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Und wenn die Welt voll Teufel wär. Rudolf Stratz
Читать онлайн.Название Und wenn die Welt voll Teufel wär
Год выпуска 0
isbn 9788711507193
Автор произведения Rudolf Stratz
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Die Frauen um ihn machten grosse, dankbare, gläubige Augen. Erstaunen lag darin, dass man auch einmal an sie dachte! Noch niemals in den vier letzten Jahren waren die sachlichen Greise, die hüben und drüben den Kampf der Männermillionen lenkten, auf den Gedanken gekommen, Liebe, Leid und Angst der Frauen in ihre Kriegsberechnungen mit einzustellen . . .
Von der Strasse herauf drang ein schwaches, unbestimmtes Brausen eines vorüberziehenden, unordentlichen Gruppengewimmels von Arbeiterfrauen, von Halbwüchsigen, von vereinzelten Munitionsmännern und Matrosen. Werner Grimm sass neben der Hausfrau. Er hielt ihre Hand in der seinen und sagte, an ihr vorbei, zu den anderen blassen Damen: „Man spricht immer von Recht und Unrecht dieses Krieges. Aber das wahre Unrecht — und das überall — das geschah den Frauen auf der ganzen Welt. Denn, was geschah — das geschah gegen deren innerste Natur.“
Seine dunklen Augen waren verführerisch. Sie kümmerten sich nicht um das, was sein Mund sprach. Sie betörten inzwischen still für sich das Gegenüber. Von seinen Augen führte tiefer noch als von seinen Lippen ein Weg in die Weiberseele. Er schloss achselzuckend, Mitleid und Zorn in der sonst kühlen Stimme eines Weltmannes: „Ihr wart ja ausgeschaltet! Die Hälfte der Menschheit musste durch Jahre ihr ganzes, ursprünglichstes Empfinden und Denken dem der Männer unterordnen! Man verlangte Spartanertugend gerade von dem schwächeren Geschlecht! Es gab Gemütsathleten unter den Heimkriegern, die nahmen es den Witwen und Bräuten übel, dass sie Trauer trugen! Aber die Natur lässt sich nicht umkrempeln! Die Millionen Männer, die draussen auf den Schlachtfeldern modern, die sind eben doch vom Weibe geboren und dem Weibe entrissen. Aber die Frauen sind in dieser ägyptischen Finsternis mündig geworden. Sie stehen auf sich selbst. In Amerika verdankt Wilson seinen knappen Wahlsieg nur den Stimmen der Frauen. Darum ist er der Anwalt der Frauen, Frau Lona, wenn er der Anwalt des Friedens ist.“
Ein leises Aufatmen unter den Blusen und Spitzen und Stickereien, eine leise glückliche Färbung auf den blassen Wangen der jungen Frauen. Werner Grimm hatte sich, leicht auf seinen Stock gestützt, erhoben. Er stand mitten im Salon. Der schattenhafte Mann im Nebenraum sah ihn auf wenige Schritte vor sich. Er sah dies kluge und welterfahrene, im Verdruss über die Torheit anderer spöttisch. verzogene, vom ironischen Lächeln der besseren eigenen Einsicht beherrschte Gesicht. Er sah die elegante Gestalt in modischem, gepflegtem, Kriegeraugen ungewohntem Zivil. Er sah die andächtigen Blicke der Damen ringsum . . .
Aber dann sahen Bruno Lotheisens sich ungläubig weitende blaue Augen etwas anderes . . etwas Furchtbares.
Eigentlich war es gar nicht furchtbar. Niemand im Zimmer nebenan fand etwas daran. Jeder schien das schon zu wissen, für selbstverständlich zu halten . . .
Lonny war aufgestanden. Nicht in ihrem sonstigen, sprunghaften Ungestüm der Eingebung des Augenblicks, sondern mit einer weichen, weiblich sanften Bewegung. So trat sie auf den Flüchtling aus der Schweiz zu. Es war in dieser Sekunde etwas Mädchenhaftes, etwas Unberührtes um die schlanken Linien ihrer blonden Erscheinung in Trauerschwarz und Trauerweiss, die durch den kurzen Rock noch jugendlicher wirkte. Sie schlang sanft ihren Arm unter den ihres Freundes, legte über seinem Arm ihre Hände ineinander, stand mit ihm eingehängt, Ellbogen in Ellbogen, eng, vertrauensvoll an ihn gelehnt, zwei, die zusammengehörten . . .
„Was war denn das, da nebenan . . .?“
„Ein Seufzer . . .“
„ . . . als hätte jemand gestöhnt . . .“
„Nein. Ich glaube, es war draussen auf der Strasse . . .“
Lonny Lotheisen horchte ein paar Augenblicke. Unten dröhnte ein Triebwagen der Strassenbahn vorbei und verschlang jedes andere Geräusch. Dann war alles still. Auch nebenan. Sie trat auf die Schwelle des Arbeitszimmers und steckte den vorgebeugten schönen schmalen Kopf in dessen Dämmern hinein. Sie betrat das Zimmer selbst nicht gern.
