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Gehorchen für ein Glück ist!“

      Lonny Lotheisen schlug die Lider von den hellen, glänzenden Augen empor und sah ihn innig, mit einem Leuchten des Herzens aus tiefster Seele, von unten auf an. Von der Diele her drangen die Stimmen der nahenden Damen in das Zimmer. In dessen Kühle zog Lonny Lotheisen fröstelnd die schmalen Schultern hoch, löste sich leise von Werner Grimm und trat, als wollte sie noch einen Bruchteil einer Sekunde Alleinsein mehr mit ihm gewinnen, nach dem Fenster. Er folgte ihr. Er sah den Hauch ihres warmen Mundes in der kalten Luft, als glühe der noch von seinen Küssen. Er konnte hier, an der grossen Scheibe, wo man sie von der Strasse aus sah, ihren Mund nicht mehr suchen. Aber er zog ihre schlanken, kalten Finger zu seinem Antlitz empor und wärmte sie mit seinen Lippen. „Du . . . du . . .“ murmelte er verklärt dazwischen. Schmeichelnde Töne der Liebe. Sie hielt glückselig still. Dann spürte er ein Zucken ihrer Hand.

      „Gott: sieh, mal: der Mann . . . da unten . . . im Schatten, seitlings von der Laterne . . . wie er zu uns heraufschaut! . . .“

      „Ich möchte wissen, was wir den grossen Unbekannten angehen.“

      „Er steht schon gut eine halbe Stunde vor deiner Wohnung, Lonny“, warnte eintretend die Hauptmannswitwe: „Also — Heri Dr. Grimm: Wir sind bereit! . . . Gute Nacht, Lo . .! Mein Gott, da telephoniert sie schon wieder . . .“

      „Wer? Ich versteh nicht! Ach — Sie sind’s, Herr Kommerzienrat!“ Und rasch vom Apparat zu den anderen gewandt, erläuterte Lonny Lotheisen „Aus Papas Industriekonzern in Köln!“ Dann lachte sie hell in den Schalltrichter. „Wie? Sie sind in Berlin — ja? Und Papa hat Sie telegraphisch beschworen, mich morgen früh nach Köln mitzunehmen? Gottvoll! . . . Warum denn? Weil später der Zugverkehr aufhört? Na — da bleib’ ich eben in Berlin! Wie? . . . Ach wo! . . . Mich stiehlt hier keiner! Sagen Sie das nur den Eltern!“

      Sie horchte in das Höhrrohr und schüttelte, feindselig, spöttisch lächelnd den Kopf.

      „Um sieben Uhr soll ich morgen früh auf dem Charlottenburger Bahnhof Sie treffen? So einfach wie möglich angezogen? — Keine Reiher — kein Pelz — um das Volk nicht zu reizen? Schlimmstenfalls Sachen von meiner Jungfer? Sie müssen sich schon ohne mich behelfen, Herr Kommerzienrat! Grüssen Sie Köln und entschuldigen Sie mich jetzt, bitte! Ich muss mich von meinen Gästen hier verabschieden.“

      Küsse mit den Damen. Ein herzhafter Händedruck, leuchtenden Auges, mit Werner Grimm. „Auf morgen, lieber Freund!“ Ein Lachen noch über das Treppengeländer hinunter: „Gebt acht, dass euch der schwarze Mann draussen nichts tut!“ Und dann, von einem Ausblick aus dem Fenster zurück, noch einmal, mit einem besorgten Beben in der Stimme: „Er hat euch die Treppe herunterkommen sehen! Eben marschiert er direkt auf das Haustor zu!“

      Lonnys Mädchen hatte ihren Gästen das Tor aufgesperrt. Im selben Augenblick schob sich von aussen ein hoher Transtiefel durch den Spalt. Eine wirrmähnige Gestalt in Fellmütze, Schafpelz, rotem Schal zwängte sich hinterher, trat, an den entsetzt zurückgeprallten Damen vorbei, hart vor Werner Grimm hin, keuchte zwischen den zusammengebissenen Zähnen, aus dem blonden Gewucher des Vollbarts heraus, ihn an: „Wer sind Sie?“

      „Um Gottes willen — nehmen Sie sich in acht!“ schrie die Hauptmannswitwe. Und die andere: „Er tut Ihnen ein Leid an!“

      Werner Grimm blieb äusserst kühl. Er musterte fragend sein Gegenüber.

