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Und wenn die Welt voll Teufel wär. Rudolf Stratz
Читать онлайн.Название Und wenn die Welt voll Teufel wär
Год выпуска 0
isbn 9788711507193
Автор произведения Rudolf Stratz
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
„Sagen Sie der gnädigen Frau, ihr Mann stände draussen!“
„Wer“
„Ihr Mann!“
Innen Lonny schnell, heiter: „Der Max? Na — den Vorsichtsrat kennst du ja! Der gedieh in der Etappe in der Lombardei.“ Dann plötzlich mit tieferer Stimme, erschrocken: „Der dritte jetzt auch als Fahnenjunker in Flandern gefallen? Die armen Eltern! Alle Söhne tot!“
Noch einmal entrollte sich, in den hellen Worten einer jungen Frau da nebenan, das riesenhafte Bild des erlöschenden Weltbrands. Über Bruno Lotheisen lief ein Schauer von Ehrfurcht vor den in der Geschichte aller Zeiten unerhörten Leistungen eines Volks, seines deutschen Volks. In ihm wallte noch einmal stürmisch das Kriegerblut. Verebbte. Lonnys letztes Wort klang in seinem Ohr, klar und laut: ,Tot’. Er wandte sich zu dem Mädchen: „Sagen Sie der gnädigen Frau, hier aussen stände ein toter Mann!“
Das Mädchen sah ihn verdutzt und ängstlich an. Sie ging in das Zimmer. Lonny hatte dort eben den Hörer angehängt.
„Gnädige Frau: Draussen steht ein Mann. Oder ein Herr. „Ich hab’s in der Aufregung vergessen zu melden: Er war schon heute nachmittag einmal da! Er sagt, er wäre tot.“
,,Was?“
„Aber ich glaube, er ist von der neuen Rejierung!“
„Heulen Sie nicht, Minna, das ist kindisch!“
„Ick habe unsern halben Topf Gänseschmalz schon verstecket! Und die zwei Eier auch! Sonst haben wir doch nischt!“
„Na eben! Ich hungere heute schon den ganzen Tag wieder einmal fürs Vaterland! Also der Mann draussen . .“
„Gnädige Frau: Er spricht, er wär’ Ihr Mann!“
„Wie?“
„Ihr Mann!“
,,Minna, Sie sind wohl unklug!“ Lonny Lotheisen warf unwillkürlich einen Blick auf die schwarzumrahmte Photographie ihres Gatten auf dem Mitteltisch. Das Bild zeigte ihn in Feldgrau mit dem leinwandüberzogenen Helm auf dem Haupt, das frische, freimütige Künstlerantlitz glatt rasiert, so dass der Ausdruck heiterer Lebens- und Schaffensfreude um den feinen, weichen Mund sonnig hervortrat. Am Nasenflügel die kleine Narbe des Schmisses aus der Studentenzeit. Die junge Frau schüttelte, plötzlich blass geworden, den Kopf. Wurde wieder ruhig.
„Ein Mann wird er natürlich gesagt haben, Minna! . . . Nun: Ich geh’ in Gottesnamen zu ihm ’raus.“
Das Mädchen war im Zimmer geblieben. Sie sprang plötzlich zur Tür. Sie fing ihre zurücktaumelnde Herrin auf. Die schwankte in den Knien, streckte beide Arme weit aus — man sah nicht, ob zur Abwehr, ob zum Empfang — hatte die Augen weit, ungläubig aufgerissen. Stammelte: „Nein . . . nein . . .“
Der fremde, dichte, blonde Vollbart . . . der dicke Schal um den Hals, die hohen Stiefel . . . der russische Mantel . . . Aber die Augen . . . die herzlichen, blauen, spiegelklaren Augen . . . und da . . . und da: die kleine Narbe an der Nase . . .
„Bruno . . .“
„Ich bin’s!“
„Bruno . . . Bruno . . .“
Das Mädchen stand mit offenem Mund. Sie sah: Die gnädige Frau sank an die Brust des fremden Mannes. Legte ihr Antlitz an sein Schulter. Wäre in sich zusammengesunken, wie um vor ihm niederzuknien, wenn sein Arm um ihre Taille sie nicht gehalten hätte. Sprach kein Wort. Ihr ganzer Körper zitterte und zuckte in fliegenden Atemstössen.
Auf dem Gesicht des fremden Mannes veränderte sich nichts. Er stand stumm. Schaute tiefernst vor sich hin in das Leere. Über den mädchenhaften, goldblonden Scheitel an seiner Brust hinweg. Stützte die niedergebrochene Frau so, wie ein Mensch dem Nächsten hilft.
Das Mädchen fand, dass sie hier zuviel sei. Sie ging leise in den Salon zurück. Ganz betäubt nach hinten. Es wirrte ihr durch das Hirn: Ja, du himmlische Güte: die gnädige Frau ist doch schon seit acht Tagen verlobt! . . . Was wird denn das nun?
