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aus Lackleder . . . ein Mann der Mode . . . jetzt . . .wo es in dem keuchenden, verblutenden Europa seit Jahren nur noch eine einzige Männermode, das Feldgrau und Feldbraun und Feldgelb, gab?

      Der Fremde tat einen Schritt auf dem Teppich. Er stützte sich dabei auf einen Ebenholzstock mit Silberkrücke und einem Gummiknopf am unteren Ende. Er hinkte nicht eigentlich. Aber sein rechtes Bein war um einen Zoll zu kurz. Bruno Lotheisen, der mehrfach Verwundete, wusste: Beckenschuss, Hüftgelenk-Resektion. Glück, wer dabei mit dem Leben davonkam.

      Der Unbekannte sprach wieder. In eine Ecke des Salons hinein, wo unsichtbar irgend jemand sass. Aus seinem Mund klang alles nachlässig, aber eben darum selbstverständlich, merkwürdig überzeugend.

      „Ich bin als Deutscher geboren“, sagte er. „Ich habe also die Pflicht, ein guter Deutscher zu sein. Ich bilde mir ein, diese Pflicht zu erfüllen — so, wie ich sie verstehe — um ein geflügeltes Wort unserer gigantischen gegenwärtigen Staatsmänner zu gebrauchen. Über den Begriff des guten Deutschen — oder, was dasselbe ist — des guten Europäers, gehen allerdings die Ansichten sehr auseinander.“

      Im Flur schrillte die Glocke.

      Er fuhr fort: „Wenn man mich hätte gewähren lassen — statt mich mundtot zu machen und schliesslich in die Schweiz zu hetzen — bei meinen Beziehungen zu Gott und der Welt im Ausland . . . Wenn ich und meine Freunde hätten dürfen, wie wir wollten — das furchtbare Missverständnis, das wir den Weltkrieg nennen, gehörte vielleicht jetzt schon längst der Vergangenheit an.“

      Stille Bewunderung war um ihn. Ernst aufgeschlagene Wimpern. Gläubiges Schweigen. Durch die lautlose Ergriffenheit klingelte zum zweiten Male die Türglocke im Flur. Dann klang aus der unsichtbaren hinteren Ecke des Salons eine helle Frauenstimme. Bruno Lotheisen zuckte zusammen. Das Herz stand ihm still. Er schloss die Augen. Er spürte das heisse Wasser in ihnen . . .

      „Wo steckt denn nur wieder die Minna?“

      Das waren alltägliche Worte. Aber das war die Stimme seiner Frau. Die seit Jahren nicht mehr gehörte junge, klare Stimme, die so weich klang, wenn sie sprach, so süss, wenn sie sang, so silbern, wenn sie lachte. Das Rücken eines Stuhls. Leichte Tritte. Er konnte Lonny nicht sehen. Sie ging offenbar auf den Flur hinaus, um selbst aufzumachen. Sie begrüsste eine draussen harrende Freundin. Man hörte den geschäftigen Wortwechsel beim Ablegen. Im Salon sprach inzwischen der Flüchtling aus der Schweiz weiter zu den Damen und hielt sie dabei im Bann seiner weichen, grossen, dunklen, weib- und welterfahrenen Augen, deren einschmeichelnde Wärme in merkwürdigem Gegensatz zu der weltmännischen Kühle seiner Züge stand.

      „Jetzt herrscht auf der Welt das Faustrecht. Steckt man die Faust in die Tasche, so bleibt das Recht übrig. Wilson ist Professor des Rechts. Wenn Recht gleich Macht ist, so hat er die Machtfülle des Präsidenten eines Erdteils. Er versöhnt das Recht mit der Macht. Er hält in seinen Händen die Wage der Welt. Ist er Idealist — um so besser! Dann hilft uns einmal bei ihm die deutsche Ehrlichkeit, die uns sonst im Ausland nur schadet!“

      Die Damen sassen hoffnungsvoll, die Hände verschlungen, und sahen mit blassem, schwachem Lächeln dankbar zu dem Tröster empor und dachten an ihre Männer, ihre Verlobten, ihre Herzensfreunde draussen im Feld. Eine kleine junge Frau in rehbraunem Schneiderkleid, die Bruno Lotheisen nicht kannte, fegte von der Diele in den Salon und haschte nervös nach der Rechten des Fremden.

      „Endlich lerne ich Sie kennen! . . . Ich war so kolossal gespannt! . . . Sie brauchen sich nicht erst vorstellen zu lassen! . . . Erstens: Die Weltfirmia Grimm kennt jedes Kind . . .“

      „Das ist mein Vater, gnädige Frau! Ich selbst befasse mich wenig mit der Industrie und dem Geldverdienen . . .“

      „. . . sondern mit der Politik! Mit Auslandspolitik! Mit Flüchtlingspolitik! Natürlich! Brrr! Das ist so angenehm gruselig, jemandem die Hand, zu drücken, hinter dem die Polizei . . . Pscht! Ich verrate niemand, dass Sie schon seit vier Wochen heimlich in Berlin sind! Ich weiss, dass Sie davon die tollsten Unannehmlichkeiten haben könnten.“