      „Wer sind Sie, Verehrtester?“

      „Ihren Namen will ich wissen!“

      „Ich fürchte,“ sagte Werner Grimm gleichmütig, „Sie teilen den bei uns weit verbreiteten Irrtum, dass schlechte Manieren ein Zeichen des Fortschrittes sind! . . . Warum interessiert es Sie eigentlich, meine Bekanntschaft zu machen, oder . . .“ Er hielt inne und fuhr langsamer, mit einem zögernden, forschenden Blick auf den anderen fort: „. . . oder, scheint mir jetzt . . . oder zu erneuern . . . Es kommt mir plötzlich so vor, als hätten wir uns schon mal irgendwo gesehen . . .“

      „Das weiss ich schon seit heute mittag . . .“ sprach der ihm gegenüber dumpf, mit verstörten, grossen blauen Augen, „dass wir uns irgendwo gesehen haben . . .“

      ,,Vielleicht im Feld?“ schlug Werner Grimm mit gleichmässiger Höflichkeit vor. Eine jähe Bewegung des Schreckens drüben. Eine Hand, wie zur Abwehr erhoben. Ein Stammeln.

      „Trugen Sie nicht Ulanenuniform?“

      „Gewiss . . .“

      „. . . und führten eine Infanterie-Kompagnie — im ersten Kriegsjahr . . .“

      „Stimmt!“

      „. . . und machten bei Punkt 507 in den Argonnen einen Gegenstoss — spät abends — im August . .?“

      „Herrgott ja: Der Infanterie-Hauptmann ganz da vorn im Wurstkessel — abgeschnitten — mit dem Rest seiner Leute . . . Aber damals waren Sie glattrasiert . . .“

      „Ich war es doch“, sagte Bruno Lotheisen langsam, halb geistesabwesend. „Es war eine aufopfernde Leistung von Ihnen . . . Sie haben mir und was von meinen Leuten noch lebte, das Leben gerettet . . .“

      ,,Na — mindestens die Freiheit! . . . Übrigens: Meine letzte kriegerische Leistung. Acht Tage darauf machte eine Franzosenkugel bei mir endgültig Schluss.“

      Werner Grimm schlug sich leicht mit der Rechten an das steife Hüftgelenk und streckte sie dann weltmännisch, kameradschaftlich dem anderen hin.

      „Na — daraufhin können wir uns ja vertragen und einander vorstellen! Damals riss uns ja das Kriegsgetümmel gleich wieder auseinander.“

      Aber zu seinem Erstaunen trat der andere taumelnd ein paar Schritte zurück. Starrte ihn aus entgeisterten Augen an. Wollte etwas sagen. Konnte es nicht, sondern wandte sich ab, schüttelte den buschigen Kopf, ballte die

      Fäuste, stieg mühsam, schwer die Stiege des Treppenhauses empor.

      „Vielleicht verschüttet gewesen oder sowas“, sprach Werner Grimm halblaut zu den Damen. Er horchte. Nickte. Nun waren die Tritte schon im zweiten Stock. Im dritten. Verhallten. „Ich wollte bloss sicher sein, dass er nicht etwa Frau Lona heimsucht“, sagte er, auf die Strasse hinaustretend, zu den beiden Damen. „Aber er hat offenbar Bekannte weiter oben im Haus.“

      Lonnys Mädchen schloss das Tor hinter den Dreien und schoss verängstigt die Treppenstufen empor. Es war ihr mit Todesschrecken eingefallen, dass sie die Flurtür angelehnt gelassen hatte. Atemlos kam sie auf dem Stiegenabsatz an, eben noch zurecht, um die Tür sich bewegen zu sehen, als sei gerade jemand eingetreten. Sie stürzte hinterher in die Diele. Stand dem aus dem oberen Stockwerk wieder herabgestiegenen Mann aus dem Osten gegenüber. Die Angst verschlug ihr den Atem. Sie konnte kaum, mit offenem Mund, stammeln: „Was . . . was wollen Sie denn hier?“

      Der Fremde machte ihr ruhig mit der Hand eine Bewegung, zu schweigen. Durch die Salontür hörte er die helle, laute Stimme seiner Frau. Sie telephonierte gerade wieder mit einer Freundin.

      „Dein Mann ist eben aus Mazedonien zurück? Du Glückliche! . . . Wie sieht’s denn auf dem Balkan aus? Grässlich? . . . Ach du lieber Gott! . . . Nein: Der Karl ist Gott sei Dank nicht in Palästina — dort geht ja auch alles koppheister — er ist in Tiflis . . .“

      Bruno Lotheisen legte finster Mantel und Mütze ab. Hing sie nach alter Gewohnheit, wie vor Jahren, an den Kleiderhaken. Das Mädchen beobachtete verstört den Fremden, der so tat, als sei er hier zu Hause. Innen telephonierte Lonny: „Kurt? . . . Kurt hat zuletzt vor vier Wochen aus Kiew Tee geschickt! Seitdem keine Silbe mehr. Sein Bruder ist auf einem Torpedoboot mit seinen sächsischen Reitern über die Ostsee mitten durchs Treibeis nach Finnland. Es soll eine tolle Schunkelei gewesen sein . . .“

      „Melden Sie mich der gnädigen Frau!“

      „Ja, wen denn?“

      Aus dem Salon klang Lonnys klare, lebhafte Stimme:

      „Ja, nicht wahr? . . . Nein — den Adalbert kriegten sie nicht! Er hat sich immer wieder mit seinem U-Boot

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