„Da drinnen ist keine Menschenseele“, rief sie über die Schulter zurück.
Nein. Da war niemand mehr. Bruno Lotheisen war auf den Flur hinausgetaumelt. Nur fort! Nur fort! Er war sich selbst nicht klar, warum. Dann dachte er sich: Wenn ich jetzt da hineintrete . . . vor den beiden stehe — das gibt ein Unglück! Nur fort . . .
Die Flurtür war von den inzwischen gekommenen Damen wieder offen gelassen worden. Eben, als er in das Treppenhaus hinauswankte, kam das Hausmädchen die Stiege herauf. Erschrak beim Anblick des blondbärtigen Mannes mit russischer Lammfellmütze und dickem, rotem Schal und hohen Kniestiefeln.
„Jotte doch! Wat wollen denn Sie?“
„Nichts . . . nichts“, murmelte er und schleppte sich an ihr vorbei. Seine Knie waren träge. Knickten bei jedem Schritt. Es fiel ihm ein: Ich habe ja nicht nur eine Frau. Ich habe auch eine Tochter. Er blieb stehen. Er hielt sich an dem Geländer und schaute zu dem Mädchen empor, das ihm noch verdutzt von oben nachstarrte. Er fragte: „Wo ist denn das Kind?“
„Wat für ein Kind?“
„Das kleine Mädchen! Frau Lotheisen hat doch ein Töchterchen!“
„Nee.“
Er wurde zornig.
„Das muss ich doch wissen! Sie hat ein Töchterchen.“
„Sie hatte eins! Det stimmt!“
„Wo . . . wo ist das Kind hin . . .?“
„Ick war damals natierlich noch nich da. Aber die jnädige Frau trägt ja noch Trauer: — Es kann noch nich ein volles Jahr her sind . . .“
„ . . . seit . . . seit . . .“
„Na, seit det Kind jestorben is!“
„Tot . . .?“
„Ja, wovon sollen denn die Kinder leben . . . heutzutage? Sie kriegen ja nischt zu essen! . . . ’s ist ja nischt da . . . In dem Kohlrübenwinter sind sie jestorben wie die Fliegen . . . bei die englische Blockade . . .“
Gemordet . . . kaltblütig von den Engländern durch Hunger gemordet . . . Du süsses, kleines, wonniges Geschöpf . . . Du Geschenk vom Himmel, das noch seine Ärmchen um mich schlang, als ich mich zum letztenmal über dein Bettchen beugte, und das mir versprach, dass es auch jeden Abend zum lieben Gott für den Papa beten würde . . . Mein Evchen . . . mein Elfchen . . . gemordet . . . und nicht du allein! Tausende, Hunderttausende von Kindern sind mit dir zum Himmel aufgestiegen und verklagen ihre Mörder vor Gottes Thron . . .
Und da oben sitzen sie und träumen schon wieder von Völkerversöhnung . . . von Umarmungen mit den Briten und Welschen . . . Menschen ohne Hass und Glut . . . statt an Rache zu denken . . . Rache . . . Wut schüttelte ihn. Er wollte wieder hinauf. Blieb wieder stehen. Drehte um. Nein! Noch nicht! Ich muss erst ruhig werden! Ich muss erst zu mir kommen! Es ist zuviel. Es ist zuviel . . .
Frische Luft. Die Strasse. Keuchende Atemzüge. Wo ist denn eigentlich der Feind? Ist er draussen in Europa? Ist er in uns, dass wir immer wieder alles vergessen und verzeihen? Die Menschenansammlung vor dem Hause auf dem Kurfürstendamm hatte sich vergrössert. Der Matrose von vorhin stand auf einer Bierkiste unter einem Laternenpfahl. Er sprach laut und gut. Er schlug sich beteuernd an die trotz der Novemberkühle blosse, blau tätowierte Brust.
„Ich war doch noch vorgestern auf Wachboot in der Nordsee! Alle englischen bewaffneten Fischkutter und Torpedojäger zeigten die rote Flagge! Wir haben uns mit ihnen auf Englisch durch das Sprachrohr verständigt! Die ganze englische Kriegsflotte meutert! Bis in die Häfen hinein! Wie bei uns! Dort machen sie jetzt auch Schluss!“
Bruno Lotheisen sah die gläubigen Gesichter. Er ging die Strasse hinauf Er wusste nicht, wohin. An allen Ecken mehrten sich die Menschenhaufen. Strudelten um die Zeitungsverkäufer. Rissen ihnen die Extrablätter aus den Händen. Ihm war es gleich. Er lief mit leeren Augen geradeaus. Sah geistesabwesend um