      „Höchstens bis heute früh noch, gnädige Frau! Wir schreiben heute den neunten November. Vielleicht wendet sich heute schon die Welt. Vielleicht morgen! Die Hähne krähen schon durch ganz Deutschland — von Kiel bis München! Es will Tag werden . . endlich . . . bei uns . . .“

      Dr. Werner Grimm sagte es ruhig. Er setzte sich. Er. besass, trotz der steifen rechten Hüfte, die ungezwungenen, leichten Bewegungen eines Mannes von Welt. Er war ein auffallend schöner Mann mit der strengen Regelmässigkeit seiner Züge und dabei dem verräterischen Spiel von Laune und List unter dem weichen, dunklen Schnurrbart. Hahn im Korbe. Auch wenn andere Männer dagewesen wären — die Frauen hätten doch auf ihn gesehen. Er kannte genau seine Macht über sie. Und ihre über ihn. Er lächelte mit den Augen, während sein Mund ernsthaft blieb. Spielte mit den Frauen. Fing sie im Spiel. Das alles halb zerstreut, nebenher, aus Gewohnheit — inmitten des fernen Donnergrollens der Zeit.

      „An diesem Sonnenaufgang des gefunden Menschenverstandes habe ich in der Schweiz mitgearbeitet;“ sagte er, „dank meinen vielseitigen Verbindungen auf unserem guten, toll gewordenen Planeten. Es gibt viel mehr Friedensfreunde in allen Lagern, als unsere Maulkorbweisheit ahnt. Der Grund zu einer Liga der guten Europäer ist bereits gelegt. Übergeschnappte Pazifisten und Utopisten, flaumweiche Versöhnungsspiesser und wehleidige Weltverbrüderer rechne ich allerdings nicht dazu, sondern vernünftige Menschen aller Nationen wie ich, die ihr eigenes, wohlverstandenes, gegenseitiges Interesse über die Granatentrichter zum grünen Tisch führt.“

      Ein schlanker, hoher Schatten fiel plötzlich über ihn. Die Gestalt einer jungen Frau. Dünn, biegsam, rank wie eine Gerte hob sich ihr Umriss von dem trüben Novemberlicht der Scheiben. Ein zarter, weisser, leicht vorgebeugter Hals mit mattschimmernder Perlenkette. Strahlendes Blond über dem schmalen, oval geformten Längsrund des schönen, lebhaften Kopfs. Bruno Lotheisen faltete nebenan die Hände. Ihm war zum Beten zumut, zum Schluchzen, zum Jubeln, zum Niederknien — nein — zum Aufspringen — Hineinstürzen — sein Weib an sich reissen — umhalsen — küssen — mit Küssen ersticken — unter Tränen stammeln Lonny — . . . da bin ich . . . da hast du mich wieder . . .

      Aber dabei stand der Kirchenbauer Lotheisen, ohne sich zu rühren, in dem dämmerigen Nebenraum. Irgend etwas lähmte ihn. War es der Geist dieser hungernden, fiebernden, unheimlich veränderten Stadt da draussen? Das dumpfe, drohende Hornissensummen auf den Gassen? Die fremden Menschen da nebenan? Die Angst vor Lonnys Schreckensschrei, wenn er jäh über die Schwelle trat? Ihre unwillkürliche Abwehr des Entsetzens: Du bist ja tot . . .

      „Setzen Sie sich doch Frau Lona!“

      Lonny Lotheisen warf sich in einen Sessel. Ihr Mann sah ihr aus seinem Dunkel gerade in das schöne, kluge Gesicht mit den klaren, grossen Augen, deren Farbe, wie die des Meeres unter raschbewegtem Himmel, je nach Licht und Laune, zwischen Hellgrau und Hellblau wechselte. Ein glühender Nadelstich zuckte ihm durch das Herz: Was hat dieser Mann da nebenan meine Frau so vertraulich Lona zu nennen? Kein Mensch hat sie jemals so genannt. Ich am wenigsten. Den Namen hat er erst für sie ausgedacht. Und warum legt er so kameradschaftlich den Arm über die Lehne ihres Stuhls, dass der zarte, goldene Flaum ihres Nackens seine Hand streift? — Und ein Schrecken, eisig, wie aus der Kälte Sibiriens geboren, rieselte ihm durch Mark und Bein.

      Eine Dame war hereingerauscht. Küsste Lonny, die im Sitzen zu ihr sagte: „ ’Tag — Wolfrade! . . . Da stehn die Zigaretten! . . . Schiessen Sie los, Wölfchen: Wie steht’s im Ministerium?“

      „Alles sitzt auf’m Proppen!“ Die junge, zu Besuch gekommene Exzellenz wickelte sich mit nervösen, abgemagerten Fingerchen eine Papyros. Dr. Werner Grimm reichte ihr Feuer. In ganz selbstverständlicher Höflichkeit. Trotzdem wurden ihre Augen unruhig unter dem Blick der seinen. Das waren Augen für Frauen. In diesen dunklen Männeraugen wohnte die Frau. Fühlte sich erkannt. Verstanden. Geliebt.

      „Doll wird’s heute noch zugehen!“ Die Exzellenz aus der Wilhelmstrasse schüttelte sich in einem angenehm gruseligen, aufgeregten Schauer. „Kinders . . . ich bibbere an allen Nerven!“

      „Ihr kommt zuerst daran!“

      „Wir

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