that coercion is of the same semantic type as an aspectual operator […]. The main difference between grammatical operators and coercion is that coercion is syntactically and morphologically invisible: it is governed by implicit contextual reinterpretation mechanisms triggered by the need to resolve aspectual conflicts (De Swart 1998: 360; Hervorhebung durch den Verfasser).

      Im Unterschied zu Aspekt-Operatoren ist dieser als coercion bezeichnete kontextuell erzwungene Re-Interpretationsprozess syntaktisch und morphologisch unsichtbar. Um ihn in der syntaktischen Struktur sichtbar zu machen, führt De Swart unterschiedliche coercion-Operatoren ein (z. B. Ceh), deren Funktionsweise anhand des folgenden Beispiels veranschaulicht wird:

(17) John played the sonata for eight hours.
[PAST [FOR eight hours [Ceh [John play the sonata]]]]

      Die Beschreibung der Situation John play the sonata, bei der es sich um die Aspektklasse Ereignis handelt, führt durch die Verbindung mit der Adverbialphrase for eight hours zu einem Konflikt aspektueller Werte, da for-Adverbialphrasen nur mit den Aspektklassen der Zustände oder der Prozesse kombiniert werden können (vgl. ebd.: 356). Durch die Verwendung des coercion-Operators Ceh wird die Aspektklasse Ereignis zu einer homogenen Situation5 uminterpretiert, was die Verbindung mit der Adverbialphrase for eight hours möglich macht. Salaberry (2008: 63) kritisiert an De Swarts Argumentation, dass nicht ganz klar ist, warum es sich in Beispiel 17 um einen impliziten coercion-Prozess (Ceh) und nicht um die Anwendung eines expliziten Aspekt-Operators (for eight hours) handeln sollte. Trotz dieses durchaus berechtigten Einwandes stellt De Swarts Analyse insofern einen wichtigen Beitrag dar, als sie eine Lösung für die Interaktion von lexikalischen, grammatikalischen sowie pragmatischen Elementen vorschlägt und die Wichtigkeit des Kontextes für die aspektuelle Interpretation eines Satzes betont.

      Die Kernaussage dieses Kapitels ist, dass grammatikalischer und lexikalischer Aspekt miteinander interagieren. Im Laufe der Arbeit wird diesbezüglich von prototypischen und nicht prototypischen Kombinationen gesprochen. Der semantische Prototyp von telischen Prädikaten wie auch von perfektivem Aspekt ist, dass sie Situationen gewissermaßen begrenzen. Bei statischen Prädikaten und imperfektivem Aspekt ist genau das Gegenteil der Fall. In diesen beiden Kombinationen von lexikalischem und grammatikalischem Aspekt wird demnach ein sehr ähnlicher semantischer Prototyp sowohl auf lexikalischer als auch auf grammatikalischer Ebene ausgedrückt. Man spricht daher auch von prototypischen Kombinationen. Im Falle der Kombination von statischen Prädikaten und perfektivem Aspekt bzw. von telischen Prädikaten und imperfektivem Aspekt trifft Gegenteiliges zu und man spricht von nicht prototypischen Kombinationen (vgl. McManus 2011: 17, 2013):

statisch telisch
perfektiv nicht prototypisch prototypisch
imperfektiv prototypisch nicht prototypisch

      Tab. 5:

      Prototypische und nicht prototypische Kontexte

      Im nächsten Kapitel wird ein System vorgestellt, das es ermöglicht, Tempus- und Aspektsysteme durch die Analyse der internen temporalen Beschaffenheit von Situationen zu beschreiben. Solche Systeme werden üblicherweise als zeitrelational bezeichnet (en. time-relational approaches; vgl. Gvozdanovic 2012: 784–791).

      2.2 Der zeitrelationale Ansatz von Klein (1994)

      Das Kleinsche System baut auf jenem von Reichenbach (1947) auf. Im Zentrum von Reichenbachs Überlegungen steht das Jetzt des Sprechens, der Sprechzeitpunkt (en. point of speech, abgekürzt als S), also ein deiktisches „an der Sprechsituation orientiertes Zeitintervall“ (Vater 2007: 32).1 Vom Sprechzeitpunkt ausgehend, ist es dem Subjekt möglich, zeitliche Referenz zu einem Ereignis, das versprachlicht werden soll, herzustellen. Dieses findet zu einem bestimmten Zeitpunkt, dem Ereigniszeitpunkt, statt (en. point of event, abgekürzt als E). Prinzipiell ist es allein mit diesen beiden Zeitpunkten möglich, die temporalen Relationen der Vor-, Gleich- und Nachzeitigkeit darzustellen:

Vorzeitigkeit: [E < S]
(E vor S)
Gleichzeitigkeit: [E = S]
(E gleichzeitig mit S)
Nachzeitigkeit: [S < E]
(S vor E)

      Formen, deren Semantiken durch diese grundlegenden Relationen beschrieben werden können, werden auch als absolute Tempora (vgl. Comrie 1985: 36) oder basic tenses (vgl. Klein 2009b: 43) bezeichnet.

      Zur Darstellung jener Tempora, die keine direkte Relation zum Sprechzeitpunkt herstellen, führt Reichenbach einen weiteren zeitlichen Bezugspunkt ein, den Referenzzeitpunkt (en. reference point, abgekürzt als R).2 Dieser kann im selben Satz festgelegt oder durch den Kontext gegeben sein. Er wird beispielsweise benötigt, wenn man über ein Ereignis sprechen will, das vor einem Ereignis stattgefunden hat, das wiederum vor dem deiktischen Zentrum liegt. Als Beispiel kann das deutsche Plusquamperfekt in Beispielsatz 18 genannt werden (vgl. Heinold 2015: 80):

(18) Peter: „Maria hatte die Fenster schon geputzt, als ich heimkam.“ [E < R < S]

      Die Fettmarkierung von Peter verweist darauf, dass es einen Sprechzeitpunkt gibt, zu welchem Peter die Äußerung tätigt. Die Tätigkeit (E), über die gesprochen wird (Maria Fenster putzen), findet in der Vergangenheit statt und liegt somit vor dem Sprechzeitpunkt. Zwischen dem Sprechzeitpunkt und dem Ereigniszeitpunkt liegt aber noch ein weiteres Ereignis (ich heimkommen), das durch den Referenzzeitpunkt dargestellt wird (kursiv). Diese Relation (E < R < S) kann auf einer Zeitachse folgendermaßen dargestellt werden:

      Abb. 2:

      Die temporale Relation des Plusquamperfekts

      Das

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