In der Diele war es still. Bruno Lotheisen rührte sich nicht. An seiner Brust ruhte die warme, atmende Last. Sie war schwer. Er brauchte die Kraft seiner Arme, um sie zu halten. Ein feiner, süsser Duft, den er kannte, der tausend Erinnerungen weckte, stieg aus ihrem Haar. Er fühlte ihre wilden Herzschläge an seiner rechten Brust. Er fühlte von links das stürmische, schnelle Pochen seines Herzens dagegen, als läuteten zwei Feuerglocken ineinander.
Und stand still.
Und wie ein Messerschnitt ins Herz ging es durch seine Seele: Dreissig Monate hindurch, Hunderte und aber Hunderte von Tagen und Nächten hast du von diesem Augenblick geträumt. Unzählige Male hast du zu Gott gebetet, dir nur einmal diese Minute unsäglichen Glückes zu gönnen und dein Weib, dein geliebtes Weib, das Licht deines Lebens, dein Alles, in deine Arme zu schliessen; . . . und dann in Gottesnamen zu sterben, mit ihrem Kuss auf deinen Lippen . . .
Nun hältst du sie umfangen. Die Gnadenstunde ist da. Und du stehst traurig und stumm. Du hast noch nicht ihr Gesicht gesehen, das sich scheu an deine Brust presst, als wollte es sich verbergen. Du hast noch nicht ihren edelgeformten, schmalen, jungen Kopf in deine Hände genommen und deine Lippen auf die ihren gedrückt, zu einem langen, langen, atemlosen Kuss. Du kannst es nicht. Wenn du sie loslässt, sinkt sie hilflos zu Boden. Du hältst eine bange, lebende Last . . .
Und jetzt sah er: Ihre Arme umfingen ihn nicht. Sie hingen schlaff, wie bei einer Ohnmächtigen, zur Erde. Es war, als wage sie nicht, ihn zu berühren. Habe sich ihm nur so entgegengeworfen, wie es sein musste . . . in der Selbstverständlichkeit, mit der eine Frau den aus dem Felde heimkehrenden Gatten empfängt . . .
Sie war nicht ohnmächtig. Er hörte sie, unter sich, an seiner Brust murmeln: „Bruno . . . Bruno . . . bist du’s wirklich . . .?“
Er sah von ihrem Kopf nur ein schmales Stückchen totenbleicher Wange. Das rosige kleine Ohr mit dem matten Schimmer einer Perle im Läppchen, halb verdeckt durch die darübergestraffte goldene, feinsträhnige Seidenflut ihres Haares. Er sagte und merkte dabei selbst, wie ungewollt rauh seine Stimme klang: „Ich bin von den Toten auferstanden. Ich bin aus der Kriegsgefangenschaft in Russland zurück. Ich konnte nicht schreiben. Es gab keine Verbindung nach Europa. Ich bin seit diesem Frühjahr unterwegs von Sibirien bis hierher . . .“
Und eine höhnende Stimme in seinem Innern ergänzte: Ich bin ein lebender Leichnam. Ihr hier habt mich, scheint es, alle schon lange begraben. Du, meine Frau, die da wie eine geängstigte Taube an meiner Brust zittert, hast die ersten Schollen auf meinen Sarg geworfen.
Er rang die erstickende, in ihm aufsteigende Bitterkeit nieder. Er dachte sich: Wir können nicht für immer hier, meine Frau und ich, auf dem Vorplatz stehen bleiben. Er umfing sie fester. Geleitete sie langsam nach dem Salon. Sie liess sich willenlos, mit geschlossenen Augen, wie eine Nachtwandlerin, von ihm führen.
Nun warf das Licht des Kronleuchters seinen auf ein paar Kerzen gedämpften Schein auf sie beide. Sie standen sich gegenüber. Er erschrak vor ihrer Blässe. Er dachte sich: Ihre schönen graublauen Augen schauen mich noch immer an wie ein Gespenst. Er sagte laut und hart: „Ich lebe, Lonny. Ich lebe!“
Und wiederholte zornig, fast drohend, so, als hätten tausend unsichtbare Stimmen im Zimmer widersprochen: „Ich lebe!“
Wieder warf sie sich ihm, mit einer wehrlosen, in sich zusammenfallenden Bewegung, an die Brust. Diesmal suchten ihre schlanken Hände seine Schultern. Krampften sich in dem groben, feldbraunen Tuch des einstigen russischen Soldatenrocks fest. Diesmal schaute ihr Gesicht mit grossen Augen, offenen, wild zuckenden Lippen zu ihm empor. Er sprach ihr langsam, laut und deutlich ins Gesicht: „Ich wurde für tot von den Russen aufgelesen. Am Rand des Massengrabs gab ich Lebenszeichen. Ein baltischer Arzt nahm sich meiner an. Ich kam ins Lazarett und, nachdem Gott mir Leben und Gesundheit wiedergegeben, nach Sibirien.“
Jetzt plötzlich erwachte in Lonny Lotheisen das Bewusstsein. Ein Schrecken vor sich. Eine Hast. Ein Drang, sich zu